Vier großformatige Gemälde von Ernst Nepo (1895 – 1971) wurden im Innsbrucker Stadtmuseum absichtlich schief gehängt. Die Schräge soll irritieren und sichtbar machen, dass da im Hintergrund etwas nicht stimmt. Zwanzig Jahre lang wurden die, Anfang der 1930er Jahre entstandenen Ansichten von alten und neuen Innsbrucker Bauten im Eingangsbereich prominent präsentiert.
Anlässlich der aktuellen Ausstellung „Hitler entsorgen“ stellt man sich auch im Museum die Frage, wie man mit den eigenen, belasteten Beständen umgehen sollte.
Die Ausstellung
„Hitler entsorgen“ ist
bis zum 3. Mai 2024
im Stadtarchiv/Stadtmuseum in Innsbruck zu sehen.
Bilder in Schieflage
„Erst wollten wir die Bilder auf den Kopf stellen oder nur die Rückseiten zeigen“, erzählt der Kurator Niko Hofinger. „Dann haben wir uns dafür entschieden, die Gemälde leicht schief zu hängen.“ Es ist eine Anspielung an das umstrittene Lueger-Denkmal in Wien, das um 3,5 Grad nach rechts gekippt werden soll.
„Am Ende der Ausstellung werden wir dann entscheiden, ob die Bilder ins Depot geräumt, verkauft oder entsorgt werden“, erklärt der Historiker Niko Hofinger. Diese provokant formulierten Fragen haben bereits zu heftigen Reaktionen einiger Anhänger des Malers geführt.
„Gute“ oder „entartete“ Kunst?
Der ursprünglich aus Böhmen stammende Ernst Nepomucky verkürzte seinen Namen 1920 auf den Künstlernamen Nepo. Bereits 1933 trat er der, damals noch illegalen NSDAP bei. 1938 wurde der Künstler zum „Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste im Gau Tirol-Vorarlberg“ ernannt. Andere Tiroler Künstlervereine hatten sich bereits in vorauseilendem Gehorsam aufgelöst, schreibt der Historiker Nikolaus Hagen in seiner umfassenden Darstellung der Nationalsozialistischen Kulturpolitik in Tirol und Vorarlberg.
Die Arbeit der Reichskunstkammer wurde von Gauleiter Franz Hofer unterstützt und gefördert. Besonders stolz war man auf den von Nepo veranstalteten Freskomalkurs, an dem auch der bekannte Tiroler Maler Max Weiler teilnahm. Im Rahmen des Kurses wurde ein Fresko im Blut- und Boden-Stil mit Schützen und Bauernmotiven geschaffen, beschreibt der Historiker Hagen.
Die Details, was Nepo als NS-Funktionär genau unternommen oder unterlassen hat, sind noch nicht kritisch erforscht. Was an Zitaten und Zeitungsmeldungen erhalten sei, würde dem bekannten „nationalsozialistischen Kunstirrsinn“ entsprechen, formuliert es Niko Hofinger drastisch.
Hitler-Porträt als Titelbild
Zum Hitler Besuch erschien ein von Nepo gestaltetes Porträt am 6. April 1938 auf der Titelseite der Innsbrucker Nachrichten. Man platzierte es bildfüllend und verzichtete auf eine Überschrift. Das Bild wurde ein Bestseller, vielfach gedruckt und weit verbreitet.
Als Parteimitglied der ersten Stunde hatte Nepo das Porträt bereits 1937 im Auftrag der Tiroler NS-Frauenschaft angefertigt. Die hatten es Adolf Hitler zum Geburtstag geschenkt. „Es ist eines der wenigen Werke, die Nepo nicht datiert hat. Er wusste wohl genau warum“, erklärt Hofinger. „Mit dieser Nichtdatierung verbarg er bewusst seine Mitgliedschaft bei der illegalen NSDAP.“
Überzeugter Nationalsozialist
Im fortgeschrittenen Alter von 44 Jahren meldete sich der Künstler freiwillig zur Wehrmacht. Er war in Norwegen und an der russischen Eismeerfront im Einsatz. Dort entstanden einige Landschaftsbilder, menschenleere nordische Eislandschaften mit Tiefenwirkung.
Als „minderbelastet“ eingestuft
Der Entnazifizierungsakt von 1947 enthält erstaunlicherweise nur ein einziges Blatt, auf dem der Künstler trotz seiner hohen Funktion als „minderbelastet“ eingestuft wurde. Niko Hofinger vermutet, dass Nepo potente Fürsprecher hatte und dass es ihm wohl gelungen sei, seine einflussreiche Rolle in der Reichskunstkammer klein zu reden.
Nach dem Krieg stellte Ernst Nepo bald wieder aus und bekam öffentliche Aufträge, etwa vom Land Tirol, Porträts von Prominenten anzufertigen.
Geglättete Geschichtsschreibung
Bisher wurde vor allem die künstlerische Meisterschaft von Nepo hervorgehoben. Die politisch problematische Vergangenheit wurde meist unter den Teppich gekehrt, wie zuletzt bei der kurzen Nepo-Ausstellung im Innsbrucker Kesselhaus im März 2023.
Seine künstlerische Bedeutung als Tiroler Vertreter der Neuen Sachlichkeit stünde außer Frage, sagt Helena Pereña. Die Kunsthistorikerin war sieben Jahre lang Chefkuratorin im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck und arbeitet nun als Kuratorin in der Münchner Villa Stuck.
Keine einseitige Geschichtsbetrachtung
Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum, daher könne man ein Werk heute nicht mehr rein auf die Ästhetik reduzieren, ist die Kunsthistorikerin überzeugt. Werk und Autor voneinander zu trennen, sei eine völlig verstaubte Vorgangsweise. In ihrem Vortrag im Innsbrucker Stadtmuseum reduziert sie Nepo nicht auf seine Biografie. Pereña vergleicht sein Wirken mit dem einiger seiner deutschen Zeitgenossen.
Der aus Miesbach bei München stammende Künstler Christian Schad (1894 – 1982) ist zum Beispiel auch ein prominenter Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Sein Verhältnis zum NS-Regime war geprägt von einem Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Die Zusammenhänge seien viel zu komplex, um sie in schwarz oder weiß einzuteilen.
Offenheit, Mut und Neugierde sind gefragt
Die NS-Kulturpolitik war durchaus zwiespältig. Werke von einem Künstler, etwa vom Bildhauer Rudolf Belling, wurden als entartet abgestempelt, eine andere Arbeit desselben Künstlers wurde bei der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ prominent präsentiert. Nach dem Krieg hieß es anfangs, die in der NS-Zeit als entartet degradierten Werke, seien nun die „guten“. So einfach sei das nicht, warnt Pereña.
Die NS-Zeit ganzheitlich betrachten
Die Expertin plädiert für ein intensives Forschen ohne Vorbehalte. Die Neugierde und der Mut zur Komplexität wären die wichtigsten Werkzeuge. Als gutes Beispiel hebt sie eine kommunale Initiative in Miesbach hervor. Das Team fordert einen offenen Umgang mit der NS-Vergangenheit des Künstlers Christian Schad im neuen Schad-Museum.
Das ganze Leben sollte mit allen Widersprüchen dargestellt werden, ohne zu dramatisieren aber auch ohne zu verschweigen. Diese Initiative sei ein guter Ansatz, meint Pereña. Eventuell könnte so eine Initiative auch in Innsbruck zum Thema Nepo entstehen? Es gibt noch eine Fülle von unveröffentlichten Dokumenten.
Nepo-Verehrern, die die NS-Vergangenheit ruhen lassen wollen antwortet sie: „Wir müssen Politik als Teil des künstlerischen Diskurses sehen. Das macht es umso spannender. Ich glaube, es gibt einige Menschen, die Angst haben, sich manchen Verstrickungen zu stellen. Das ist auch ein Generationenkonflikt. Es gibt Leute, die sagen, dass bestimmte Akteure in Ruhe gelassen werden sollten, weil die Kunst das wichtige sei. Dazu sage ich ganz klar, das geht gar nicht. Wir sehen täglich in den Nachrichten, dass wir nicht ruhig sein dürfen. Wenn wir die NS-Zeit begraben, dann haben wir morgen ein Problem.“
Ernst Nepo gerade rücken?
Ob die vier Gemälde im Stadtmuseum nun deponiert, entsorgt oder verkauft werden, sei derzeit noch offen, sagt der Kurator Niko Hofinger. Die Gefahr, dass man die bedeutenden Originale tatsächlich zerstören könnte, bestehe natürlich nicht. Vielleicht gibt es ja noch andere Ideen, hofft Pereña. Sie sieht ihren Vortrag mit dem Titel „Ernst Nepo gerade rücken?“ als Auftakt zu einer breit angelegten Diskussion. Das Fragezeichen am Ende bleibt dabei erst einmal wichtig.