Triumphpforte mit Bombenschäden in der Maria-Theresien-Straße Innsbruck
Stadtarchiv Innsbruck
Stadtarchiv Innsbruck
Kultur

80 Jahre nach Beginn des Bombenkrieges

Am Freitag vor genau 80 Jahren haben im Zweiten Weltkrieg die Bombenangriffe der Alliierten auf Innsbruck begonnen. Der Kampf gegen das verbrecherische NS-Regime forderte viele zivile Opfer. Anlässlich des Jahrestages soll aber auch stärker an das Schicksal von Zwangsarbeitern erinnert werden.

Am 15. Dezember 1943 heulen kurz nach 12.30 Uhr in Innsbruck die Sirenen. US-amerikanische Bomber steuern auf die Hauptstadt des Gaues Tirol-Vorarlberg zu. Der Großteil der Bevölkerung ist gerade beim Mittagessen. „Ich bin mit meiner Mama in den Garten hinausgegangen, da haben wir dieses Bombengeschwader bereits über den Patscherkofel und den Glungezer herankommen sehen. Wir haben alle geglaubt, die fliegen über Innsbruck und damit ist es erledigt“, erzählt der heute 90-jährige Zeitzeuge Karl Klotz aus Amras. Doch es blieb nicht bei der kurzen Sichtung bei den Berggipfeln.

Stattdessen setzen rund 50 Bomber zum Angriff auf die Stadt an. In nur wenigen Minuten werfen sie 200 Bomben ab, wie der Historiker Michael Svehla in seinem Buch „Als in Innsbruck die Sirenen heulten“ dokumentiert. „Und auf einmal zittert die Luft“, erinnert sich Klotz an die Einschläge. Der erste Luftangriff richtet sofort einen immensen Schaden an. 258 Menschen sterben, zahlreiche Häuser werden zerstört oder schwer beschädigt.

Altstadt Innsbruck mit Goldenem Dachl und Bombenschäden
Goldenes Dachl Innsbruck Altstadt
Stadtarchiv Innsbruck ORF
Das Goldene Dachl in der Innsbrucker Altstadt nach dem Bombenangriff am 15.12.1943 und heute

Grund für die verheerende Bilanz ist die Tatsache, dass die Menschen kaum Schutz suchen. In den Monaten davor hatte es bereits immer wieder Fliegeralarme, aber keine Angriffe gegeben. Die Bevölkerung nimmt die Warnungen deshalb nicht ernst. Teilweise mangelt es auch an Luftschutzstollen. Dabei war das Jahr 1943 ein zentrales Jahr im Verlauf des Zweiten Weltkrieges, sagt Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums Absam.

Innsbruck hatte wichtige strategische Lage

Im Februar 1943 erklärt der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels der Welt den „totalen Krieg“. Im Sommer tritt der faschistische „Führer“ Italiens, Benito Mussolini, ab und die Alliierten erreichen italienisches Festland. So sei es möglich gewesen, das „Dritte Reich“ auch von Süden her anzugreifen. Aufgrund der Kriegslage und anderer Bombenangriffe sei es der Tiroler Gauleitung aber völlig klar gewesen, dass Innsbruck nicht mehr lange verschont werden sollte.

Karl Klotz aus Amras ist ein Zeitzeuge
ORF
Der heute 90-jährige Zeitzeuge Karl Klotz erlebte die Bombenangriffe auf Innsbruck im Zweiten Weltkrieg mit

Immerhin liegt die Gauhauptstadt an einer strategisch wichtigen Position mit mehreren Eisenbahnverbindungen zwischen Osten und Westen sowie Norden und Süden. Insofern sei der Auftakt der Luftangriffe auf Innsbruck mit den zentralen Nachschublinien ein Wendepunkt gewesen, meint Matthias Breit.

Zwangsarbeiter wegen „Plünderung“ hingerichtet

Der Zeitzeuge Karl Klotz, der damals zehn Jahre alt war, erlebte den Angriff vom Stadtteil Amras aus mit. Dieser war am 15. Dezember 1943 gar nicht betroffen. Am meisten zerstört waren unter anderem Wilten und die Innenstadt. Das Areal rund um den Hauptbahnhof blieb an diesem Tag weitgehend verschont, ebenso das Goldene Dachl in der Altstadt. Bald darauf wurde es zum Schutz jedoch eingemauert (siehe Bildergalerie unten).

Veranstaltungshinweis:

Am Sonntag, 17.12., um 15.00 Uhr veranstaltet Matthias Breit eine Kranzniederlegung am Militärfriedhof Amras (Eingang Wiesengasse).

Unmittelbar nach den Bombenexplosionen müssen ausländische Zwangsarbeiter aus dem Lager Reichenau ins gesamte Stadtgebiet ausrücken, die beschädigten Häuser aufräumen und Blindgänger beseitigen. Weil die Häftlinge im Lager fast zu Tode hungern, packen manche während der Arbeiten heimlich ein Glas Marmelade oder ein Stück Brot von der Straße ein. „Das ist ihnen als Plünderung ausgelegt worden und der Gestapo-Chef in der Herrengasse hat verordnet, dass diese sieben Häftlinge im Lager Reichenau von polnischen Mitgefangenen vor dem Rest der Belegschaft öffentlich hingerichtet werden“, so Breit.

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Über der Innsbrucker Innenstadt tobte ab dem 15. Dezember 1943 immer wieder der Bombenkrieg. Im Hintergrund ist der Patscherkofel zu sehen
Stadtarchiv Innsbruck
Über der Innsbrucker Innenstadt tobte ab dem 15. Dezember 1943 immer wieder der Bombenkrieg. Im Hintergrund ist der Patscherkofel zu sehen
Das Goldene Dachl wurde während der Bombenangriffe aus Sicherheitsgründen eingemauert
Stadtarchiv Innsbruck
Das Goldene Dachl wurde während der Bombenangriffe aus Sicherheitsgründen eingemauert
Aufnahme von Zwangsarbeitern im Hintergrund mit Wachoffizieren im Vordergrund und Blindgängern
Stadtarchiv Innsbruck, Sammlung Walter Kreutz
Während SS-Mitglieder in der Rossau mit zusammengeräumten Blindgängern posieren, sind im Hintergrund Zwangsarbeiter zu sehen

Nur einen Tag nach dem Bombenangriff ließ sie Gestapo-Chef Werner Hilliges hängen. Vier der Männer hießen Cyrill Schmutz, Juri Filipowitsch, Iwan Emanatschenko und Petro Wetraw. Die Ermordung der Zwangsarbeiter spielte genau fünf Jahre später, im Dezember 1948, im „Reichenau-Prozess“ eine Rolle. Die französische Besatzungsmacht nahm sie als Teil der Anklage in den Akt gegen Hilliges auf. Er wurde zu lebenslanger Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Nach nur wenigen Jahren wurde er im Dezember 1955 begnadigt und freigelassen.

Grabstein erinnert an Hingerichtete

Auf dem Innsbrucker Soldatenfriedhof Amras befindet sich ein Grabstein, der an die vier genannten Zwangsarbeiter erinnert. Heutzutage ist die Schrift darauf kaum mehr zu erkennen, kritisiert Matthias Breit. Von öffentlichen Stellen wie dem Land Tirol oder der Stadt Innsbruck gebe es laut Breit keine Bereitschaft, einen neuen Grabstein zu finanzieren. Bei geschichtspolitischen Anlässen verkomme der Satz „Niemals vergessen!“ daher häufig zu einer Phrase.

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Matthias Breit
ORF
Für Matthias Breit verkommt die Mahnung „Niemals vergessen“ bei politischen Reden häufig nur zu einer Phrase
Matthias Breit mit Grabstein am Soldatenfriedhof in Amras
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Der Leiter des Gemeindemuseums Absam beim Grabstein für die hingerichteten Zwangsarbeiter auf dem Innsbrucker Militärfriedhof in Amras
Grabstein am Soldatenfriedhof Amras
ORF
Die Inschrift der Namen ist mittlerweile nur mehr schwer erkennbar
Matthias Breit Soldatenfriedhof Amras
ORF
Mit einer Kranzniederlegung am Sonntag, 17.12., um 15 Uhr will Matthias Breit an die Namen der Opfer und ihr Schicksal erinnern

Ihm gehe es nicht darum, alte Geschichten neu aufzuwärmen, „sondern in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beschäftigen wir uns ja immer mit unserer eigenen Gegenwart und daher ist es wichtig, in einem katholischen Land wie Tirol an einem Friedhof zumindest die Namen lesbar zu erhalten, damit man sich an diese Menschen erinnern kann“, betonte er. Zuständig für den Militärfriedhof ist das Schwarze Kreuz. Das Innenministerium sei für die Kosten neuer Anlagen verantwortlich, heißt es auf Anfrage von der Tiroler Landesstelle des Schwarzen Kreuzes. Diese sei grundsätzlich bereit, einzelne Objekte zu erneuern.

Für kommenden Sonntag lädt Breit um 15.00 Uhr zu einer Kranzniederlegung auf dem Militärfriedhof Amras. So will er ein würdevolles Gedenken für die damals hingerichteten Zwangsarbeiter ermöglichen. Schließlich profitierte die lokale Bevölkerung stark von den Leistungen dieser Menschen. Denn wie der Historiker Horst Schreiber in einem Aufsatz über den Bombenkrieg ausführt, hatte die „Zwangsarbeit beim Bau von Luftschutzstollen zur Sicherung der Tiroler und ganz besonders der Innsbrucker Bevölkerung“ eine große Bedeutung.

„Die Menschen sind nicht lernfähig“

Insgesamt flogen die Alliierten bis Kriegsende 22 Angriffe. Der letzte erfolgte am 20. April 1945. In Summe wurden 60 Prozent der Innsbrucker Gebäude beschädigt oder zerstört. Sie forderten 504 Todesopfer. Der Großteil davon starb bereits beim ersten Luftangriff am 15. Dezember 1943.

Triumphpforte mit Bombenschäden in der Maria-Theresien-Straße Innsbruck
Triumphfporte Innsbruck Maria-Theresien-Straße
Stadtarchiv Innsbruck ORF
Nördlich der Triumphpforte in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße sind die Bombenschäden von damals heute nicht mehr sichtbar

80 Jahre danach blickt der 90-jährige Zeitzeuge Karl Klotz mit unterschiedlichen Gefühlen auf diese Zeit zurück. Er schätzt sich glücklich, mit seiner Familie keinen großen Schaden erlitten und überlebt zu haben. Doch ob der Mensch allgemein aus der Geschichte lernen könne, bezweifelt er. „Wenn man diese grausigen Erlebnisse ernst nehmen würde, dann würde es nicht die heutigen Kriege geben. Der Mensch lernt nicht. Macht und Machtgier sind zu stark, dass dem Menschen ganz gleich ist, welche Opfer es dafür braucht“, sagt er.