Die Vorstellung, in ein Weihnachtskeks in der Form eines Hakenkreuzes zu beißen, verdirbt den Appetit. Das Hakenkreuzmotiv auf den Griffen eines Essbestecks hat lange Zeit niemanden gestört.
Das ursprünglich aus der Kantine der Innsbrucker Weyrer-Fabrik stammende Besteck wurde bis in die 1980er Jahre von Schützen weiter benützt. Einzelne Hakenkreuzprägungen wurden zwar abgeschliffen, doch viele blieben erhalten. Alltägliche Gebrauchsgegenstände wie diese sind in der aktuellen Ausstellung zu sehen.
Wohin mit dem „Nazi-Dreck“?
Die vom Haus der Geschichte in Wien (hdgö) 2021 konzipierte Ausstellung wurde nun für das Innsbrucker Stadtarchiv mit Tiroler Objekten bereichert. Es handle sich aber keineswegs um einen Aufruf, unerwünschte Objekte im Innsbrucker Archiv loszuwerden, sagt der Historiker und Kurator Niko Hofinger. Grundsätzlich sei man bereits gut bestückt.
Im Innsbrucker Stadtarchiv stapeln sich bereits mehr als 20 Exemplare von Hitlers „Mein Kampf“. Ehepaare haben im Dritten Reich zur Hochzeit eine Jubiläumsausgabe mit Goldprägung erhalten. Die meisten Bücher seien wohl ungelesen im Regal gelandet, urteilt der Historiker, das würde sich beim Durchblättern an den unbenützten Seiten zeigen.
Die Ausstellung „Hitler entsorgen“ ist bis zum
3. Mai 2024
im Stadtarchiv/Stadtmuseum
in Innsbruck zu sehen.
Außergewöhnliche Objekte, die über individuelle Innsbrucker Familiengeschichten Auskunft geben, seien allerdings immer willkommen und eine Bereicherung für die zeithistorische Forschung. „Wenn es Geschichten zu den Objekten gibt, wenn die Menschen uns erzählen, warum sie die Sachen nicht mehr haben wollen, dann wird es interessant für uns“, erklärt Hofinger. In der Ausstellung wird zu jedem Objekt viel Hintergrundinformation geboten.
Vernichten? Verkaufen? Aufbewahren?
Am Eingang der Schau erhält jeder Besucher eine Karte mit einer kurzen, fiktiven Geschichte: „Sie erben zum Beispiel eine Schachtel mit Abzeichen und Medaillen von Ihrem Großvater…“, beginnt der Text. Darunter könnte sich möglicherweise ein „Bandenabzeichen“ in Silber in einem Etui befinden. Dazu folgt die Information, dass unter dem Deckmantel „Bandenbekämpfung“ Massenmorde an der lokalen Zivilbevölkerung in der NS-Zeit stattgefunden haben.
Besucherinnen der interaktiven Schau können nun verschiedene Optionen auf der Karte anzukreuzen, erklärt der Historiker Niko Hofinger. „Lasse ich das NS-Abzeichen meines Großvaters dort, wo es ist? Verkaufe ich es oder werfe ich es in den Müll?“
Schreddern ist meist nicht genug
Der japanische Künstler Yoshinori Niwa hat in einer Aufsehen erregenden Aktion angeboten, NS-Schriften und Bilder anonym zu vernichten. Dazu benützte er einen umgebauten Altkleidercontainer. Das beim Steirischen Herbst 2018 durchgeführte Kunstprojekt erhitzte die Gemüter. Einige waren froh, den NS-Ballast schnell und endgültig loszuwerden. Andere versuchten, den Künstler daran zu hindern, die historischen Dokumente zu vernichten.
Das Zerstören von unliebsamen Gegenständen allein funktioniere nicht ganz, erklärt Hofinger, denn die Familiengeschichte würde dadurch ja nicht verschwinden. Der Wunsch, die Dinge unsichtbar zu machen, sei natürlich nachvollziehbar. Doch für die psychologische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte sei das eher ungeeignet.
Verkaufen ist streng verboten
Auf den Ausstellungskarten sind auch mögliche Preise der Objekte angegeben, die am Schwarzmarkt erzielt werden könnten. Für das Bandenabzeichen in Silber wird zum Beispiel ein Marktwert von 2.400 Euro angenommen. „Ältere Semester können sich vielleicht noch erinnern, dass die Dinge früher bei uns offen auf Flohmärkten gehandelt worden sind“, erzählt Hofinger. „Die sind inzwischen in die zweite Schublade verschwunden, aber sie sind immer noch da. Je authentischer, nationalsozialistischer und grauenhafter ein Objekt ist, umso mehr steigt der Preis. Einige Exemplare können tatsächlich fünfstellige Gewinne erzielen“, sagt Hofinger.
Die Versuchung sei vorhanden, doch das stünde diametral zu dem, erst im November verschärften Österreichischen Verbotsgesetz. „Das Handeln mit solchen Objekten ist verboten, Punkt!“ bekräftigt der Historiker. Wer es trotzdem tue, der riskiere saftige Strafen. Außerdem sei es unethisch.
Beste Option: Aufbewahren
In den Augen des Archivars sei das Aufbewahren der historischen Dokumente die beste Variante. Ein privates Fotoalbum aus der NS-Zeit kann viele wichtige Informationen über Häuser, Berufe oder Personen enthalten und neue Einblicke in die Innsbrucker Stadtgeschichte bieten.
Transportkiste der Wehrmacht wird zu Puppenwagen
Was der niedliche Puppenwagen in der NS-Ausstellung zu suchen hat, wird erst durch die Geschichte klar, die dahinter steckt. Ein hochrangiger Soldat hat in den 1940er Jahren Raubgut in einer Transportkiste der Wehrmacht aus Frankreich nach Österreich geschickt.
Nach dem Krieg hat er die Kiste mit handwerklichem Geschick in ein harmloses Kinderspielzeug umgebaut. Als der Besitzerin die Zusammenhänge später klar wurden, wollte sie das Objekt und vor allem auch die darin gespeicherten unangenehmen Erinnerungen loswerden. Nun wird das zweideutige Objekt in der Ausstellung hinterfragt.
SA-Uniform einfach übermalen?
Das Porträt des Rektors Harold Steinhacker in einer SA-Uniform mit einer Hakenkreuz-Binde am Arm stammt von dem Maler Hubert Lanzinger, der auch ein bekanntes Hitlerbild mit Fahne geschaffen hat. Über der SA-Uniform trägt Steinacker die Kette des Rektors.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand das Porträt aus der Galerie der Universität. In den 1950er Jahren machte ein Nachfolger den Vorschlag, die Uniform durch einen dunklen Talar übermalen zu lassen. Dann wäre das Bild wieder in Ordnung.
"Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man versucht hat, mit Pinsel und Farbe die gesamte Wirkmacht eines Rektors zu übertünchen. Steinhacker hat jüdische und politisch unliebsame Studenten und Angestellte aus der Universität Innsbruck entfernen lassen. Von Egon Denz, dem Innsbrucker Bürgermeister in der NS-Zeit sei leider kein Gemälde erhalten, bedauert der Historiker. Es gibt nur Fotografien, die als Vorlagen für ein Gemälde gedient haben könnten. Vielleicht taucht das Bild noch auf?
Kein Selfie mit Hitler
Die Ausstellung ist überlegt und sachlich gestaltet. Die Objekte werden ohne Kissen nüchtern in transparenten Vitrinen gezeigt. Den Bronzekopf von Adolf Hitler lässt man bewusst zur Wand blicken. Der Diktator bekommt keine Bühne mit zusätzlichem Licht. Man wolle Schulklassen auf keinen Fall einen Hintergrund für Selfies bieten, erklärt der Kurator.
Schulungen für Jugendliche
Ein wertvolles Rahmenprogramm ergänzt die Schau. Experten vom Verfassungsschutz halten präventive Schulungen für Jugendliche. Das Projekt heißt „Social Media Krake“. Vielen seien die Grenzen nicht ganz klar. Sie wissen nicht, dass das Posten eines Fotos von Adolf Hitler strafbar ist.
„Dafür gibt es eigene Beauftragte der Kriminalpolizei Innsbruck. Die gehen in die Klassen und erklären es den Jugendlichen. Wenn auf dem Handy noch etwas Unangenehmes drauf ist, dann könnte es zu einer Hausdurchsuchung und weiteren Schritten kommen“, sagt Hofinger. „Vorher nachdenken und einfach bleiben lassen“, formuliert er es salopp.
„Die Erforschung der eigenen Geschichte stärkt“
Immer wieder kommen Menschen ins Stadtarchiv und würden gerne mehr über ihre Großeltern erfahren. Der Historiker Niko Hofinger unterstützt diese Initiativen. „Stellen Sie sich der eigenen Geschichte“, schlägt er vor, „versuchen Sie, alles herauszufinden. Wappnen Sie sich ein bisschen, denn Sie werden auch Sachen sehen, die Sie vielleicht nicht sehen wollen. Doch am Schluss werden Sie gestärkt aus dieser Forschung herausgehen.“
Das konkrete Wissen sei besser zu verarbeiten als abstrakte Ahnungen, ist Hofinger überzeugt. Er glaubt, dass die Themen so lange in den Familien drin bleiben würden, bis sich jemand damit beschäftige. Die dritte Generation habe mehr Offenheit und auch den Mut, sich den heiklen Fragen zu stellen.
Gemälde von Nepo in Schieflage
Auch im Stadtarchiv geht man bewusst mit den hauseigenen Objekten um. Die vier Gemälde des Tiroler Malers Ernst Nepo hängen seit Jahrzehnten im Stiegenhaus. Nepo war ein begabter Maler aber auch ein überzeugter Nationalsozialist. So hat man die Bilder für die Dauer der Ausstellung bewusst schief gehängt, um sie in Frage zu stellen. Nach dem Ende der Schau wird man dann entscheiden, was zu tun ist: zerstören, verkaufen oder aufbewahren.