Günter Weiss im Interview
ORF
ORF
Wissenschaft

Weiss fordert mehr Geld für Forschung

Der in der Coronapandemie bekannt gewordene Infektiologe Günter Weiss fordert dringend mehr Geld für medizinische Grundlagenforschung und klinische Studien. Aufgrund abgelehnter Projekte verliere man viele Wissenschafterinnen, Wissenschafter und junge Forschungstalente.

Es brauche in Österreich dringend mehr Geld für Grundlagenforschung im Bereich der biomedizinischen Wissenschaften sowie für klinische Studien – und eine breiter aufgestellte Förderlandschaft, schlägt der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Uni-Klinik für Innere Medizin Alarm. „Es muss so viel Geld da sein, dass innovative Projekte gefördert und nicht aus Geldmangel abgelehnt werden. Letzteres passiert leider sehr oft“, sagte Weiss im APA-Interview.

Zu wenig Geld für Top-Projekte

„Die Leute sind frustriert. Wir verlieren Wissenschafter und viele junge Forschertalente“, gab der renommierte Mediziner, der vor allem während der Coronapandemie einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden war, eine Beschreibung der Ist-Situation ab und appellierte gleichzeitig an die Politik. Klarerweise gebe es in Österreich den Wissenschaftsfonds FWF, den er „sehr schätze und voll unterstützte“ und dessen Verantwortliche „um jede Million kämpfen“ würden.

Aber es sei insgesamt zu wenig Geld vorhanden. „Viele Top-Projekte werden aus Ressourcenmangel abgelehnt und können nicht gefördert werden. Dadurch gehen viele Ideen verloren und Forscher kehren der Wissenschaft den Rücken zu. Dadurch verlieren wir in Österreich ein enormes Potenzial an brillanten Leuten“, fand Weiss deutliche Worte.

Das neue Genom-Gerät der Meduni Innsbruck ermöglicht einen schnellen und umfassenden Scan des Ergbuts
ORF
An der Medizinischen Universität in Innsbruck wird etwa mit neuen Geräten an Erbgut geforscht

Junge wandern in Industrie oder Ausland ab

Im Bereich des FWF müsse man von einer aktuellen Förderquote von ca. 20 Prozent auf mindestens 30 Prozent kommen. "Man muss – salopp formuliert – fünf bis zehn Anträge schreiben, dass man einen durchkriegt. Für junge Wissenschafter ist das extrem frustrierend. Sie haben kaum eine Chance an Fördergeld zu kommen, weil es so kompetitiv ist und sie noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Es scheitert oft an Kleinigkeiten, aber auch gut gemeinte Vorschläge von Gutachtern führen mitunter zur Ablehnung von Anträgen.

Die jungen Menschen wandern deshalb in die Industrie oder ins Ausland ab und gehen der Forschung im Inland verloren", erklärte Weiss: „Die Forschungsanträge sind mittlerweile extrem aufwendig geworden und umfassen neben den zentralen wissenschaftlichen Fragen auch viele bürokratische Auflagen und Erfordernisse.“ Es brauche neben den richtigen Ideen enorm viel Zeit und Geduld, um einen Antrag zu schreiben, dazu würden oft zahlreiche Vorexperimente eingefordert, die aber wiederum anderweitig finanziert werden müssten.

Fördertopf für Nachwuchsforschung

Österreich sei im Bereich der Förderung der Grundlagenforschung, vor allem was die Biomedizin betrifft, „Nachzügler in Europa“. In Ländern wie Deutschland und der Schweiz gebe es hingegen wesentlich mehr Förderschienen. Es brauche alternative Förderprogramme zum FWF, so Weiss. „Zum Beispiel – wie in Deutschland von den Ministerien – die objektiv von Experten begutachtet werden müssen, sowie spezifische thematische Forschungsinitiativen“, schlug er vor.

Und man brauche „einen Förder-Topf für Nachwuchsleute, bei dem die Hürden nicht so hoch sind, sogenannte Starting-Grants, welche jungen, exzellenten Talenten die Möglichkeit geben, ihr Forschungsprofil weiterzuentwickeln und interessante Projekte zu realisieren.“ Das FWF-System sei „im Prinzip gut“, betonte Weiss, aber: „Es ist so wenig Geld vorhanden, sodass sie dort sehr restriktiv sind und auch gute und innovative Projekte nicht gefördert werden.“

Abwassertests im Labor
APA/EXPA/STEFAN ADELSBERGER
Bis ein Forschungsprojekt starten kann, müssten Wissenschafterinnen und Wissenschafter oft viele Anträge schreiben

Bürokratischer Aufwand auch bei klinischen Studien hoch

Massiven Aufholbedarf ortete der Experte hierzulande auch, was die Förderung im Bereich der klinischen Studien betrifft: „Es gibt hier zwar einen Topf des FWF für klinische Projekte, was als sehr positiv anzusehen ist. Es ist aber kaum mehr möglich, komplexere klinische Fragestellungen oder Sekundäruntersuchungen beispielsweise im Falle von Medikamenten, die zugelassen worden sind, im akademischen Setting durchzuführen. Der bürokratische Aufwand ist extrem hoch, u.a. mit Studienregistrierung, Ethikkommission, Monitoring, Dokumentation, was auch enorme Kosten generiert.“

Förder-Nachholbedarf sah der Mediziner in Österreich auch im Bereich des Public-private-Partnership (PPP), also der öffentlich-privaten Partnerschaft. Es müsse gelingen, die Forschungsunterstützung durch Private oder Stiftungen mehr zu forcieren, die Forschungseinrichtungen Geld zur Verfügung stellen oder spezifische thematische Forschungsbereiche fördern.

Kettenverträge an Unis lösen Perspektivenlosigkeit aus

Ein weiteres Problem sei die sogenannte „Kettenvertragsregelung“, die besagt, dass über Forschungsförderprojekte angestellte Wissenschafter spätesten nach sechs Jahren die Universitäten verlassen müssen, selbst wenn noch Fördermittel vorhanden wären. Das führe bei den jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zu „viel Frustration und Perspektivlosigkeit“ sowie für die Universitäten zum Verlust von gut ausgebildeten Forschern und Know-how.

„Wissenschaft ist bei uns halt nicht so populär wie etwa Sport. Es braucht eine Mentalitätsänderung, dass Wissenschaft eben extrem cool und innovativ ist und sich deren Förderung rentiert “, ortete der Infektiologe ein grundsätzliches Problem. Durch eine breiter aufgestellte Forschungsförderung könnten mehr Ideen umgesetzt und wissenschaftliche Talente im Land gehalten werden. Das fördere die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Österreich, die Zahl von Patenten und Ausgründungen von Firmen (Spin-Offs), mit positiven wirtschaftlichen Effekten u.a. durch die Schaffung von attraktiven Arbeitsplätzen.