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Kultur

Stift Wilten: Skulpturen für die Ewigkeit

Die Skulpturen an der Balustrade der Kirche von Stift Wilten in Innsbruck sind durch Repliken ersetzt worden. Die barocken Originale waren ursprünglich aus Holz gefertigt. Da diese über die Jahrhunderte morsch geworden waren, wurden sie aufwendig durch Aluminiumskulpturen ersetzt.

Eine monumentale Giebelskulptur schwebt vor der Fassade von Stift Wilten in den Himmel. Die Heilige Maria mit Kind wird von einer Engelsschar getragen und ist unterwegs an ihren angestammten Platz in der Mitte der Balustrade der Stiftskirche. Fünf Jahre lang war die von Barockbaumeister Georg Anton Gumpp zu Beginn des 18. Jahrhunderts gestaltete Schaufassade verwaist gewesen.

Wilten
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Die neu gegossenen Skulpturen thronen wieder auf der Balustrade von Stift Wilten.

2019 waren die originalen Figuren abmontiert worden. Seit Kurzem sind sie zurück und genießen wieder den traumhaft schönen Blick über Innsbruck bis zur Martinswand. Leopold Baumberger ist erst seit Mai 2023 Abt des Prämonstratenserstiftes Wilten. Der Oberösterreicher geht gerne in die Berge und genießt die Höhenluft. Nun steht der Abt in 30 Meter Höhe auf dem Dach der Stiftskirche und meint, er beneide die neuen Skulpturen ein bisschen um ihre Aussicht.

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Abt Leopold Baumberger genießt die Aussicht vom Baugerüst auf die Innsbrucker Bergwelt

Skulpturen mit Fernwirkung

Laut einer im Stiftsarchiv von Wilten aufgetauchten handschriftlichen Abrechnung aus dem frühen 18. Jahrhundert hat der berühmte, österreichische Barockbildhauer Niclaus Moll die Figuren entworfen.

Sie seien weniger im Detail, sondern als Ensemble kunsthistorisch bedeutend, sagt Gabriele Neumann, die stellvertretende Leiterin des Tiroler Denkmalamtes. Die ursprünglich aus Holz gefertigten Figuren seien für die Fernansicht konzipiert worden, um Ankommende zu beeindrucken und von Weitem zu grüßen.

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Impression Friedhof Mühlau
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Der fliegende Rost des heiligen Laurentius

Um Kirchenbesucher nicht in Gefahr zu bringen, hat man die originalen Holzskulpturen rechtzeitig ausgetauscht. Denn bei einem Föhnsturm hätte einiges passieren können, erzählt Abt Baumberger. „Der Austausch hat ganz praktische Gründe. Vor einigen Jahren ist der Rost des heiligen Laurentius lose geworden und auf der Wiese neben dem Stift eingeschlagen. Es war Gefahr in Verzug, und man musste die Figuren entfernen. Bei der Begutachtung kam dann heraus, dass die Holzkerne komplett verfault waren und instabil geworden sind.“

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Loewit
Eine Restaurierung der Holzfiguren wäre nicht mehr möglich gewesen

Wechselvolle Geschichte von Stift Wilten

Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatte eine Fliegerbombe das nahe dem Innsbrucker Bahnhof gelegene Stift schwer getroffen. Die dabei entstandenen Schäden wurden nach dem Krieg nur notdürftig behoben.

Wilten
Bundesdenkmalamt
Ein Bombentreffer hat im 2. Weltkrieg das Dach beschädigt. Die Skulpturen am Giebel blieben standhaft.

Bei der großen Restaurierung des Stiftes im Jahr 1967 wurden die Holzfiguren mit dünnem Kupferblech verkleidet, um sie gegen Wind und Wetter zu schützen. Dennoch drang über die Jahre Wasser ins Innere ein, und die Holzkerne wurden morsch und faulig.

Nach einer Proberestaurierung des heiligen Laurentius erkannte man, dass der Holzkern nicht mehr zu retten war, und suchte nach einer alternativen Lösung. 2021 wurde der Tiroler Bildhauer Georg Loewit ins Team geholt. Er hatte bereits Erfahrung mit dem Abguss von historischen Figuren. Für das Zisterzienserstift in Stams hatte Loewit vor Jahren die Giebelskulpturen erneuert. Darunter war auch das monumentale Reiterstandbild des Landesfürsten Meinhard II.

Aluminiumfiguren für die Ewigkeit

Eine Neugestaltung der Figuren aus Holz hätte wenig Sinn gehabt, sagt der Bildhauer: „Unter dem Kupferblech sind die alten Holzkerne geradezu zerbröselt. Sobald man ein Detail wie eine Hand oder eine Falte geöffnet hat, war darunter nur noch Sägemehl. Die Feuchtigkeit ist eingedrungen und ein Schimmelpilz.“

Loewit setzt auf Aluminium. Das Material habe viele Vorteile, denn Holz halte nicht so lange. Das Aluminium werde alle überleben, da sei er sicher. Die Aluminiumskulpturen hätten ungefähr das gleiche Gewicht wie die alten Holzfiguren und sollten ein ewiges Werk sein, hofft Loewit.

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Loweit
Im Südtiroler Gröden wurden 1:1 Modelle der Figuren aus PU-Schaumplatten gefräst

Viele Expertinnen am Werk

Das Projekt in Wilten war wesentlich aufwendiger als die Abgüsse für Stift Stams. Loewit holte dazu einige Spezialisten ins Team. Im Südtiroler Gröden ist man auf das Schnitzen von Krippenfiguren spezialisiert. Neuerdings werden Maria und Josef und Ochs und Esel häufig nicht mehr mit der Hand geschnitzt, sondern am Computer programmiert und dann aus dem Holz gefräst. So wurden die maroden Wiltener Giebelfiguren in Gröden 3-D-gescannt, um dann riesige Modelle in der Originalgröße anzufertigen.

Georg Loewit
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Der Tiroler Bildhauer Georg Loewit hat mit Spezialisten in Gröden und Montebello zusammengearbeitet

Präzisionsarbeit im Blitztempo

Die 1:1-Modelle wurden in leichten PU-Schaumplatten gefräst. Der Bildhauer überarbeitete diese Modelle, verfeinerte die Gesichtszüge, rekonstruierte die Ornamente und fügte fehlende Attribute wieder hinzu. So bekamen die Figuren der Heiligen Laurentius und Stephanus neue Märtyrerpalmen in die Hand, und der heilige Norbert trägt wieder eine heile Monstranz.

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Die Skulpturen wurden in Montebello im Wachs-Ausschmelzverfahren gegossen

Italienische Gießer mit antiker Technik

Der Tiroler Bildhauer arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit einem italienischen Kunstgießer in Montebello in der Nähe von Vicenza zusammen. So hatte er das Vertrauen, dass auch diese Güsse gelingen würden. Die mittlere Gruppe mit Maria und den Engeln ist immerhin knapp sieben Meter hoch und wurde in 15 Einzelteilen gegossen. Die Gießer arbeiten mit dem seit der Antike angewandten aufwendigen Wachs-Ausschmelzverfahren.

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Die Mittelgruppe wurde in 15 Einzelteile zerlegt und gegossen

Auch bei Föhnsturm fest verankert

Die aus statischen Gründen mit einer Stahlkonstruktion im Inneren verstärkte Mittelgruppe wiegt 1,3 Tonnen. Die Heiligenfiguren bringen jeweils ungefähr 360 Kilogramm auf die Waage. Die Aluminiumfiguren wurden mit einer matten, weißen Farbschicht überzogen. In der Barockzeit wollte man den Eindruck erwecken, es handle sich um Statuen aus weißem Marmor.

Original oder Fake?

Auf die Frage, was die neu gegossenen und ergänzten Figuren noch mit den barocken Originalen zu tun hätten, antwortet Denkmalpflegerin Neumann: „Seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert wurden die Holzfiguren wahrscheinlich öfter ergänzt oder ausgetauscht. Von den barocken Originalen des Niclaus Moll ist wohl nicht mehr viel vorhanden gewesen. Bei den Nachgüssen handelt es sich keineswegs um Fake-Skulpturen, sondern um künstlerische Kopien nach den historischen Originalen.“

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Gabriele Neumann, die stellvertretende Leiterin des Tiroler Denkmalamtes, betreut das aufwendige Projekt

Fest verankert

Die Montage auf der Balustrade der Stiftskirche bereitete dann mehr Schwierigkeiten als gedacht. Das Dach war nach dem Krieg nur behelfsmäßig repariert worden. Der Dachstuhl musste geöffnet und verstärkt werden, um die neuen Skulpturen gut verankern zu können. Mit ihren Stahlskeletten im Inneren sind sie nun sicher montiert.

Die statischen Probleme führten zur Verzögerung des Projekts. Die Gesamtkosten betragen ungefähr 500.000 Euro. Einen Großteil übernimmt das Stift Wilten, unterstützt vom Land Tirol, von der Landesgedächtnisstiftung, vom Bundesdenkmalamt und von privaten Sponsoren. Die bekommen für ihre Spenden kleine Bronzeabgüsse der Skulpturen als Erinnerung.

Abt Leopold
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Abt Leopold will zur Einweihung aufs Dach klettern und die neuen Skulpturen persönlich segnen

Segen von oben

Bei der Einweihung am 26. November will Baumberger auch ohne Gerüst aufs Dach klettern. Dazu wird er durch eine kleine Dachluke schlüpfen. Der sportliche Abt lässt es sich nicht nehmen, die Skulpturen persönlich mit Weihwasser zu segnen.

Beim Anblick der kompletten barocken Schaufassade gerät der Abt ins Schwärmen: „Wenn man jetzt die Brennerstraße herunterfährt und die strahlend weißen Heiligen der Stiftskirche von Weitem sieht, dann ist das wie eine ausgesendete Botschaft, die hoffentlich die Menschen auch heute noch anspricht.“