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Andrea Widauer
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Kultur

„Café Schindler“ auf der Bühne

Die Proben für das Stück „Café Schindler“ haben am Tiroler Landestheater begonnen. Es geht um die Dramatisierung des Romans, in dem die Enkelin des Kaffeehausgründers die Geschichte ihrer jüdischen Familie erzählt. Einen 480-seitigen Roman auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung für das ganze Team.

Die deutsche Regisseurin Jessica Glause ist auf die Inszenierung von Romanadaptionen spezialisiert. Sie habe sogar schon Sachbücher auf die Bühne gebracht, erzählt die studierte Kulturwissenschaftlerin. So habe sie keine Scheu, bei der 480 Seiten umfassenden, autobiografischen Erzählung von Meriel Schindler, den Rotstift anzusetzen und die ineinander verwobenen Erzählstränge radikal zu kürzen.

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Bei der ersten Leseprobe erklärt Regisseurin Jessica Glause ihr Konzept. Sie will das Publikum nicht belehren, sondern berühren.

Wo sind die Dialoge?

Als die in London lebende Buchautorin Meriel Schindler die Tiroler Theaterfassung ihrer Familiengeschichte zum ersten Mal zu Gesicht bekam, fragte sie sofort aus dem Bauch heraus: „Wo sind denn die Dialoge?“

Sendungshinweis:

"Tirol heute, 7.3.2024,
19.00 Uhr, ORF2

Die zweistündigen Theaterfassung besteht aus Erzähltexten und kommt ohne direkte Rede aus. Meriel Schindler schlug dem Theaterteam spontan vor, die Dialoge selbst zu schreiben, weil die Autorin die meisten Personen natürlich gut gekannt hat und die Stimmen ihrer Verwandten teilweise noch im Ohr hat.

Doch Regisseurin Jessica Glause geht einen anderen Weg. Sie ist auf die Inszenierung von zeitgenössischen Texten spezialisiert. „Der Roman enthält sehr viele historische Fakten, doch als Theater haben wir eine andere Aufgabe. Wir machen Kunst“, sagt die Regisseurin. Die Texte sollen teilweise collageartig präsentiert werden. Dabei ist es ihr wichtig, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen den historischen Hintergrund der Figuren gut kennen und sich in die Personen hineinfühlen können. Glause bietet dem Team umfassende Hintergrundinformationen und lässt viel Zeit zum Diskutieren.

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Die britisch-österreichische Autorin Meriel Schindler beantwortet Fragen aus dem Ensemble. Dabei kennt sie keine Tabus.

Sieben mal Meriel Schindler auf der Bühne

Alle sieben Mitglieder des Ensembles werden die Geschichte von Meriel Schindler auf der Bühne erzählen. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in London. Als ihr Ehemann Jeremy Taylor zum ersten Mal von den vielen Meriels auf der Bühne erfuhr, meinte er mit britischem Humor, er könne kaum eine Meriel ertragen.

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Sara Nunius, Julia Posch oder Tommy Fischnaller-Wachtler: alle verkörpern abwechselnd Meriel Schindler auf der Bühne.

„Ich muss Meriel betrügen“

Ein Theaterstück sei kein Buch, bringt es Regisseurin Jessica Glause auf den Punkt. Sie betrachte die autobiografische Erzählung nicht als „heilig“, obwohl es eine sehr persönliche Geschichte sei. Als Regisseurin müsse sie sich diese Geschichte aneignen und ein neues Werk auf die Bühne bringen.

„Ich muss Meriel betrügen, damit ein eigenständiger Theaterabend entsteht“ formuliert es Glause drastisch. Das habe natürlich nichts mit dem Hintergehen der Autorin zu tun, sondern mit dem Treffen von klaren Entscheidungen für die Produktion. „Theater muss klug gemacht sein, es kann neue Informationen vermitteln, aber vor allem sollte es die Herzen berühren. Das Publikum darf nicht das Gefühl haben, im Geschichtsunterricht zu sitzen.“ Man müsse sich auch nicht vorbereiten, um das Stück zu verstehen, beruhigt die Regisseurin.

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Die Autorin Meriel Schindler hat kein Problem, ihre Familiengeschichte loszulassen und freut sich auf die Theaterproduktion.
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Berlin Verlag
Das Buch, in dem Meriel Schindler die Geschichte ihrer jüdischen Familie in Innsbruck erzählt, ist 2022 erschienen.

Welche Geschichte kommt auf die Bühne?

In ihrem 2022 erschienenen Buch holt Meriel Schindler weit aus und erzählt, wie ihre jüdischen Urgroßeltern Samuel und Sofie Schindler am Ende des 19. Jahrhunderts aus Böhmen nach Innsbruck gekommen sind. Damals lebten nur wenige Juden in Tirol. Als Schnapsbrenner, Likör- und Marmeladefabrikanten bauten die Schindlers ein kleines Imperium auf.

Sie legten großen Wert darauf, sich in Tirol zu assimilieren, zeigten sich in Tracht und besuchten den jüdischen Gebetsraum eher selten. Hugo Schindler war ein begeisterter Alpinist und kämpfte im Ersten Weltkrieg für den Kaiser.

Szenetreff in Zwischenkriegszeit

1922 eröffnete Meriels Großvater, Hugo Schindler das Café Schindler auf der Maria Theresien Straße im Zentrum von Innsbruck – mehr dazu in Cafe Schindler: Zeuge der Geschichte. In der Zwischenkriegszeit war es ein Szenetreff mit jazziger Livemusik und Tanz in eleganten Salons. Es gab eigene Räume für Bridge und Billard. Bis heute erzählt man sich in Innsbruck Geschichten aus dem legendären Café Schindler, vom ersten geheimen Kuss der Großeltern und rauschenden Festen.

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Werbung Café Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Das „Café Schindler“ war ein Szenetreff im Innsbruck der Zwischenkriegszeit.
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Stadtarchiv Innsbruck
Im Parterre befand sich die Konditorei, im ersten Stock war das Café und darüber lagen die Billard- und Tanzsalons.
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Stadtarchiv Innsbruck
Im Café Schindler tanzte man zu Live-Jazz-Musik. Eine Grafik aus dem Jahr 1932.
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Gabriele Müller
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Meriel Schindler
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Der Große Tanzsaal war mit einer eleganten Glaskuppel überdacht.
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Projektarchiv Niko Hofinger
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Café an die jüdische Familie Schindler restituiert.

Die Nationalsozialisten setzten der Erfolgsgeschichte der Familie Schindler ein brutales Ende. 1938 wurden die jüdischen Unternehmer enteignet, ihre Firmen wurden arisiert. In die elegante Villa Schindler am Rennweg zog der NS-Gauleiter Franz Hofer mit seiner Familie ein.

Einigen Familienmitgliedern gelang die Flucht nach London, andere wurden in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Ausschwitz ermordet. Der überzeugte Nationalsozialist Franz Hiebl bekam das Café Schindler auf der Maria Theresien Straße. Gauleiter Franz Hofer schanzte es seinem Freund zu. Die NS-Elite ging dort ein und aus und statt internationaler Jazzmusik erklang heimische Volksmusik.

Aus dem „Café Schindler“ wurde das „Café Franz Hiebl“

Die georgische Bühnenbildnerin Mai Gogishvili greift die Geschichte auf, ohne sie zu illustrieren. Auf der Bühne will sie keinesfalls ein klassisches Kaffeehaus mit Thonet-Stühlen und Marmortischchen aus den 1920er Jahren einrichten.

Die Künstlerin arbeitet bevorzugt mit Lichtelementen. So soll ein eleganter Kristallluster das Kaffeehaus symbolisieren, eine einsame Glühbirne erzählt von der schweren Zeit der jüdischen Familie in der NS-Zeit. Mit den, in unterschiedlichen Farben leuchtenden Buchstaben lässt sich der Name des Cafés auf der Bühne umschreiben.

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Die Leuchtbuchstaben für das Bühnenbild sind flexibel. Das "Café Schindler wird in der NS-Zeit in „Café Franz Hiebl“ umbenannt.

Die Autorin persönlich treffen

Nach der ersten intensiven Textarbeit trifft das Team zum ersten Mal die Autorin auf der Probebühne im Tiroler Landestheater. Die Nervosität ist spürbar. Meriel Schindler arbeitet als Rechtsanwältin in London. Für ihr Buch hat sie umfassend recherchiert. Um Fragen des Ensembles zu beantworten, ist die viel Beschäftigte extra aus London angereist. Mit dem Loslassen ihrer Geschichte habe sie kein Problem, sie sei neugierig, wolle aber keineswegs Einfluss nehmen, sagt Schindler.

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Die Autorin Meriel Schindler zeigt originale Fotos vom Café Schindler aus den 1920er Jahren aus ihrem Familienbesitz.

Die eigene Geschichte loslassen

Meriel Schindler spricht offen über ihre eigene Familie, über die komplizierte Beziehung zu ihrem Vater Kurt Schindler, der einen lockeren Umgang mit der Wahrheit hatte und auch über Familienstreitereien bis zum Suizid ihres Großonkels Otto im Jahr 1934. Die Autorin und Juristin möchte ein möglichst authentisches Bild zeichnen.

Die Regisseurin Jessica Glause lädt zusätzlich den Kurator Hannes Sulzenbacher vom Wiener Jüdischen Museum ein, sich eine Probe anzusehen. Der Expertenblick sei ihr wichtig, um nicht in eine Klischeefalle zu tappen. „Warum geht es bei jüdischen Erzählungen häufig um das Thema Geld?“ fragt Glause und betont, es komme darauf an, wie man etwas erzähle.

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Das Team startet mit intensiver Textarbeit, bevor es zu den Proben auf die Bühne im Großen Haus geht.

Eigene Bühnenmusik entsteht

Die steirische Musikerin Eva Jantschitsch, auch bekannt unter dem Pseudonym „Gustav“ wird die Bühnenmusik für die Produktion komponieren. Ihren ersten Besuch in Innsbruck fand sie so inspirierend, dass sie gleich auf der Rückfahrt mit dem Zug nach Wien einen Song geschrieben habe, erzählt die Musikerin.

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Co-Schauspieldirektorin Elisabeth Schack liest den Brief von Meriel Schindler vor, den die Autorin an das Ensemble geschrieben hat.

Botschaft gegen Antisemitismus

In dieser Geschichte gehe es nicht nur um ihre eigene jüdische Familie, die unter Antisemitismus gelitten hat. Ihr Großvater Hugo Schindler wurde in der Progromnacht im November 1938 in seiner Innsbrucker Wohnung in der Andreas Hofer Straße halb tot geschlagen. Ihre Urgroßmutter Sofie Schindler wurde in Theresienstadt ermordet.

Am 16. April um 19.00 führt Günter Lieder, der Präsident der IKG auf den Spuren der Familie Schindler durch Innsbruck.

Meriel Schindler stellt die Produktion in einen größeren politischen Zusammenhang. In einem Brief an das Theaterteam schreibt sie: "Der Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen macht mich auf so vielen Ebenen traurig. Ich fürchte um die vielen unschuldigen Menschen in Gaza, die als Flüchtlinge in den Süden gezwungen werden und die von den Israelis bombardiert werden. Ich fürchte aber auch um die gewöhnlichen Juden auf der ganzen Welt, die mit einer dramatischen Zunahme des Antisemitismus konfrontiert sind, der in der Tat, wie ein Schriftsteller es ausgedrückt hat, wie „Hefe" in der Dunkelheit existiert und zu verschiedenen Zeiten und in verschieden Formen in unserer Geschichte ausbricht.“

Am Samstag, 6. April wird das Theaterstück „Café Schindler“ am Tiroler Landestheater uraufgeführt. Bei der öffentlichen Premierenfeier wird anschließend Zac Schindler, der Sohn von Meriel Saxophon spielen. Sein Urgroßvater Hugo Schindler hat Jazzmusik geliebt.

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privat
Dieser kleine Pfeil dreht sich am Tisch. Das Trinkspiel stammt aus dem originalen Café Schindler.

Das Theaterteam arbeitet auch mit der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und dem Stadtarchiv/Stadtmuseum zusammen. Führungen zu den historischen Schauplätzen in Innsbruck werden angeboten.