Geboren 1937 im Burgenland verbringt Marion Fischer, damals Marion Klein, ihre Kindheit in Lagern des faschistischen Italiens. Bereits zu Kriegsbeginn, als sie ein Jahr alt war, flüchten sie, ihre Eltern und ihr älterer Bruder aus Österreich. Die Route geht über die Schweiz, der Fluchtversuch nach Israel scheitert. In Italien wird ihr Vater schließlich verhaftet, die Familie kommt in das größte Konzentrationslager Italiens, das KZ Ferramonti.
„Es war ein typisch italienisches und kein deutsches Lager“, erinnert sich Marion Fischer. „Es gab einen sehr menschlichen Leiter, der viel ermöglichte. Die Kinder durften zur Schule gehen, und es gab eine Synagoge.“ Die Eltern versuchen, alles Schreckliche von den Kindern fernzuhalten: „Ich hab mich eigentlich wohlgefühlt. Mein Bruder, der mit meinem Vater in der Männerbaracke war, hat immer gesagt, wenn er sich daran erinnert hat, dass das für ihn wie ein Ferienlager war.“
Großes Glück
Nach einem Jahr, als das Lager zu voll wird, werden sie im italienischen Arsiero zivilinterniert. Die vierköpfige Familie „haust“ auf einem Dachboden. Sie dürfen weder zur Schule noch arbeiten gehen. Die Einheimischen sollten keinen Kontakt mit den jüdischen Flüchtlingen haben: „Aber wir waren mit dem ganzen Dorf befreundet, ich vor allem“, erinnert sich Fischer. Es ist der erste Ort, der sich für das kleine Mädchen wie Heimat anfühlt.
Doch diese Heimat wird ihr bald wieder entrissen. Als eines Tages fast alle jüdischen Familien über ein italienisches Lager schließlich nach Auschwitz deportiert und umgebracht werden, haben Marion Fischer und ihre Familie riesiges Glück. Ein junger Pfarrer rettet ihnen das Leben: „Meine Mutter war damals schwanger. Da hat der Pfarrer beim Bürgermeister durchgesetzt, dass sie meine Mutter erst entbinden lassen und sie dann deportieren.“ Stattdessen organisiert der Geistliche aber die Flucht in die Schweiz für sie: „Ich bin diesem Mann, der mittlerweile gestorben ist, immer noch dankbar.“
Sehnsucht nach Österreich
In der Schweiz werden sie und ihre Familie getrennt. Marion Fischer und ihr Bruder kommen jeweils in Pflegefamilien. Als der Krieg schließlich am 8. Mai 1945 endet, ist die Freude groß – vor allem bei Marion Fischer: „Ich habe am 8. Mai Geburtstag. Es gab Feuerwerke und Musik überall. Ich hab geglaubt, man feiert meinen Geburtstag und habe mich sehr gefreut.“
Ihre Familie geht erst nach Italien. Irgendwann packt den Vater, so erzählt es Fischer, die Sehnsucht nach Österreich, obwohl die Nationalsozialisten drei Großeltern von Marion Fischer und einen Onkel umgebracht haben. Sie ziehen nach Innsbruck und nicht nach Wien, weil der Vater glaubt, dass es dort weniger Antisemiten gibt. „Ich pflege zu sagen, dass das der größte Irrtum seines Lebens war“, sagt die mittlerweile 87-Jährige.
Kollektives Schweigen
Der Judenhass war auch nach dem Krieg allgegenwärtig. Über die Geschehnisse und Verbrechen will niemand sprechen: „Leider muss ich sagen, wollte ich auch nicht darüber reden. Ich hätte viel fragen können und sollen, was ich nicht getan hab und was mir heute leid tut.“
Marion Fischer heiratet und wird Mutter einer Tochter. Sie eröffnet in der Pfarrgasse in Innsbruck ein Antiquitätengeschäft. Als sie 1988 in der Früh zu ihrem Geschäft kommt und ein Davidstern an der Mauer ihres Geschäfts prangt, schließt sie das Geschäft und geht nach Italien. Erst nach Jahren kommt sie wegen ihrer Tochter und Enkelkinder wieder nach Innsbruck. Das Leben auf der Flucht hat sie geprägt. Heimat kennt sie keine: „Für mich ist das nur ein Begriff und nichts, was ich selbst kenne oder erlebt habe.“
Leben ohne Angst
Das Judentum praktiziert Marion Fischer nicht mehr: „Ich glaube, wir sollten in der Schule vielmehr Ethik als Religion unterrichten“, ist sie überzeugt. Es ist die Dankbarkeit, überlebt zu haben, die sie motiviert, sich nach Jahren des Schweigens als Zeitzeugin doch zu erinnern.
Dass der Antisemitismus derzeit deutlich zunimmt, entsetzt sie, nimmt ihr aber nicht ihre Furchtlosigkeit: „Angst ist etwas, was ich nicht kenne. Ich glaube, das habe ich meinen Eltern zu verdanken. Ich habe so viel Liebe von ihnen bekommen und in der ist man eingebettet und dann ist man einfach furchtlos.“