Koffer, Rucksäcke, eine Schreibmaschine und Reisepässe – die historischen Objekte erzählen von Auswanderung, Ankunft und Ausgrenzung. In einem Raum der Südtiroler Siedlung in der Innsbrucker Gumppstraße finden die Zeugnisse der Vergangenheit derzeit ihren Platz.
Genau da, wo vor über 80 Jahren Zehntausende Südtirolerinnen und Südtiroler eine neue Heimat gefunden haben, entsteht ein neuer Ort der Vermittlung. „In den Südtiroler Siedlungen sind die Vereine entstanden, wo man versucht hat, den Leuten zu helfen“, sagt Helmuth Angermann, Präsident des Gesamtverbandes der Südtiroler in Österreich. Diese Geschichte soll jetzt in einer Dokumentation dargestellt werden um sie der Nachwelt zu erhalten.
Fremde Sprache in fremdem Land
Erhalten geblieben sind etwa Erinnerungen von der Umsiedlung in eine fremde Welt, wie der 97-jährige Zeitzeuge Franz Trebo erzählt. Er ist damals mit seiner Familie von Enneberg im Gadertal nach Tirol ausgewandert. Der Neubeginn sei besonders schwierig gewesen, weil er fast kein Deutsch sprechen konnte. „In Enneberg spricht man Ladinisch, ich war 14 Jahre alt und bin dann noch einmal drei Jahre in die Volksschule gegangen. Ich bin das erste Mal Musterung gegangen, als ich noch in der Volksschule war“, meint Trebo.
1939 hatten Adolf Hitler und Benito Mussolini ein Abkommen für die Umsiedlung von deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern abgeschlossen. Die Menschen sollten vor die Wahl gestellt werden, ob sie bleiben oder ins Deutsche Reich gehen wollen. Zwischen „Dableibern“ und „Optanten“ ging ein tiefer Riss durch die Gesellschaft, sogar durch einzelne Familien. Schließlich wanderten über 70.000 Menschen aus.
In zahlreichen Orten entstanden neue Wohnanlagen, die als „Südtiroler Siedlungen“ bekannt wurden. Die Auswanderer waren nicht immer willkommen. Neid unter den „Einheimischen“ war weit verbreitet. Franz Trebo und seine Familie kamen beispielsweise zuerst nach Ludwigshafen, dann nach Bregenz und Alberschwende in Vorarlberg sowie letztlich nach Innsbruck, wo er heute noch lebt. „Da habe ich einigermaßen Deutsch gelernt, damit ich weitergekommen bin und einen Beruf lernen konnte“, sagt der 97-Jährige.
Von Ausreise bis Diskriminierung
Geschichten wie diese will das neue Dokumentationszentrum vermitteln. Es richtet sich insbesondere an Schulen und Studierende, aber auch an die breitere Öffentlichkeit. In dem Raum gibt es mehrere Stationen. Sie erzählen eine wechselvolle Geschichte vom Alltag im faschistischen Italien über die Entscheidung der Ausreise bis zur Ankunft und Diskriminierung in der Südtiroler Siedlung. Auch die Rückoption, also die Rückkehr einzelner Auswanderer nach Südtirol, sowie die Spuren dieser Geschichte in der Gegenwart werden thematisiert.
Aktuell laufen die letzten Vorbereitungen für das Dokumentationszentrum. Unter anderem gestaltete die Ethnologin Andrea Aschauer die inhaltliche Vermittlung. Der Historiker Ivan Stecher vom Forschungsprojekt „Option museal“ der Universität Innsbruck sei beratend tätig gewesen, meint Helmuth Angermann. Ab dem Sommer soll der Raum auch zu einem Begegnungsort werden, so der Präsident des Gesamtverbandes der Südtiroler in Österreich.
Begegnungsort schaffen und Vorurteile abbauen
Es gehe darum, Vorurteile abzubauen und mittels Lesungen oder Musikveranstaltungen kulturellen Austausch zu ermöglichen. Die Anfeindungen gegenüber den Ankömmlingen bei den Südtiroler Siedlungen von damals gebe es im Kontext der Migration auch heute noch. „Wenn die Ausländer kommen, heißt es immer noch, sie würden alles bekommen und hätten nichts geleistet. Das wollen wir mit dieser Dokumentation wachrütteln, damit es mehr Menschlichkeit und mehr Toleranz gibt“, sagt Angermann.
Am Sonntag um 14.00 Uhr wird die neue Dauerausstellung in der Innsbrucker Gumppstraße 59 bei einem landesüblichen Empfang in Anwesenheit des Tiroler und des Südtiroler Landeshauptmannes feierlich eröffnet. Der Besuch im Dokumentationszentrum ist anschließend auf Anfrage möglich.