Seit Wochen lähmte Galtür intensiver, noch nie da gewesener Schneefall. Ortschef Anton Mattle war am 23. Februar 1999 um 16.00 Uhr gerade dabei, ein Rundschreiben an Urlauber und Einheimische zu verfassen, noch ein paar Tage durch- und zusammenzuhalten, als just in diesem Moment die Jahrhundertlawine ins Tal donnerte. Im Ort wurde es finster.
Es sei ein Ereignis gewesen, das die Wertigkeiten korrigierte, sagt Anton Mattle, jetzt Landeshauptmann von Tirol, 25 Jahre danach. Was zuvor Priorität hatte, war plötzlich nicht mehr wichtig. Er lebe noch heute mit der Verantwortung von damals.
14 Stunden lang blieb Galtür ohne Hilfe von außen, weil das Wetter keine Flüge zuließ. Tagelang wurde nach Opfern und Verschütteten gesucht. Elf Häuser wurden im vermeintlich sicheren Ortsteil Winkl von den Schneemassen zum Teil mitgerissen. 31 Menschen konnten nicht mehr gerettet werden.
Einen Tag später folgte die nächste Hiobsbotschaft. Eine weitere Lawine ging wenige Kilometer von Galtür entfernt auf den Ischgler Weiler Valzur nieder. Zehn Menschen wurden verschüttet, sieben starben. Insgesamt forderten die Lawinen von Galtür und Valzur 38 Menschenleben.
Trauer im Tourismusort
18.000 Menschen wurden nach dem Unglück aus dem Tal evakuiert, wochenlang wurde aufgeräumt und wiederaufgebaut. Die Aufarbeitung dauerte jahrelang. Als alle Touristen und Saisonarbeiter weg waren, wurde es dunkel im Ort, erinnert sich der jetzige Bürgermeister von Galtür, Hermann Huber. Der Umgang mit den menschlichen Tragödien auf der einen und Galtür als Tourismusort auf der anderen Seite wurde zum Spagat.
Erst fünf Jahre nach der Lawine waren die Tourismuszahlen wieder auf Vorunglücksniveau. 25 Prozent Einbußen verbuchten die Betriebe in der Zwischenzeit. Im ersten Jahr habe man das Wort „Vermarktung“ nicht in den Mund genommen, man habe auf Informationen über die aktuellen Sicherheitsmaßnahmen auf dem Berg und im Tal gesetzt, erzählt der ehemalige Geschäftsführer des Tourismusverbandes, Gerhard Walter.
Schutzmauer, Verbauungen, Alpinarium
Noch im Sommer 1999 wurden in Galtür umfangreiche Lawinenverbauungen in Angriff genommen. Zwei 104 bzw. 360 Meter lange und bis zu zwölf Meter hohe Dämme aus Naturstein wurden in kürzester Zeit errichtet. Unmittelbar dahinter entstand vier Jahre später das Alpinarium, ein Zentrum über den Lebens- und Kulturraum hochalpiner Regionen mit einer Gedenkstätte für die Lawinenopfer.
Auf dem Grieskogel, von dem die Lawine ins Tal donnerte, wurde ebenfalls eine Verbauung mit Stahlschneebrücken angebracht. Die zerstörten Häuser wurden unter strengen Bauauflagen wieder errichtet. Insgesamt wurden in Galtür zehn Millionen Euro in den Lawinenschutz investiert.
Der Lawinenwinter 1999 hat aber auch vieles in ganz Tirol bewegt und ausgelöst – die Anschaffung von Black Hawks durch das Österreichische Bundesheer etwa, zudem war die Katastrophe in Galtür der Auslöser für die Einführung der Leitstelle Tirol und eines digitalen Funks für alle Einsatzorganisationen. Auch die Krisenintervention wurde nach Galtür schrittweise flächendeckend ausgebaut. Beim Roten Kreuz arbeiten inzwischen 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich.
Zudem werden seitdem Wettermessdaten international ausgetauscht. Die Katastrophe gab Anlass, in allen Gemeinden die roten Gefahrenzonen zu verschärfen. Die Schutzbauten haben in Tirol mittlerweile ein Ausmaß von fast 400 Kilometern angenommen. Beim Lawinenwarndienst wird mittlerweile künstliche Intelligenz eingesetzt, um Lawinenvorhersagen zu erleichtern.
Leben mit der Verantwortung
Dass Galtür auch 25 Jahre danach noch mit der Katastrophe in Verbindung gesetzt wird, belaste nicht. Gemeinsam darüber zu reden war stets ein wesentlicher Teil der Trauerarbeit, bis heute, sagt Landeshauptmann Mattle. „Es ist ja nicht so, dass nachdem die Staatsanwaltschaft die Verfahren eingestellt hat und es keine zivilrechtlichen Klagen gegen die Verantwortungsträger von Galtür gegeben hat, man selber abschalten kann“, so Mattle.
Natürlich begleite ihn diese Verantwortung am 23. Februar bis heute. Es begleite ihn die Erinnerung an die 31 verstorbenen Mitmenschen, sagt Landeshauptmann Mattle. Sein Weg des Verarbeitens sei es bis heute, auf die Hinterbliebenen zuzugehen. Die Katastrophe ist im Dorf Galtür heute kaum noch sichtbar, in der Erinnerung aber sehr wohl. Und das vermutlich für immer.