Anders als der vor 18 Jahren für seinen mit Mitte 30 errungenen Etappenerfolg ausgezeichnete Georg Totschnig steht der 25-jährige Felix Gall erst am Anfang seiner Landesrundfahrten-Karriere.
Gall hielt dem Druck auch mental stand
Denn Gall gewann im Juli nicht nur die Königsetappe der Tour, sondern schlug sich als Achter des Gesamtklassements und Zweiter der Bergwertung über die gesamten drei Wochen formidabel. Dabei trotzte der Bergspezialist nicht nur den enormen körperlichen Anforderungen der „Großen Schleife“, er hielt auch dem mentalen Druck samt Stotterstart, zwischenzeitlichen Rückschlägen und teaminternen Debatten stand. Das alles erfolgreich unter einen Hut zu bringen, hätte dem passionierten Golfer aus Nußdorf-Debant trotz starker Vorleistungen niemand zugetraut. Auch Gall selbst nicht, dementsprechend kommentierte er das Geleistete mit einer gewissen Ungläubigkeit.
Gesund durch die Saison
Die Gefahr, dass ihm der Erfolg zu Kopf steigen könnte, ist gering. Der besonnene und heimatverbundene Aufsteiger reflektiert das Erreichte stets bescheiden. „Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Zukunft. Die Schlüsse daraus müssen wir in Ruhe besprechen, das wird ein längerer Prozess werden“, erläutert er, noch ohne konkrete Ziele für die kommende Saison zu nennen. Der in Jugendjahren als Triathlet aktive HAK-Absolvent schreibt seinen heurigen Leistungssprung hauptsächlich der ohne Krankheiten ideal verlaufenen Saisonvorbereitung zu. Ideal auf die Form ausgewirkt habe sich auch ein Höhentrainingslager in Spanien.
Lakata und Eisel an Galls Seite
Um es aber tatsächlich irgendwann über drei Wochen mit den Topstars aufnehmen zu können, muss er sich nicht nur seinen Trainingseifer bewahren, er wird auch hart an vorhandenen Schwachstellen arbeiten müssen. Eine davon ist das Zeitfahren, auch an der Schnellkraft für Sprints gilt es noch zu feilen. Die Pläne dafür gestaltet sein irischer Coach Stephen Barrett. Als Trainingspartner in Osttirol fungiert unter anderem Mountainbiker Alban Lakata. Einer seiner Ratgeber seit Jugendtagen ist Ex-Radprofi Bernhard Eisel.
Dass Gall auch abseits des Rades noch dazulernen kann, wurde ihm in der sommerlichen Rennpause vor Augen geführt. Neben der Tour hätten ihn die plötzlich zu leistende Öffentlichkeitsarbeit sehr erschöpft, wie er kürzlich zugab. Künftig werde er sich nach mehrwöchigen Belastungen eine echte Auszeit gönnen, sagte Gall.
Französischem Team bis 2025 verpflichtet
Als eine Hypothek im Streben nach noch höheren Tour-Weihen könnte sich zumindest mittelfristig sein Team AG2R-Citroën erweisen, für das er noch mindestens bis 2025 fahren wird. Die Mannschaft ist im Vergleich zu den deutlich finanzkräftigeren Toprennställen nicht hochkarätig genug aufgestellt, um über weite Strecken der Tour das Tempo und die Taktik zu bestimmen. Gall hat seinen Vertrag bei den Franzosen im Frühsommer vorzeitig verlängert, bevor als Empfehlung für einen möglichen Transfer mit dem ersten Profi-Erfolg bei der Tour de Suisse und den Heldentaten in Frankreich der große Durchbruch gelang.
Zur erweiterten Weltspitze gehörte der 2015 mit dem Junioren-WM-Titel erstmals besonders aufgefallene Osttiroler auch schon davor, wie Topergebnisse bei einwöchigen Rundfahrten 2022 und im heurigen Frühjahr belegen. Letztere veranlassten sein Team, Gall kurzfristig aus dem Aufgebot für den Giro d’Italia zu nehmen und ihn stattdessen zur Tour zu schicken. Was darauf folgte, ist mittlerweile rot-weiß-rote Sportgeschichte.