Lkw- Kolonne auf der Autobahn
ORF
ORF
Verkehr

Transit: Tirol sieht Italien-Vorstoß gelassen

Nach dem grünen Licht des italienischen Ministerrates für eine Klage gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) kommen am Montag gelassene Reaktionen aus Tirol. Bundes- und Landespolitik sowie Experten räumen den italienischen Plänen keine großen Chancen ein bzw. pochen auf gemeinsame Verhandlungen.

Am Montag hatte der Ministerrat in Rom beschlossen, gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren bei der EU-Kommission einzuleiten. Konkret gab er grünes Licht für die schon länger angekündigte Klage gegen Österreich beim EuGH – mehr dazu in Italien will Vertragsverletzungsverfahren. In dem Beschluss geht es um ein Verfahren nach Artikel 259 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, erklärt Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck.

Vereinfacht formuliert sei das ein Vertragsverletzungsverfahren eines Mitgliedsstaates gegen einen anderen. „Das sieht vor, dass Italien jetzt zunächst einmal die Kommission formal mit einem Schreiben, das auf diesen Vertragsartikel gestützt ist, auffordern muss, gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten“, so Obwexer. Daraufhin habe die Kommission drei Monate für eine Entscheidung Zeit.

Walter Obwexer
ORF
Der Europarechtsexperte Walter Obwexer räumt einer Klage bzw. einem Vertragsverletzungsverfahren Italiens wenig Erfolg ein

Die EU-Kommission könne einerseits entscheiden, nichts zu tun. In diesem Fall könne Italien anschließend direkt beim EuGH klagen. Andererseits könne die Kommission sich entschließen, gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Dann dürfe Italien nicht klagen. „Nur wenn die Kommission innerhalb der drei Monate, was gegen Jahresende der Fall sein wird, Italien mitteilt, nichts zu tun oder die drei Monate einfach verstreichen lässt, dann kann Italien erst die Klage vor dem Gerichtshof erheben.“ Insgesamt gibt Obwexer, der die Tiroler Landesregierung berät, der Klage – wenn es dazu kommen sollte – nur geringe Chancen.

Landeshauptmann Mattle zuversichtlich

„Italien wird mit seiner Maximalforderung, nämlich die Aufhebung aller Tiroler Verbote, keinen Erfolg haben“, hieß es von Tirols Landeschef Anton Mattle (ÖVP) zur APA. Er hielt außerdem fest, dass eine Klage gegen die Anti-Transitmaßnahmen „nicht weniger“ bedeute, „als gegen die verkehrsgeplagten Menschen entlang des Brennerkorridors vor Gericht ziehen zu wollen.“

Mattle berief sich auf die Alpenkonvention, das Weißbuch Verkehr sowie den Green Deal der EU-Kommission, die allesamt „eine Reduktion des Verkehrs und eine Verlagerung auf die Schiene“ vorsehen. Die Transitfrage könne nicht vor Gericht, „sondern muss am Verhandlungstisch mit neuen Entlastungsmaßnahmen gelöst werden“, sagte er und verwies auf „vernünftige Stimmen hinter den Kulissen, die an gemeinsamen Lösungen interessiert sind.“

Verkehrslandesrat Zumtobel von Maßnahmen überzeugt

Ebenfalls gelassen zeigte sich Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ). „Die transitgeplagte Bevölkerung dies- und jenseits des Brenners braucht gemeinsame Lösungen anstatt einseitiger Klagen“, teilte er auf Anfrage des ORF Tirol mit. Sollte es tatsächlich zu einem Verfahren kommen, so werde ein Gericht entscheiden, „ob die Gesundheit einer ganzen Region über den freien Warenverkehr zu stellen ist.“ Dabei werde insbesondere die Europäische Union Farbe bekennen müssen, „wie ernst sie es mit dem eigenen Green Deal und den selbstauferlegten Klimazielen nimmt.“

Lkw-Transit auf der Inntalautobahn in Tirol
ORF
Rund 2,5 Millionen Lkw passierten im Jahr 2022 die Brennergrenze und sorgten für einen neuen Transit-Rekord

Tirol und Österreich hätten sich in den vergangenen Jahren immer verhandlungsbereit und lösungsorientiert gezeigt. Auch die gesetzten Maßnahmen seien laufend evaluiert, dokumentiert und begründet worden. „Für ein mögliches Verfahren sind wir vorbereitet und werden die Tiroler Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung verteidigen“, so Zumtobel.

Unabhängig von den Bestrebungen Italiens mit der Klage, die Fahrverbote auszuhebeln, werde in den kommenden Jahren die dringend sanierungsbedürftige Infrastruktur entlang des Brennerkorridors der verkehrslimitierende Faktor werden, meinte der Verkehrslandesrat – mehr dazu in Sanierung Luegbrücke: Gries legt sich quer.

Grüne: „Österreich bleibt gesprächsbereit“

Österreichs Verkehrs- und Umweltinisterin Leonore Gewessler (Die Grünen) verteidigte indes in einer Reaktion einmal mehr die „Notmaßnahmen“ Tirols und betonte, dass der Bund eng an der Seite des Bundeslandes stehe. Gewessler mahnte zu Verhandlungen, schließlich liege mit dem „Slot-System“ für buchbare Lkw-Fahrten auf der Brennerstrecke ein Vorschlag am Tisch.

„Darüber zu reden wäre jetzt angesagt – anstatt wöchentlich mit rechtlichen Schritten zu drohen. Salvini beweist einmal mehr, nicht an tatsächlichen Verbesserungen interessiert zu sein, sonst würde er nicht von Klagen reden, sondern an den Verhandlungstisch zurückkehren“, so die Verkehrsministerin. Österreich ist und bleibe gesprächsbereit. Dies hätten Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sie selbst am Freitag auch in einem Brief gegenüber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bekräftigt, wartete Gewessler mit einer Neuigkeit auf.

Auch der Verkehrssprecher der Grünen im Nationalrat, Hermann Weratschnig, pochte auf „Dialog und Problemlösung statt Klagsdrohungen und Krawallrhetorik“. Salvini mische sich mit „wöchentlichen Tiraden“ in den Südtiroler Landtagswahlkampf ein und solle seine „stumpfsinnige Dialogverweigerung“ aufgeben. Sinnvoller sei, „den Weg für ein vernünftiges Slot-System mit klaren Transit-Obergrenzen am Brennerkorridor freizumachen“, sagte Weratschnig.

FPÖ und Liste Fritz pochen auf Transit-Maßnahmen

Markus Abwerzger, Landesparteiobmann der FPÖ, bezeichnete den Beschluss des italienischen Ministerrates in einer Aussendung als „Angriff der italienischen und internationalen Frächterlobby auf die Gesundheit
und die Lebensqualität der Tiroler Bevölkerung“. Gleichzeitig sei es ein Beweis dafür, dass die Bemühungen Österreichs und Tirols im Kampf gegen den Transit gescheitert seien.

ABD0073_20231009 – BRENNER – ITALIEN: Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) am Montag 09. Oktober 2023 bei einem Medientermin zum Thema Transit bei der RaststŠtte Lanz am Brenner. – FOTO: APA/EXPA/JOHANN GRODER
APA/EXPA/JOHANN GRODER
Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini sind die Tiroler Anti-Transit-Maßnahmen schon länger ein Dorn im Auge

In der drohenden Klage Italiens beim EuGH sieht der FPÖ-Landesparteiobmann aber auch „eine Chance, dass das Grundrecht auf Gesundheit innerhalb der EU gestärkt werden könnte“. Experten und Juristen könnten dieses nun auf eine Ebene mit dem freien Warenverkehr stellen. Schließlich könne die EU zeigen, „ob ihr die Gesundheit der Europäer wichtiger ist, als der Profit mancher Lobbyisten, oder eben nicht“, meinte Abwerzger.

Deutlich wurde auch Liste Fritz-Obfrau Andrea Haselwanter-Schneider: „Tirol wird trotz dieser Drohgebärde seitens der italienischen Regierung keine weichen Knie bekommen und deshalb auch keinen Millimeter weichen. Diese Klage ist ein Schlag ins Gesicht der transitgeplagten Bevölkerung nördlich und südlich des Brenners und eine schmerzliche Offenbarung, wie wenig Verbündete im Kampf gegen den überbordenden Transitverkehr die Tiroler Landesregierung wie auch die österreichische Bundesregierung hat.“

Gurgiser: „Klage fehlt Rechtsgrundlage“

Laut dem Verkehrsexperten und Obmann des Transitforums Austria-Tirol Fritz Gurgiser fehle der Klage überhaupt die Rechtsgrundlage. „Denn die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit von NO2 (Stickstoffdioxid, Anm.) sind nach wie nicht unterschritten, lediglich der ‚Toleranzwert‘ erreicht“, sagte Gurgiser in einem Schreiben an die Landeshauptmänner von Tirol und Südtirol.

Darüber hinaus sieht Gurgiser die Gesundheit der Menschen durch das Europarecht geschützt. Das Prinzip des „freien Warenverkehrs“ werde durch die Tiroler Maßnahmen nicht angetastet. „Es geht immer um den Schutz der privaten und betrieblichen Anrainerschaft, die keine Alternativen wie das internationale Transport-, Logistik- und Speditionsgewerbe mit einer Reihe von Alpenübergängen auf Schiene und Straße haben“, so der Transitforum-Obmann.