Schindler
Projektarchiv Niko Hofinger
Projektarchiv Niko Hofinger
Kultur

Cafe Schindler: Zeuge der Geschichte

Die Geschichte des 1922 eröffneten Cafes Schindler erzählt auch die Geschichte des Holocaust in Innsbruck. Die Enkelin des jüdischen Unternehmers Hugo Schindler, der enteignet und vertrieben worden ist, recherchierte die Geschichte ihrer Familie und schrieb ein sehr persönliches Buch.

Beim Namen „Cafe Schindler“ leuchten heute noch die Augen einiger Innsbrucker Großeltern. Das Schindler war mehr als ein elegantes Kaffeehaus auf der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße. Hier haben sich einige Paare kennen und lieben gelernt und ihre ersten Walzer getanzt, denn im Schindler gab es nicht nur zu ebener Erde handgeschöpfte Schokolade und kandierte Früchte zu kaufen oder im ersten Stock Sachertorte zu essen.

Apfelstrudel und Jazzmusik

In dem mehrstöckigen Etablissement befanden sich auch ein großer und ein kleiner Tanzsalon und eigene Zimmer für Billard und Bridge. Das von dem erfolgreichen jüdischen Unternehmer Hugo Schindler 1922 eröffnete Cafe Schindler war der Innsbrucker Szenetreff mit Patisserie und Livemusik.

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Werbung Café Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Werbung mit einer rauchenden Frau in den 1930er Jahren: Eine Provokation für die einen, ein modernes Symbol für die anderen
Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Das Cafe Schindler in den 1920er Jahren
Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Das Cafe Schindler in der Maria-Theresien-Straße in den 1930er Jahren
Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Werbung 1932, der Kaffeehausbesitzer Hugo Schindler liebte Jazz
Schindler
Meriel Schindler
Im eleganten Kaffeehaus im ersten Stock wurde Kaffee aus der eigenen Rösterei serviert
Schindler
Meriel Schindler
Im großen Tanzsaal mit der prächtigen Glaskuppel traf sich die Innsbrucker Gesellschaft
Schindler
Meriel Schindler
Ein eigenes Billardzimmer und ein Raum zum Bridge-Spielen gehörten zum Angebot
Schindler
Gabriele Müller
Der bekannte Fotograf Richard Müller zeigt das Schindler bei Nacht. Später fotografiert Müller den Besuch von Adolf Hitler in Innsbruck.

Verwandt mit Alma Mahler und Franz Kafka

Als ihr Vater Kurt Schindler 2017 im Alter von 91 Jahren in England stirbt, beginnt die in London lebende Meriel Schindler, sich intensiv mit der Geschichte ihrer Familie auseinanderzusetzen. Ihre jahrelange, penible Recherche in internationalen Archiven und Tiroler Bibliotheken publiziert die Juristin in ihrem Buch „Cafe Schindler – meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit“, das 2022 auf Deutsch erscheint.

Nach dem Krieg wurde das Kaffeehaus restituiert, und die Familie verkaufte es. Heute existiert ein Nachfolgelokal auf der Maria-Theresien-Straße, das nur den Namen der jüdischen Familie weiterführt. Im turbulenten Schicksal des schillernden Tanzcafes spiegelt sich auch die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Meriel Schindler
Holly Falconer
Die britische Anwältin Meriel Schindler will nach dem Tod ihres Vaters Kurt Schindler der Wahrheit auf den Grund gehen. Ihr fantasievoller Vater hat ihr einige Märchen aufgetischt.

Die Innsbrucker Familie Schindler sei mit prominenten Persönlichkeiten wie Alma Mahler, geborene Schindler, dem Schriftsteller Franz Kafka und mit der von Gustav Klimt als „Goldene Adele“ gemalten Industriellengattin Adele Bloch-Bauer verwandt, wurde Kurt Schindler nicht müde, seinen Töchtern zu erzählen. Auch der durch den Film „Schindlers Liste“ weltberühmt gewordene Oskar Schindler zähle zur Verwandtschaft, behauptete Kurt Schindler überzeugt.

„Playboy und Hochstapler“

Zu ihrem Vater Kurt hat Meriel zeitlebens ein gespaltenes Verhältnis. Sie habe immer versucht, sich den Vater vom Leib zu halten, gibt Meriel offen zu, denn er sei eine „verkrachte Existenz“ gewesen. Dem Spross des wohlhabenden Innsbrucker Schindler-Clans, der 1938 im Alter von 13 Jahren mit seiner Mutter nach London flieht, gelingt es nicht, seinen Platz im Leben zu finden. Kurt habe die verlorene Größe nicht verkraftet, schreibt Meriel in ihrer Familiensaga.

Er verstrickt sich in Prozesse um die Restitution seines Vermögens. Er lebt über seine Verhältnisse, fährt teure Autos und steigt in den besten Häusern ab. Meriel wächst mit der permanenten Angst vor dem Exekutor auf. Der Vater landet dann tatsächlich für fünf Jahre im Gefängnis in London.

Will der Wahrheit auf den Grund gehen

Das ist auch ein Grund, warum die Tochter Jus studiert. „Mein Vater hat immer viele Anwälte beschäftigt, aber er hat sie nie bezahlt“, erzählt Meriel offenherzig im ORF-Interview. „Als Kind hatte ich den Eindruck, entweder man braucht viele Juristinnen, oder man sollte selbst eine sein.“ Die heute als Expertin für Arbeitsrecht in einer angesehenen Londoner Kanzlei arbeitende Meriel Schindler will der Wahrheit auf den Grund gehen.

Im ersten Kapitel beschreibt die Tochter mit entwaffnender Ehrlichkeit das getrübte Verhältnis zu ihrem charmanten, aber chaotischen Vater, den ihr amerikanischer Cousin ungeschönt als „Ganove“ und „Scharlatan“ abkanzelt. Es ist für Meriel eine schmerzhafte, geradezu therapeutische Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln. „Ich sehe die Welt anders als du“, sagt sie zu ihrem Vater. Der antwortet, dass er keine andere Wahl habe.

Hugo Schindler Besitzer vom Café Schindler
Projektarchiv Niko Hofinger
Kurt, der Vater von Meriel Schindler, und ihre Großeltern Edith und Hugo Schindler bei der 25-Jahr-Feier des Cafe Schindler

Der jüdische Leibarzt von Adolf Hitler

Auch wenn die Innsbrucker Schindlers mit Oskar Schindler von „Schindlers Liste“ nichts zu tun haben, so sind sie doch mit Hitlers Leibarzt Dr. Eduard Bloch verwandt. Meriel hat herausgefunden, dass diese bizarre Geschichte, die ihr Vater so gerne erzählt hat, eine der wenigen ist, die tatsächlich stimmt.

In der Ordination des praktischen Arztes Dr. Bloch taucht 1907 eine mittellose Patientin namens Klara Hitler auf. Der Arzt diagnostiziert Brustkrebs im Endstadium. Der 18-jährige Adolf Hitler ist ein zarter, blasser, junger Mann, der seine Mutter aufopfernd bis zu ihrem Tod pflegt, schreibt Eduard Bloch in seinem Tagebuch.

Der nach den Nürnberger Rassegesetzen als Volljude eingestufte Bloch wird für kurze Zeit zum Leibarzt von Hitler, bevor der an der Wiener Kunstakademie sein Glück versucht. Die Familie Bloch steht dann weiterhin unter dem Schutz des Diktators und kann später mit Visa ausgestattet in die USA emigrieren. Zwei von Hitler persönlich an Bloch geschriebene Ansichtskarten zeugen von dieser unglaublichen Beziehung.

Schindler
Berlin Verlag
Die Enkelin des Kaffeehausgründers hat die Geschichte ihrer verzweigten jüdischen Familie recherchiert und mit den originalen Kuchenrezepten aus dem Cafe Schindler publiziert.

Geschichten als kostbares Erbe

Die Auseinandersetzung mit ihren Vorfahren habe ihr geholfen, sich der ambivalenten Vaterfigur anzunähern, sagt Meriel Schindler. „Als junge Frau war ich sehr zornig auf meinen Vater, heute bin ich ruhiger geworden“, sagt die 58-jährige Britin, die seit Kurzem auch österreichische Staatsbürgerin ist und sich vorstellen könnte, ihre Pension in Tirol zu verbringen.

Ihr reales Erbe habe sie nicht angetreten, da das kleine Cottage in Hampshire, wo der an Demenz erkrankte Vater zuletzt gelebt hatte, hoch verschuldet gewesen sei. Alles, was sie geerbt hat, sind 13 Fotoalben, wertvolle Dokumente, prall gefüllt mit Erinnerungen. Die abenteuerlichen Geschichten, die Kurt immer wieder und immer wieder anders erzählt hatte, schätze sie heute. Diese nicht klar in Schwarz und Weiß zu trennenden Geschichten will sie weitererzählen. „Mein Vater hat mir ein paar Rätsel vererbt“, schmunzelt sie.

Der jüdische Nationalsozialist

Zum breiten Spektrum gehört auch das Schicksal des jüdischen Großcousins Egon Dubsky, der in den 1930er Jahren vergeblich versucht, seine Haut und seine Spirituosenfabrik durch den Übertritt zum katholischen Glauben und durch das Sympathisieren mit den Nationalsozialisten zu retten. Er wird in das Arbeitserziehungslager in der Innsbrucker Reichenau gebracht. Der Gestapo-Chef Werner Hilliges ermordet Dubsky 1943 aus einer Laune heraus durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe. Meriel Schindler setzt sich heute für ein wertschätzendes Gedenken an die Opfer des Arbeitserziehungslagers in der Reichenau ein.

Mit ihren ausführlichen Recherchen beginnt die Autorin im 19. Jahrhundert. Sie stamme ursprünglich von böhmischen Branntweinherstellern ab, findet Meriel Schindler heraus. Die ersten jüdischen Familien kommen in den 1870er Jahren nach Innsbruck, als Kaiser Franz Joseph der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsbürgerschaft die Möglichkeit gibt, sich in der Monarchie frei zu bewegen.

Schindler
Projektarchiv Niko Hofinger
Der Briefkopf der Firma Samuel Schindler in der Andreas-Hofer-Straße 13 im Jahr 1913

Böhmische Branntweinhersteller als Ahnen

Samuel Schindler kommt mit seiner Frau Sofie aus Böhmen nach Innsbruck. Im Stadtteil Wilten beginnt er, mit der ersten Tiroler Fruchtsaftpresserei und Spirituosenfabrik ein kleines Imperium aufzubauen. Später kommt eine Marmeladenfabrik in der Karmelitergasse dazu.

Die Schindlers tun alles, um sich in die Innsbrucker Gesellschaft zu integrieren. Im Ersten Weltkrieg kämpfen ihre Söhne Hugo, Erich und Erwin überzeugt für Kaiser und Vaterland. Hugo, der Älteste präsentiert sich als dekorierter Offizier der Landesschützen.

Familie Schindler
Elisabeth Vickers
Das Familienfoto kurz vor dem Aufbruch an die Front: Sofie und Samuel im Vordergrund, Erich, Erwin und Hugo hinter ihnen

Ein Jude als verwurzelter Tiroler

Der 1888 in Innsbruck geborene Hugo Schindler fühlt sich in Tirol zu Hause. Er liebt die Berge und ist Mitglied des Innsbrucker Alpenvereins. Mit dem zunehmenden Antisemitismus werden ab 1921 nur noch arische Mitglieder in den Alpenverein aufgenommen. Hugo Schindler ist nicht streng gläubig und besucht den Gebetsraum wohl eher selten. So ist sein Tanzcafe auch am Sabbat geöffnet, es werden Brötchen mit Schinken serviert, und seine Gäste amüsieren sich bei Livemusik. Der dann später von den Nationalsozialisten als „entartet“ verteufelte Jazz erklingt auf der Maria-Theresien-Straße.

Villa Schindler Edith, Kurt und Hugo Schindler
Erich Schindler
Edith, Kurt und Hugo Schindler vor ihrer Villa am Rennweg 10

Hugo Schindler ist ein geschickter Unternehmer und ein bemühter Gastgeber. In der Spirituosenfabrik in der Innsbrucker Andreas-Hofer-Straße 13 werden Schnäpse aus Südtiroler Obst fabriziert. Sogar einen zur Adresse der Firma passenden und nach dem Tiroler Freiheitskämpfer benannten „Andreas Hofer Kräuterlikör“ produzieren die jüdischen Unternehmer.

1927 lässt sich der Geschäftsmann am Rennweg im Innsbrucker Stadtteil Saggen eine großzügige Villa von Architekt Hermann Muthesius planen. Der Bau im englischen Landhausstil ist das letzte Werk des prominenten Berliner Architekten. Die Frau von Hugo, Edith Schindler, stammt aus einer wohlhabenden Wiener Unternehmerfamilie. Mit dem einzigen Sohn Kurt posiert sie hoch zu Ross im Garten vor dem gerade fertig gestellten Bau. Die Familie hält Hof und lädt zu illustren Partys, doch die Schindlers können ihr Heim nur wenige Jahre genießen.

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Gauleiter Franz Hofer
Stadtarchiv Innsbruck
Aufmarsch von Nationalsozialisten auf der Maria-Theresien-Straße im Mai 1933, direkt unter den Fenstern des Kaffeehauses
Hakenkreuz über der Nordkette
Stadtarchiv Innsbruck
Überdimensionales Hakenkreuz über der Nordkette auf einer Ansichtskarte
Hitler in Innsbruck
Stadtarchiv Innsbruck
Maria-Theresien-Straße im März 1938
Adolf Hitler und Gauleiter Franz Hofer
Stadtarchiv Innsbruck
Adolf Hitler mit Gauleiter Franz Hofer (rechts)
Hakenkreuz auf der Nordkette
Stadtarchiv Innsbruck
Die Nordkette mit nationalsozialistischer Propaganda

Die Geschäfte des Gauleiters

Mit der Wahl von Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler 1933 bekommen die illegalen Nationalsozialisten in Österreich Aufwind. Bei Aufmärschen demonstrieren sie Präsenz. Das Leben für die wenigen Jüdinnen und Juden in Innsbruck wird zunehmend schwierig. Die Tausend-Mark-Sperre ist ein schwerer Schlag für den Tourismus und auch für das Cafe. Nach dem Anschluss im März 1938 verlassen viele jüdische Familien die Stadt. Auch die sich in Innsbruck nie wirklich heimisch fühlende Edith Schindler flieht nach London. Der Sohn Kurt folgt ihr im September.

Hugo Schindler zögert dagegen, seine Heimat zu verlassen. Er versucht vergeblich, seine Firmen zu verkaufen. Mit einem über die Innsbrucker Sparkasse abgewickelten Scheinverkauf gelingt es Gauleiter Franz Hofer, in den Besitz der Villa Schindler am Rennweg zu gelangen. Hofer vermeidet es, direkte Geschäfte mit einem Juden zu machen.

Villa Schindler Rennweg 10
Stadtarchiv Innsbruck
Der Berliner Architekt Hermann Muthesius plant 1927 die elegante Villa im Innsbrucker Stadtteil Saggen. Heute befindet sich dort das Institut für Biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck

Schlutzkrapfen-Essen mit dem Gauleiter

Der ursprünglich als Radioverkäufer in der Maximilianstraße arbeitende Hofer hatte die Villa Schindler schon länger im Auge. Meriel Schindler beschreibt in ihrem Buch die absurde Szene, wie Hofer im Sommer 1938 an der Tür am Rennweg läutet und nur der 13-jährige Kurt zu Hause ist. Der führt den unbekannten Uniformierten durchs Haus, ohne zu ahnen, wen er da vor sich hat. Der Gauleiter zieht dann mit seiner Frau und sieben Kindern in das Haus der Schindlers. Ab 1945 residieren die amerikanischen, später die französischen Besatzer in einem der prächtigsten Häuser von Innsbruck.

Nach dem Krieg spürt Kurt Schindler den im deutschen Mühlheim an der Ruhr untergetauchten Franz Hofer auf eigene Faust auf. Nun läutet der jüdische Unternehmersohn an der Tür des ehemaligen NS-Funktionärs. Doch alles, was Kurt fordert, ist die entgangene Miete für die sieben Jahre, die Hofer in seiner Villa gewohnt hat. Das besiegeln die beiden bei einem Glas Wein und Südtiroler Schlutzkrapfen. Die österreichischen Behörden informiert Kurt Schindler nicht. Diese unglaubwürdige Begegnung habe tatsächlich stattgefunden, bestätigt Meriel Schindler.

Meriel Schindler
ORF
Alles, was Meriel Schindler geerbt hat, sind 13 Fotoalben. Die Juristin hat die Geschichte ihrer Familie intensiv recherchiert.

„Wenn der Jude kaputt geht, ist es auch egal …“

In der Pogromnacht im November 1938 wird Meriels Großvater, Hugo Schindler von einem NS-Schlägertrupp in seiner Wohnung in der Andreas-Hofer-Straße überfallen, zusammengeschlagen und mit einer Rodel am Kopf lebensgefährlich verletzt. In einem Protokoll heißt es: „Ihr geht’s zum Schindler in die Andreas-Hofer-Straße und schlagt’s den Juden so her, dass er ins Spital muss, und wenn er kaputtgeht, ist’s auch gleich, ihr seid’s gedeckt, die Polizei ist von der Straße weg.“

Kurt Schindler erzählt seiner Tochter später häufig, wie schrecklich es sei, als Kind dabei zuschauen zu müssen, wie der Vater halb totgeprügelt wird. Doch Meriel entlarvt ihren Vater als Lügner, der zu diesem Zeitpunkt längst in London in Sicherheit gewesen ist.

„Vielleicht wollte er vor Gläubigern seine Opferrolle hochstilisieren, vielleicht hat Kurt die Geschichte auch so oft erzählt, dass er sie am Ende selbst geglaubt hat“, mutmaßt Meriel Schindler, die sogar bei Kurts Psychiater recherchiert hat. „Als Rechtsanwältin bin ich es gewohnt, dass sich Zeugen nicht an alles genau erinnern. Viele wollen als Helden in ihren Geschichten auftreten.“ Heute tue es ihr leid, dass sie mit ihrem Vater so wenig gesprochen habe.

„Horst-Wessel-Lied“ statt Jazzmusik

Im Dezember 1938 gelingt Hugo Schindler die Flucht nach London. Der überzeugte Nationalsozialist und Gastronom Franz Hiebl reißt sich das Kaffeehaus um einen Scheinbetrag unter den Nagel. Das Cafe Hiebl wird zum Treffpunkt der Innsbrucker NS-Elite. Ab 1938 erklingen dort keine jazzigen Töne mehr, sondern Parteilieder und Volksmusik. Auch die Spirituosenfabrik in der Andreas-Hofer-Straße wird arisiert und an Erwin Jäger verkauft, die Marmeladefabrik in der Karmelitergasse geht an Franz Brugger.

Schindler
Projektarchiv Niko Hofinger
Das mit Hassparolen beschmierte Cafe Schindler im April 1938, zwei Passantinnen posieren lächelnd vor dieser „Sensation“

Profifotos von der alten Pracht für einen Neustart

Bevor er flieht, legt Hugo Schindler ein aufwendiges Fotoalbum an, um seine Unternehmen und die Stellung seiner Familie in der Heimat zu dokumentieren. Ein Profifotograf nimmt die verlorene Welt auf, die Tanzsäle, den Billardraum und die großen Fässer in den Kellern der Marmeladefabrik in der Karmelitergasse. Dieses auf Deutsch und auf Englisch beschriftete Album soll den Neustart im Exil erleichtern. Hugo plant, in London ein neues Cafe Schindler zu eröffnen, doch daraus wird nichts. Das außergewöhnliche Album hat die Flucht überlebt.

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Schindler
Meriel Schindler
Fotos von der alten Pracht sollen den Neustart im Exil erleichtern
Schindler
Elisabeth Vickers
Die Marmeladefabrik in der Karmelitergasse, Hugo Schindler posiert vor seinem Auto
Café Hiebler
Stadtarchiv Innsbruck
Franz Hiebl führt das Cafe in der NS-Zeit als Cafe Hiebl weiter, jetzt erklingen dort keine jazzigen Töne mehr
Schindler
Stadtarchiv Innsbruck
Das Cafe wird durch einen Bombentreffer beschädigt
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Projektarchiv Niko Hofinger
Nach dem Krieg übernehmen die Schindlers das Kaffeehaus wieder und präsentieren sich mit der Belegschaft, 1947

Der Name „Schindler“ lebt weiter

Hugo Schindler ist einer der wenigen jüdischen Unternehmer, die nach dem Krieg nach Innsbruck zurückkehren. Es ist ein mühsamer Weg, doch er bekommt das zerbombte Kaffeehaus zurück und beginnt es herzurichten. 1952 stirbt der Unternehmer an einem Herzinfarkt an seinem Schreibtisch. Die Restitution seiner Villa am Rennweg erlebt er nicht mehr. Seine Witwe Edith verkauft das Haus und übersiedelt nach London.

Als die Enkelin Meriel Schindler mit ihrem Mann und ihren drei Kindern 2015 nach Innsbruck kommt, fällt sie aus allen Wolken, als sie auf der Maria-Theresien-Straße ihren Namen in großen Lettern genau an der Stelle sieht, wo sich das Cafe ihres Großvaters befunden hat. Das sei ein magischer Moment für sie gewesen, sagt sie. Meriel Schindler hat kein Problem damit, dass der Familienname weiter genützt wird. Es freut sie sogar, dass das Cafe, wenn auch mit Unterbrechungen, heuer seinen 100. Geburtstag feiert. Es sei eines der wenigen jüdischen Unternehmen, das zumindest als Name in Innsbruck heute noch präsent sei.

Schindler
ORF
Die Enkelin des Kaffeehausgründers blickt aus dem neuen Cafe Schindler auf die Maria-Theresien-Straße

Geschichte aus dem Blick des Kaffeehauses

Meriel Schindler erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Cafes im ersten Stock. Es sei ein Zeuge der historischen Ereignisse, die sich unter den Augen ihres besorgten Großvaters auf der Maria-Theresien-Straße abgespielt haben. „Man muss nicht nur weit entfernte Konzentrationslager besuchen, um über diese Zeit etwas zu lernen“, findet Meriel. Im Kaffeehaus mitten in der Stadt zu sitzen, einen Apfelstrudel zu genießen und dabei nachzudenken, das sei auch ein guter Weg, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, findet die lebensbejahende Familienforscherin.

In ihrem 480 Seiten umfassenden Buch holt die Autorin weit aus. Mit ihrer Familie wandert sie die Frontlinien des Ersten Weltkriegs in Südtirol ab, und stellenweise entsteht der Eindruck, sie wolle alle Details festhalten, die sie herausgefunden hat. Das „Café Schindler“ bietet eine üppige, aber keineswegs schwer verdauliche Lektüre.