Grafik, Rollstuhl und Assistenz
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Gericht

OGH-Urteil stärkt Autonomie Behinderter

Nach einem Unfall eines Mannes mit kognitiver Behinderung beim Überqueren einer Straße ist die Lebenshilfe von der Autofahrerin auf Schadenersatz geklagt worden. Der OGH entschied: Menschen mit Behinderung müssen nicht beaufsichtigt werden. Die Lebenshilfe sieht darin ein Signal auch für andere ähnliche Organisationen.

Ein junger Mann mit einer Lernstörung, der von der Lebenshilfe Tirol begleitet wurde, ging allein einkaufen. Zuvor hatte er den rund 200 Meter langen Fußweg mit der Lebenshilfe-Assistenz wochenlang geübt und konnte die Strecke sicher zurücklegen. Eines Tages, als er alleine unterwegs war, überquerte er die Straße ohne den Zebrastreifen zu benützen. Er wurde von einem Auto angefahren und verletzt. Die Fahrzeughalterin klagte daraufhin die Lebenshilfe Tirol auf Schadenersatz. Sie vermutetet eine Verletzung der Aufsichtspflicht, der junge Mann hätte nicht alleine zum Supermarkt gehen dürfen, so die Argumentation.

Assistenz geht nicht mit Aufsichtspflicht einher

Das Verfahren ging bis zum OGH (Oberster Gerichtshof). Dieser stellte in seinem Urteil fest: Erwachsene Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung haben das Recht auf Selbstbestimmung, sie müssen und sollen nicht rund um die Uhr beaufsichtigt werden. Mit einer Assistenz, wie die Lebenshilfe sie leistet, gehe keine Aufsichtspflicht einher.

Die Lebenshilfe habe zwar sogenannte Verkehrssicherungspflichten, das bedeutet, dass im Alltag Gefahrenquellen abgesichert werden müssen. Möglichkeiten zur Teilhabe müssten angeleitet und geübt werden. Diese Verpflichtung sei allerdings unter Achtung der Autonomie Behinderter zu beurteilen, so der OGH. Diese individuelle Autonomie ist in der UN-Behindertenrechtskonvention verbrieft.

Urteil stärkt Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie

Die Klage der Autofahrerin führte eine rechtliche Grundsatzentscheidung herbei. Für Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol, ist das ein wegweisendes Signal für Menschen mit kognitiver Behinderung. „Ihre Selbstbestimmung und Teilhaberechte sind jetzt auch in der Rechtsprechung verankert“, so Willeit. Dazu gehöre auch das Recht, ein Risiko einzugehen.

Gregor Riedmann, Jurist der Lebenshilfe, sieht vor allem zwei Aspekte des Urteils als wesentlich. Dass, erstens, bei entsprechender Anleitung und Übung von Alltagshandlungen Einrichtungen wie die Lebenshilfe keine Aufsichtspflicht hätten. Und zweitens, dass das Urteil sich auf die UN-Behindertenkonvention stützt, die gerade der Leitgedanke von Einrichtungen wie der Lebenshilfe sei, so Riedmann.