In Tirol werden 2.100 Almen bewirtschaftet, die Tendenz ist fallend. Vor allem die Zahl der Milchkühe, die ihre Sommerfrische auf der Alm verbringen, ist in den letzten zehn Jahren gesunken. Die Bodenalm im Zillergrund ist ein extremes Beispiel. Es ist eine der letzten Melkalmen in Tirol, die keine Zufahrt hat. Die vier Besitzer kämpfen seit Jahren um eine Straße, doch sie haben wenig Aussicht auf Erfolg. Für eine Zufahrt müsste man im Ruhegebiet im Naturpark Zillertal sprengen. Die Baukosten wären enorm.
Almabtrieb über barocke Steinstufen
Sendungshinweis
„Österreich Bild“
Dokumentation am Feiertag
Regie: Teresa Andreae
In der TVthek zum Nachsehen
„Wenn wir keinen Weg bekommen, werde ich wohl der letzte Hirte auf der Bodenalm sein“, sagt Johann Stock „Honis“. Der Mitbesitzer hat das Vieh in den letzten Jahren allein gehütet. Früher haben wesentlich mehr Menschen mitgeholfen, ein Melker, ein Putzer, ein Schäfer und ein Käser. Doch wer kann sich heute noch so viel Personal wie früher leisten?

„Von der Romantik allein können wir nicht leben“, fügt Honis bitter hinzu. Die Materialseilbahn, mit der die Milch bisher ins Tal gebracht worden ist, wurde im Sommer 2021 durch einen Steinschlag zerstört. Johann Stock hat wenig Hoffnung. „Wenn wir nicht bald eine Zufahrt bekommen, ist es aus!“
Kühe haben Muskelkater
Im Herbst müssen die Tiere über barocke Steinstufen über 600 Höhenmeter hinunter ins Tal klettern. Diesen spektakulären Weg haben die Vorfahren von Johann Stock im Jahr 1764 in den Fels gehauen. Die behäbigen Rinder balancieren zwar überraschend geschickt über den schmalen Steig, doch es ist eine Quälerei für Mensch und Tier.
„Die Kühe leiden danach unter Muskelkater und Verstauchungen“, beschreibt Honis die Strapazen. Auch für die Treiber sei der Abstieg gefährlich. „Wenn man zwischen die Tiere gerät und eines ausrutscht, wird man zerquetscht.“ Johann Stock befürchtet, dass einmal etwas passieren könnte. Auch wenn die Alm seit mehr als 250 Jahren bewirtschaftet wird, denken die Bauern daran, die Alm im Zillergrund aufzulassen.

Wir werden international beneidet
Theresa Mitterer-Leitner vom Innsbrucker MCI ist selbst auf einem Bauernhof im Tiroler Unterland aufgewachsen und beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema Alm. Die Tourismusforscherin analysiert zum Beispiel Nutzungskonflikte, die zwischen Tourismus und Landwirtschaft entstehen.
Auf internationalen Kongressen sagen ihr immer wieder Kolleg*innen, etwa aus den USA oder aus Schweden, dass sie Tirol um die uralte, gepflegte Kulturlandschaft beneiden würden. „Wenn eine Almwirtschaft einmal aufgelassen ist“, erklärt die Forscherin, „lässt sie sich nur sehr schwer wiederbeleben.“

Die Alm als Glücksfall
„In einer Zeit, in der sich viele Menschen regional produzierte Lebensmittel wünschen, ist die Alm ein Glücksfall“, betont Mitterer-Leitner. „Dass wir diese Form der Bewirtschaftung noch haben, ist etwas, worum wir international beneidet werden. Wenn man in der Lebensmittelproduktion heute innovativ sein wollte, müsste man die Alm jetzt neu erfinden!“

Herdenschutzprojekt im Verwall
Im Verwalltal, das sich von St. Anton am Arlberg Richtung Süden öffnet, trotzt die engagierte Hirtin Anita Gnigler den großen Beutegreifern mit einem aufwendigen Herdenschutzprojekt. Im Juli 2021 haben Bär und Wolf in diesem Gebiet 19 Schafe gerissen, 25 wurden vermisst.
Alfons Falch verwaltet dieses Gebiet, das mit 4500 Hektar eines der größten Almgebiete in Tirol ist. Seine Funktion bezeichnet man seit dem zwölften Jahrhundert auch als „Gewalthaber“ im „Zweidrittel-Gericht“. Nach den Rissen im Verwalltal hat Falch schnell reagiert und in Absprache mit den zehn zuständigen Bürgermeistern für diesen Sommer ein Herdenschutzprogramm initiiert, das vom Land Tirol finanziell unterstützt wird.

Auf- und Abbauen der Zäune im Hochgebirge
Die Hirtin Anita Gnigler und ihr Partner Peter Niedermair sind mit dem Auf- und Abzäunen von kilometerlangen Netzzäunen beschäftigt. Die beiden haben jahrelang in der Schweiz gehütet und viel Erfahrung mit der gelenkten Weideführung. Nun arbeiten sie zum ersten Mal in Tirol. Im hochalpinen Gelände ist das Zäunen eine Herausforderung sowohl zeitlich als auch körperlich. Niedermair meint scherzend, mit einem Fußballplatz könne man das Gelände nicht vergleichen.
In der Nacht treiben sie die Schafe in einen Ruheplatz, der mit einem 1,20 Meter hohen Herdenschutzzaun gesichert ist. Der Zaun ist mit mehr als 4.000 Volt geladen. Für die Hirtenhunde ist der ungeladene Zaun allerdings kein großes Hindernis. Die springen aus dem Stand darüber.

Aufstehen mit einem flauen Gefühl im Bauch
In der Früh hat die Hirtin immer Herzklopfen, ob alle Schafe im Gehege noch am Leben sind. „Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich angeknabberte Schafe finde“, sagt Gnigler. „Ich betreibe diesen Aufwand mit dem Herdenschutz, weil ich will, dass es den Tieren gut geht. Es ist so schön zu sehen, wie friedlich sie hier grasen. Ich schaue mir das in diesem Sommer einmal an, dann entscheide ich, ob ich es weiter so machen werde.“ Ihre persönliche Meinung sei, dass man den Wolf regulieren müsse, genauso wie andere Wildtiere auch.

Vom Büro auf die Alm
Die 54-jährige Salzburgerin hat früher in einem Steuerberatungsbüro als Buchhalterin gearbeitet und dann über Umwege ihren Lebenssinn auf der Alm gefunden. „Wenn ich einmal sterbe, möchte ich sagen, dass ich ein glückliches Leben geführt habe. Das Hüten macht mich zufrieden und glücklich.“
Trotz der Strapazen, den 14 Stunden Tagen und das sieben Mal in der Woche, könnte sich Anita keinen schöneren Job vorstellen. „Im Sommer sollte man eine Hirtin nie fragen, ob sie im nächsten Jahr wieder auf die Alm gehen will. Da denke ich schon manchmal ans Aufhören. Doch spätestens im Jänner zieht es mich wieder hinauf auf den Berg“, schmunzelt die leidenschaftliche Hirtin.

Wenn die Aasgeier kreisen
Franz Josef Holzknecht hat zwanzig Jahre lang auf der Innerberg Alm oberhalb von Längenfeld im mittleren Ötztal als Hirte gearbeitet. Das karge Gelände ist für Milchkühe weniger geeignet, daher weidet hier vor allem Galtvieh. So bezeichnet man das Jungvieh, das „galt“ also „trocken“ ist und noch keine Milch gibt.
Im weit verzweigten Almgebiet grasen auch 400 Schafe, wo es ihnen gefällt. Die Tiere sind im Gegensatz zu den Schafen im Verwalltal sich selbst überlassen. Der Hirte bringt ihnen alle paar Tage einmal Salz vorbei. Risse durch große Beutegreifer würde man trotzdem bemerken, erklärt Franz Josef Holzknecht. „Spätestens wenn die Aasgeier über den Böden ihre Kreise ziehen, weiß man, dass etwas passiert ist“, sagt der erfahrene Ötztaler Hirte.

Mit dem Herdenschutz kann sich Holzknecht nicht anfreunden. Das sei im hochalpinen Gelände nur sehr schwer machbar, betont er. Dieser Meinung sind auch viele Tiroler Bauern, die nur wenige Schafe im Stall stehen haben. Sie wollen nicht im Winter „Wolfsfutter“ produzieren, wie sie überspitzt formulieren.

Kuh, Schaf, Wolf & Klima
Auch das Klima setzt die Almen unter Druck. Durch die höheren Temperaturen schmilzt der Permafrost im Hochgebirge, der felsiges Terrain bisher zusammen gehalten hat. Felsstürze und Muren sind die Folgen. Durch die Klimaerwärmung steigt die Waldgrenze langsam nach oben. Wenn weniger Tiere aufgetrieben werden, wachsen die Weideflächen immer mehr zu. In der Dokumentation am Feiertag „Kuh, Schaf, Wolf & Klima“ besucht Teresa Andreae mit ihrem Team entlegene Almen in Tirol und zeigt die nicht verkitschte Realität.