Lkws auf der Europabrücke im Kolonnenverkehr
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Politik

Streit über Tirols Transitpolitik

Der Europarechtler Walter Obwexer hat die Kritik von Transitforums-Chef Fritz Gurgiser an der Tiroler Transitpolitik zurückgewiesen. Gurgiser hatte harsche Kritik an der Transitpolitik der Tiroler Landesregierung geübt. Für Obwexer sind Gurgisers Aussagen unsachlich und rechtlich völlig falsch.

Gurgiser hatte unter anderem die Ausnahmen vom sektoralen Lkw-Fahrverbot kritisiert. Dass nunmehr Lkw der Euroklasse 6D vom Fahrverbot ausgenommen werden sollen, mache die Regelung erneut „wertlos“, so Gurgiser. Es handle sich um denselben „Kapitalfehler“, den das Land Tirol schon im Jahr 2016 vor der Verordnung des bestehenden Fahrverbotes begangen habe. „Damals haben sie sich in Brüssel die gesamte Euro 6-Klasse aufschwatzen lassen und diese vom Verbot ausgenommen“.

Gurgiser: Land hat sieben Jahre verschlafen

Seit der Aufhebung des damaligen Fahrverbotes 2012 durch den Europäischen Gerichtshof habe das Land sieben Jahre verschlafen. Man habe ständig auf die Kommission geschielt. „Wenn, dann ist der EuGH die Institution, die irgendwann mal über das Fahrverbot entscheiden wird". Das letzte Mal habe das Höchstgericht das Fahrverbot ja nur deshalb aufgehoben, weil das Land Tirol den „Dauer Tempo-100er“ auf der Inntalautobahn wieder aus der Verordnung herausgenommen habe.

Für Obwexer sektorales Fahrverbot nicht wertlos

Für den Europarechtsexperten der Uni Innsbruck, Walter Obwexer, ist das sektorale Fahrverbot keinesfalls „wertlos“ und schon gar kein „Nullum“, wie Gurgiser behauptet hatte, so Gurgiser. Die Ausnahme für die neuste Motorentechnologie Euro 6D beim sektoralen Fahrverbot soll ein Anreiz für ein rasches Umrüsten auf den umweltfreundlichsten Standard sein, so der Europarechtsexperte. Das sektorale Fahrverbot müsse so zwar in wenigen Jahren wieder nachgebessert werden – also die Euro 6D einbezogen werden, wenn eine neuere Technologie vorliegt bzw. wenn im Transitverkehr überwiegend Euro 6D unterwegs sind, wertlos sei es dadurch aber keinesfalls.

Lkws im Stau
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Machen Ausnahmen das sektorale Fahrverbot wertlos? Das ist die Streitfrage

Dass das sektorale Fahrverbot Wirkung habe, zeige nicht zuletzt die Tatsache, dass Deutschland und Italien das Fahrverbot – gemeinsam mit anderen verkehrsbeschränkenden Maßnahmen Tirols – mit einer Vertragsverletzungsklage gegen Österreich vor dem EuGH bekämpfen wollen. „Ein ‚Nullum‘ bräuchte nicht gerichtlich bekämpft werden“, betonte Obwexer.

Zur Kritik von Gurgiser, das Land habe sieben Jahre verschlafen und ständig auf die Kommission geschielt, sagt Obwexer, diese Verhandlungen seien rechtlich geboten gewesen, da die Kommission als „Hüterin der Verträge“ als erste zu prüfen habe, ob mitgliedstaatliche Maßnahmen mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Zudem müssten „eingriffsintensive Maßnahmen“ wie das sektorale Fahrverbot der Kommission sogar im Voraus mitgeteilt werden.

Maßnahmen erfordern wichtige Gründe

Obwexer verteidigte zudem den von Gurgiser kritisierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Auch wenn die Zunahme des Verkehrs durch Tirol umgangssprachlich ‚unverhältnismäßig‘ sein mag, hat dies nichts mit den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu tun“, so Obwexer. An diesem Grundsatz sei auch die Blockabfertigung ausgerichtet. „Jede Verschärfung dieses System muss durch wichtige Gründe gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Andernfalls wäre es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und dürfte nicht angewendet werden“, fügte der Europarechtsexperte hinzu.

Die Beachtung des Unionsrechts in der Transitpolitik des Landes Tirol habe dazu geführt, dass ein ganzes Bündel von Maßnahmen gesetzt und angewendet werden konnte. „Überzogene Maßnahmen, wie Herr Gurgiser sie populistisch fordert, würden am Unionsrecht scheitern und die Transitpolitik das Landes in eine Sackgasse führen – zum Schaden des Landes und seiner Bevölkerung“, erklärte Obwexer.

Bulc drängt auf einvernehmliche Lösung

EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc drängt im Hinblick auf die Fahrverbote in Tirol auf eine einvernehmliche Lösung. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hält an den Fahrverboten fest und fordert Gespräche über eine Korridormaut. Mehr dazu in Platter zu Bulc: Fahrverbote bleiben.