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Chronik

EU-Generalanwältin für Schutz des Wolfes

Im Fall des geplanten Abschusses eines Wolfs in Tirol stützt die EU-Generalanwältin weitgehend die Argumente der Wolf-Schützer. Dass einige Länder vom strengen Schutzregime des Wolfs ausgenommen sind, Österreich aber nicht, stelle „keine Ungleichbehandlung“ dar. Tirol bleibt dennoch dem eingeschlagenen Weg treu.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist nicht an die Meinung der EU-Generalanwältin gebunden, folgt ihr aber in der Mehrheit der Fälle.

Tierschützer gegen Abschussverordnung

Im Juli 2022 hatte die Tiroler Landesregierung den Wolf mit dem Namen 158MATK zum Abschuss freigegeben. Mehrere Umweltschutzorganisation gingen daraufhin gerichtlich gegen die Entscheidung vor. Im Zuge dessen trat das Tiroler Landesverwaltungsgericht (LVwG) vor gut einem Jahr mit vier Fragen zur Auslegung des EU-Rechts an den EuGH heran – mehr dazu in Tiroler Wolfsabschüsse vor dem EuGH.

Die meisten Länder, die von den Schutzbestimmungen der Habitat-Richtlinie ausgenommen sind, hätten diese Ausnahme während ihrer Beitrittsgespräche mit der EU ausgehandelt, führt die EU-Generalanwältin Tamara Ćapeta aus. Diese Möglichkeit wäre auch Österreich offengestanden, das Land habe dies aber nicht getan. Das Land Tirol argumentierte hier, dass es zum Zeitpunkt des österreichischen EU-Beitritts hierzulande keine Wölfe gegeben habe. Das stelle aber keine Ungleichbehandlung dar, so Ćapeta. Ziel der Habitat-Richtlinie sei ja ausdrücklich die Rückkehr des Wolfes.

Die Frage des „Erhaltungszustands“ einer Population

Neben der Frage der Ungleichbehandlung ging es auch um die Begründung der Tiroler Landesregierung für die Abschussfreigabe – denn auch im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie sind Abschussfreigaben unter bestimmten Bedingungen möglich. Eine davon ist, dass sich die betroffene Wolfspopulation in einem „günstigen Erhaltungszustand“ befindet. Dies ist in Österreich nicht der Fall. Das Land Tirol wollte hier aber das gesamte „natürliche Verbreitungsgebiet“ der Wölfe beachten, welches sich über Grenzen hinweg ziehen kann.

Auch hier ist die Generalanwältin anderer Meinung: Der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie nach müsse der „günstige Erhaltungszustand“ auch im „lokalen und nationalen Gebiet“ gegeben sein. Umgekehrt gelte aber: Wenn eine Wolfsentnahme im nationalen Gebiet keine negativen Auswirkungen hat, müssten trotzdem die Auswirkungen auf das größere Gebiet in Betracht gezogen werden, sofern entsprechende Daten vorliegen.

Anwältin: Tierhalter müssen Kosten selber tragen

Zudem soll der EuGH klären, was alles zu den Schäden, die durch Wölfe verursacht werden, gezählt werden darf. Hier hält Ćapeta fest, dass nur unmittelbare wirtschaftliche Schäden, die durch einen bestimmten Wolf entstehen, Beachtung finden könnten. Schäden für die Almwirtschaft oder den Tourismus in der Region könnten nicht für die Begründung eines Abschusses herangezogen werden.

Weiters dürfen Wölfe laut EU-Recht nur geschossen werden, wenn es keine „anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen“ gibt. Hier will das LVwG wissen, ob auch wirtschaftliche Kriterien (z.B. wenn eine alternative Lösung sehr teuer wäre) zur Bewertung einbezogen werden können. Diese Frage beantwortet die Generalanwältin mit einem „Ja, aber“. „Bei der Beurteilung des Einflusses wirtschaftlicher Faktoren muss berücksichtigt werden, dass bestimmte Kosten und Anpassungen unvermeidlich sind, wenn die Ziele dieser (Habitat-; Anm.) Richtlinie erreicht werden sollen“, heißt es in dem Schlussantrag. „Das Zusammenleben mit Wölfen macht bestimmte Anpassungen erforderlich und damit verbundene Kosten müssen auch seitens der Tierhalter in den Alpen getragen werden.“

Capeta nimmt Länder in die Pflicht

Ćapeta nimmt hier auch die Behörden in die Pflicht. Betrachte man immer nur den Einzelfall (z.B. Kosten der Almwirtschaft, um sich kurzfristig vor einem bestimmten Wolf zu Schützen, durch Zäune, Hirtenhunde, etc.), falle die Abwägung immer zu Gunsten des Abschusses aus. "Dagegen fällt das Ergebnis möglicherweise anders aus, wenn sie (Schutzmaßnahmen; Anm.) Teil eines nationalen Präventionsplans sind. Daher seien die wirtschaftlichen Kosten von Schutzmaßnahmen in den „Kontext der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu stellen, die für den strengen Schutz des Wolfs erforderlichen Maßnahmen und Pläne einzuführen.“

Der Europäische Gerichtshof urteilt nicht in einem bestimmten Fall, sondern beantwortet Fragen zur Interpretation des EU-Rechts. Im konkreten Fall muss das Tiroler Landesverwaltungsgericht entscheiden.

Tirol hält an Abschussverordnungen fest

Tirols Landeshauptmannstellvertreter Geisler bezeichnete die Empfehlungen der Generalanwältin als „teils erfreulich, teils enttäuschend und wenig überraschend.“ Diese hätten für Tirol „keine unmittelbaren Auswirkungen“, hieß es in einer Aussendung. Er hielt fest, dass es auch heuer Abschussverordnungen „nach der seit 2023 geltenden Rechtslage“ – das Tiroler Jagdgesetz wurde zwischenzeitlich von der schwarz-roten Landesregierung novelliert – geben werde.

Zudem werde man die Herdenschutzprojekte fortführen. „Unser Ziel auf EU-Ebene ist und bleibt die Änderung der 30 Jahre alten FFH-Richtlinie. Der Wolf ist keine gefährdete Tierart und gehört reguliert wie andere Wildtierarten auch“, sagte der für die Landwirtschaft zuständige Landesrat.

Meinungen gehen weit auseinander

Die Generalanwältin vertrete hinsichtlich des Erhaltungszustandes der Population jedenfalls eine gänzlich andere Ansicht als jene Mitgliedstaaten, die sich im Verfahren vor dem EuGH klar für eine länderübergreifende Betrachtung der Population – auch unter Einbeziehung des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz – ausgesprochen hätten. Geisler hob hervor, dass laut Generalanwältin auch ideelle Schäden neben der direkten wirtschaftlichen Schäden in die Bewertung einfließen können. Zudem werde bei der Prüfung der Alternativen zu einem Abschuss eine Einzelfallprüfung verlangt.

Genau in diesem Punkt sahen sich WWF und Ökobüro bestätigt: „Nach FFH-Richtlinie dürfen streng geschützte Arten wie der Wolf erst abgeschossen werden, wenn alle gelinderen Mittel, wie zum Beispiel Herdenschutz, genau geprüft wurden“, meinte WWF-Artenschutzexperte Christian Pichler. Die Organisationen forderten ein „Ende der einseitigen und rechtswidrigen Abschusspolitik der Bundesländer und den Start einer großflächigen Herdenschutz-Offensive.“

Der Europäische Gerichtshof urteilt nicht in einem bestimmten Fall, sondern beantwortet Fragen zur Interpretation des EU-Rechts. Im konkreten Fall muss das Tiroler Landesverwaltungsgericht entscheiden. Mit einer Entscheidung des EuGH wird in einigen Monaten gerechnet.