800 Kilogramm schwer liegt die pyramidenförmige Metallskulptur an der Innpromenade hinter der Universität Innsbruck. Das „antifaschistische Denk-Mal“ erzählt eine Geschichte von Wohnungsnot, Ausgrenzung und Mord sowie von einer Tat, die vor 30 Jahren viele betroffen machte: „Es war erschütternd und man hat nicht verstanden, wie junge Menschen so eine Tat begehen können“, erinnert sich der Künstler Alois Schild.
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„Tirol heute“, 21.2.2024, 19.00 Uhr, ORF 2
In der Nacht auf den 26. Februar 1994 schläft der wohnungslose Wolfgang Tschernutter im Eingangsbereich des Hallenbades Höttinger Au in Innsbruck. In dieser Nacht – einen Tag vor seinem 38. Geburtstag – wird er zum Opfer einer brutalen Gewalttat. Von zwei Jugendlichen wird er mit einem Vierkantholz schwer misshandelt. Sie schlagen und treten mehrmals auf ihn ein, dass er noch in der Nacht für hirntot erklärt wird. Wenige Tage später stirbt er.
Die beiden Jugendlichen sind zum Tatzeitpunkt 14 und 15 Jahre alt. Nach Angaben der Polizei soll einer der beiden der rechtsextremen Szene nahestehen. In Einvernahmen sagen sie, dass sie Tschernutter nur „tratzen“, also ärgern, wollten.
Von „Giftlern“ und „Sandlern“
Viele Menschen bewegt damals die Frage, wie so etwas passieren konnte. In den Wochen davor sei von Teilen der Innsbrucker Stadtpolitik häufig von „Giftlern“ und „Sandlern“ die Rede gewesen, meint der Sozialarbeiter Peter Grüner von DOWAS Tirol. In diesem menschenfeindlichen Klima seien Minderheiten und Schwächere verunglimpft worden.
Dafür sei die Tat der zwei Burschen ein Ausdruck gewesen. Vor Gericht werden sie wegen Mordes zu längeren Haftstrafen verurteilt. Tschernutter war vielen Menschen in Innsbruck bekannt. Er galt als ruhig und zurückgezogen. Nach der Tat gibt es große Anteilnahme und eine Initiative entsteht.
„Initiative Denkmal“ kämpft gegen Vergessen
Für Peter Grüner und seine Kolleginnen und Kollegen aus der Wohnungslosenhilfe ist klar, dass die Tat ein heftiger Einschnitt ist. Man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen: „Wir wussten, es darf nicht sein, dass man nur ein paar Kerzen hinstellt, sondern dass wir etwas auf die Beine stellen müssen“, erzählt er.
Auf Initiative von Innsbrucker Sozialeinrichtungen gestaltet der Kramsacher Bildhauer Alois Schild die überdimensionale Stahlpyramide. Als Zeichen gegen Rechtsextremismus, gegen Vergessen und Verdrängen sollte das „Denk-mal“ einen zentralen Platz in der Stadt erhalten: in der Maria-Theresien-Straße vor dem Kaufhaus Tyrol – „im Herzen der Stadt“, wie es auf Plakaten der Aktivisten bei der Aufstellung heißt.
Doch dort ist es nicht erwünscht. Weil es rechtswidrig aufgestellt wurde, lässt es die Stadt entfernen. Das Mahnmal landet auf dem städtischen Bauhof in der Rossau. „Das ist fast die Ironie der Geschichte“, sagt Schild mit Verweis auf die Zeit während des Zweiten Weltkrieges. „Da war das Arbeitserziehungslager der Gestapo und da sind an die 100 Menschen zu Tode gekommen und so sieht man, wie viele belastete Plätze es eigentlich gibt.“
„Antifaschistisches Mahnmal“ am „Sonnendeck“
Einen neuen, unbelasteten Platz findet das Mahnmal schließlich an der Innpromenade hinter der Universität, wo es heute noch am „Sonnendeck“ steht. Die Pyramide soll eine Art Zelt als Schutzfunktion darstellen, erklärt der Künstler. Die Inschriften „Mama“ und „Papa“ drückten ein Porträt der Eltern aus. „Das stellt die Frage nach dem verlorenen Sohn, was eine immerwährende Thematik ist“, so Schild.
Eine immerwährende Thematik, die immer mehr in Vergessenheit gerät. Die Inschriften auf dem rostigen Mahnmal sind mittlerweile kaum mehr erkennbar. Und das Denkmal dürfte heutzutage nur mehr wenigen bekannt sein – obwohl das „Sonnendeck“ an der Franz-Gschnitzer-Promenade in Innsbruck als Hotspot der studentischen Kultur gilt.
30 Jahre danach: Kein Einzelfall
Am Freitag, den 23. Februar, wollen der Verein DOWAS und das Gemeindemuseum Absam anlässlich des 30. Jahrestages mit einer Gedenkveranstaltung an die Geschichte und an dessen Bedeutung in der heutigen Zeit erinnern. „Die Ausschlüsse in unserer Konkurrenzgesellschaft gilt es weiter zu kritisieren“, ist Grüner überzeugt. Nach wie vor gebe es in Tirol ein riesiges Wohnungsproblem.
Auch die Gewalt gegenüber schlechter gestellten Menschen wie Wohnungslosen sei zuletzt wieder extremer geworden. Davon zeugen die jüngsten Fälle in Wien, wo im vergangenen Jahr zwei Wohnungslose ermordet wurden – mehr dazu in U-Haft nach Morden an Obdachlosen. Außerdem hatten in der Steiermark drei junge Männer im Sommer 2022 eine wohnungslose Frau misshandelt – mehr dazu in Obdachlose attackiert: 14 bis 17 Jahre Haft.
Veranstaltungshinweis:
Der Verein DOWAS Tirol und das Gemeindemuseum Absam laden am 23.2. um 14.00 Uhr beim Denkmal an der Franz-Gschnitzer-Promenade zur Kundgebung „die offene stadt…und ihre feinde“.
„Kritische Infrastruktur von Tirol“
Insofern ist der Gewaltausbruch gegenüber Wolfgang Tschernutter im Februar 1994 österreichweit kein Einzelfall. „Es ist weltweit ein Problem“, meint der Sozialarbeiter Peter Grüner, der um das Gedenken an Wolfgang Tschernutter bemüht ist.
Was bleibt also von dieser Geschichte und dem Kunstwerk, das immer mehr verblasst? „Das Denkmal hat nach 30 Jahren natürlich eine gewisse Patina angenommen“, stimmt Schild zu. Denkbar sei eine gemeinsame Initiative, um es aufzufrischen und neu anzustreichen.
Gleichzeitig sei es wichtig, bescheiden zu bleiben, wie er betont: „Es ist kein Heldendenkmal oder kein Denkmal für Freiheitskämpfer, aber ganz bestimmt zählt es zur kritischen Infrastruktur von Tirol.“ Selbst wenn es weitgehend vergessen ist, bleibt es nach wie vor eine solche „kritische Infrastruktur“ als Mahnung gegen Gewalt und Ausgrenzung und als Erinnerung an die Würde des Menschen.