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Bildung

Neues Lernformat „Frei Day“ immer beliebter

Das neue Unterrichtskonzept „Frei Day“ begeistert immer mehr Schulen in Österreich. Dabei schlagen Schülerinnen und Schüler selbst nachhaltige Projekte vor und setzen sie kreativ um, ohne benotet zu werden. Im Fokus stehen die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele. Eine Tiroler Mittelschule zieht eine positive Bilanz.

In der Mittelschule Zirl (Bezirk Innsbruck-Land) nehmen an einem Nachmittag mehrere Klassen gleichzeitig am „Frei Day“ Format teil. Es ist kein „normaler“ Unterricht, aber auch keine einfache Freistunde. Beim Besuch des ORF Tirol wird der unkonventionelle pädagogische Zugang sofort spürbar. Denn zu Beginn des dreistündigen Blocks steht eine ungewöhnliche Scheckübergabe an: „1.160 Euro“ ist auf dem weißen Schild geschrieben, darunter in großen Buchstaben „Rote Nasen Clowns Tirol“.

Sendungshinweis:

24.1.2024, 19.00 Uhr „Tirol heute“ in ORF 2 / TVthek

Eine Gruppe von vier Schülern händigt einem Vertreter der „Clowndoctors“ die Summe von gesammelten Spendengeldern aus. „Wir haben vor Weihnachten am Christkindlmarkt Sachen verkauft und so 700 Euro eingenommen“, erzählt der elfjährige Elias. Ein lokaler Kulturverein habe diesen Betrag dann aufgerundet, sodass insgesamt knapp 1.200 Euro zusammengekommen sind. „Ich hab’ das volle cool gefunden, weil es hat Spaß gemacht und man macht trotzdem was Gutes“, sagt er auf die Frage, wie ihm die Arbeit an der Spendenaktion gefiel.

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Schülerinnen und Schüler Schule Bildung Kreative Arbeit Kreativarbeit
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Beim „Frei Day“ Lernformat werden kreative Arbeiten projektorientiert…
Frei Day Lernformat Schule Bildung Computer Laptop SDGs Entwicklungsziele Nachhaltigkeit
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auf der Basis der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung realisiert
Müllentsorgung Aufräumen Müll sammeln im Frei Day Lernformat in der Mittelschule Zirl
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Dazu gehört etwa, in der eigenen Gemeinde Müll aufzuräumen…
Frei Day Scheckübergabe Mittelschule Zirl Nachhaltigkeit
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…oder mit dem Verkauf von selbstgebastelten Dingen Geld einzunehmen und so Spendenaktionen umzusetzen

Das Beispiel mit der Spende für die „Rote Nasen Clowns“ ist nur eines von vielen Projekten, die im „Frei Day“ an der Mittelschule Zirl seit Beginn des Schuljahres umgesetzt werden. Konkret geht es darum, einen Freiraum für Schülerinnen und Schüler innerhalb der bestehenden Strukturen zu schaffen. Das Lernformat ist nämlich kein freiwilliges Wahlfach, sondern ein fester Bestandteil des Stundenplans.

17 UN-Nachhaltigkeitsziele als Basis

Nach dem Motto „Lernen, die Welt zu verändern“ sollen die Kinder und Jugendlichen Kompetenzen der Zukunft mit auf den Weg bekommen und insbesondere die eigene Umwelt und Umgebung mitgestalten. Konkret stehen die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“, SDGs) der Vereinten Nationen im Mittelpunkt. Dazu gehören etwa ökologische Ziele wie „Nachhaltige Städte und Gemeinden“, „Maßnahmen zum Klimaschutz“ oder „Leben unter Wasser“, aber auch soziale und wirtschaftliche Themen wie „Keine Armut“ oder „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“.

Mit diesen setzen sich die Schülerinnen und Schüler auseinander und greifen sie kreativ und eigenständig in Projekten auf. Zu Beginn jeder „Frei Day“-Einheit besprechen sie an der Mittelschule Zirl im Rahmen eines Klassenrates den aktuellen Stand eines laufenden Projektes oder überlegen sich gleich eine neue Initiative, sofern sie eine andere gerade abgeschlossen haben. Anschließend gehen sie in die Projektgruppen, die flexibel gestaltet werden. Der Zusammenarbeit sind dabei keine Grenzen nach Schulstufe oder Altersgruppe gesetzt. Am Ende einer Einheit geht die gesamte Gruppe in die Reflexion und bespricht, was gut oder was weniger gut lief.

Lehrerin: „Ideen sprudeln lassen“

Die Lehrerin Christine Schneider zeigt sich im Interview über das Format erfreut darüber, dass sich die Jugendlichen mit unserer Erde auseinandersetzen und sich fragen, was sie tun können, um Verbesserungen zu machen. „Das ist dann schon gewaltig, welche Ideen da aufkommen, die so im Unterricht nie aufkommen würden, weil man sie einfach nicht lässt, und da dürfen die Ideen sprudeln“, sagte Schneider.

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Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen umfassen unterschiedliche soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte
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Dass die Ideen sprudeln, haben schon mehrere Gruppen mit verschiedenen Initiativen gezeigt: Müll sammeln und Aufräumen im Ort, ein Vogelhaus bauen, einen autofreien Tag organisieren oder Selbstgebasteltes verkaufen und so Geld für einen guten Zweck sammeln. „Das Wesentliche ist, dass die Kinder erleben, dass sie wirksam sein können“, meinte Direktor Stefan Zangerl. Gerade nach der anspruchsvollen Zeit der Corona-Pandemie sei das wichtig für das Selbstvertrauen.

Positives Zwischenfazit in Zirl

Die erste Zwischenbilanz des innovativen Lernformates fällt an der Mittelschule Zirl sehr positiv aus, ist Zangerl überzeugt: „Es war sensationell wie das eingeschlagen hat, allein schon bei der Frage, welche Teams der Lehrer bereit sind, das zu probieren. Da sind wir von drei bis vier Klassen ausgegangen, mittlerweile nehmen daran alle Klassen teil.“

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Christine Schneider Lehrerin Mittelschule Zirl
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Lehrerin Christine Schneider ist begeistert vom „Frei Day“ Format
Stefan Zangerl Direktor der Mittelschule Zirl
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Für Direktor Stefan Zangerl zeichnet sich das Konzept vor allem wegen des ausbleibenden Noten- und Leistungsdrucks aus

Vor allem weil es in erster Linie auch darum geht, die eigene Umwelt bzw. die Gemeinde einzubinden, habe es auch den Ort verändert. Der Zirler Bürgermeister werde teilweise mit Anfragen und Ideen von den Kindern für Veränderungen oder Initiativen in der Gemeinde überhäuft, berichtet Zangerl. Dass die finanziellen Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten aber manchmal begrenzt sind, gehöre auch zum Lernprozess dazu.

Tirolweit in immer mehr Schulen

In ganz Österreich führen immer mehr Schulen das „Frei Day“-Format ein, weiß Lehrerin Birgit Hippacher, die es in Tirol koordiniert und als eine „Pionierin“ Fortbildungen dazu an der Pädagogischen Hochschule Tirol (PHT) leitet. In diesem Bundesland etwa waren es im Schuljahr 2021/22 erst zwei Bildungseinrichtungen: die Schule am Inn in Innsbruck und die HAK Lienz. Mittlerweile kommt das Konzept in gut einem dutzend Schulen zur Anwendung. Viele weitere bereiten es vor. Insbesondere wegen der neuen Lehrpläne für die Volksschule (Primarstufe) und die Unterstufe (Sekundarstufe 1) sei ein Format wie dieses essentiell.

An der HAK Lienz, wo Hippacher unterrichtet, läuft der „Frei Day“ unter dem Namen „Zukunftswerkstatt“. „Es geht um Future Skills und Projektlernen, bei dem die Schülerinnen und Schüler zu neuen Lösungen kommen sollen“, so Hippacher. Insgesamt sollen die Bildungseinrichtungen dazu beitragen, globales Lernen zu ermöglichen – stets in Kombination mit der eigenen Umgebung.

Frei lernen und gestalten statt Notendruck

Obwohl es der Name nahelegen würde, habe „Frei Day“ nichts mit der Klimabewegung „Friday for Future“ zu tun. Der Name sei deshalb so gewählt worden, weil ursprünglich der Freitagvormittag dafür vorgesehen war, schildert Hippacher. „Wenn in einer Region oder Gegend ganz viele Schulen das am Freitag machen, dann passiert etwas Großes“, ist sie überzeugt.

Die Bezeichnung selbst geht auf die deutsche Autorin und ehemalige Direktorin Margret Rasfeld zurück. In ihrem Buch „Frei Day. Die Welt verändern lernen“ skizziert sie ein Modell für eine Schule im Aufbruch und fordert mehr Freiräume in einer modernen Bildungslandschaft.

Mittelschule Zirl
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An der Mittelschule Zirl wurden dem „Frei Day“ drei Stunden pro Woche im Stundenplan eingeräumt

Ein wesentlicher Bestandteil des Lernformats ist, dass die Kinder und Jugendlichen dabei nicht benotet werden. Das sei für die Motivation sehr wichtig, nicht nur jetzt kurz vor dem Semesterende, wenn der Leistungsdruck üblicherweise besonders belastend wird, meint der Zirler Schuldirektor Zangerl. „Wir erleben, dass die Kinder frei denken und frei gestalten können, wenn sie nicht beurteilt werden.“ Er sieht die Noten überhaupt als „Verbrechen der Gesellschaft an den Kindern“. Trotzdem brauche es bei dieser Art von Projektmanagement auch eine Reflexion.

Laufend Projekte in Planung

Aktuell umfasst der „Frei Day“-Unterricht in den Klassen der MS Zirl drei Stunden pro Woche. Üblicherweise sind bei dem Konzept vier Stunden vorgesehen. Am Ende des Schuljahres soll es im Kollegium evaluiert werden. Ob es dann ausgebaut wird, ist offen. Bis dahin stehen jedenfalls noch einige Projekte an. Ideen dafür gibt es schon genug.

Der elfjährige Elias plant beispielsweise eine öffentliche Bücherbox für Secondhandbücher in der Schule, wie er sagte: „Da kann jeder seine gelesenen Bücher rein tun und dafür andere mitnehmen, weil die meisten Bücher, die gelesen sind, landen im Müll und dann kann man das vermeiden“, sagte er.