Oberlandesgericht und Landesgericht Innsbruck
Hermann Hammer
Hermann Hammer
Gericht

Gletscherbefragung: Bedingte Haftstrafen

Im Falle der Volksbefragung zum letztlich gescheiterten Skigebietszusammenschluss Pitztal-Ötztal sind drei wegen Missbrauchs der Amtsgewalt angeklagte Mitglieder der Wahlbehörde am Dienstag am Landesgericht Innsbruck zu bedingten Haftstrafen verurteilt worden.

Der Erst- sowie Drittangeklagte erhielten zwölf Monate bedingt, der Zweitangeklagte elf Monate. Zusätzlich wurden sie zu Geldstrafen sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt. Die Urteile waren vorerst nicht rechtskräftig. Ihnen wurde vorgeworfen, Wahlkarten für andere Wahlberechtigte mit Pro-Stimmen ausgefüllt zu haben. Während die Staatsanwaltschaft Schuldsprüche gefordert hatte, plädierten die Verteidiger auf Freisprüche für ihre Mandanten.

Urteilsbegründung: Es geht um Werte der Demokratie

„Es geht um die Sicherung der Grundwerte unserer Demokratie“, betonte Richter Michael Böhler in der Urteilsbegründung. Wahlen seien das zentrale Instrument einer Demokratie. Dieses sei von Angeklagten „mit Füßen getreten“ worden. „Ihnen ist es darauf angekommen, das Wahlergebnis zu beeinflussen“, nämlich mehr Pro-Stimmen zu erreichen, mahnte der Richter.

Auch wenn das Handeln der Angeklagten nicht ausschlaggebend für den Ausgang der Volksbefragung gewesen sei, sei diese beeinflusst worden. Die Gemeinde sei um die rechtmäßig abgehaltene Wahl betrogen worden, außerdem die Wahlberechtigten um die Ausübung ihres persönlichen und geheimem Wahlrechts gebracht.

Richter: Nicht zu überbietende Dreistigkeit

„Sie haben Unterschriften gefälscht – bei einer Wahl. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen“, fand Böhler deutliche Worte. Selbst Kinder wüssten, dass man Unterschriften nicht fälschen dürfe: „Viel deutlicher kann man seine Befugnisse nicht missbrauchen.“ Das Handeln der Angeklagten sei „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“, schloss der Richter. Mildernd wurden das Tatsachengeständnis, Reue und die bisherige Unbescholtenheit der Angeklagten gewertet, erschwerend die Vielzahl der betroffenen Wahlkarten.

Angeklagte bekannten sich nicht schuldig

Die Angeklagten hatten sich zuvor nicht schuldig bekannt. Ihnen drohten sechs Monate bis fünf Jahre Haft. Nach den Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zog sich der Schöffensenat unter Vorsitz von Richter Böhler am Nachmittag zur Beratung zurück.

Vorwurf: Wahlkarten eigenmächtig ausgefüllt

Die drei Männer sollen sich laut Anklage von 17 Wahlberechtigten die Ermächtigung geholt haben, in deren Namen Wahlkarten von der Gemeinde abzuholen. Die Wahlberechtigten erhielten die Wahlkarten dann jedoch nie, warf die Staatsanwaltschaft Innsbruck den Beschuldigten vor. Die Angeklagten sollen die Wahlkarten vielmehr eigenmächtig ausgefüllt und für den Zusammenschluss gestimmt haben. Dann sollen sie die Wahlkarten in ihrer Funktion als Teil der Wahlbehörde in das Wahlergebnis miteinbezogen haben bzw. durch andere – redliche – Mitglieder miteinbeziehen haben lassen.

Von Befürwortern wissentlich missbraucht

Diesen in der Anklageschrift erhobenen Vorwurf wiederholte die Staatsanwaltschaft am Dienstag vor dem Schöffensenat. Dadurch sei auch die Gemeinde St. Leonhard um die Durchführung einer rechtmäßigen Volksbefragung betrogen worden. Die von den Wahlberechtigten erteilten Befugnisse hätten die Angeklagten, bekennende Befürworter des Skigebietszusammenschlusses, „wissentlich missbraucht“ und den Wahlberechtigten gegenüber eine „Drucksituation“ aufgebaut, so die Staatsanwältin. Selbst wenn diese Zustimmung zur „Gletscherehe“ signalisiert hätten, sei es nicht ausgeschlossen, dass sie bei einer geheimen Wahl dann anders abgestimmt hätten.

Die Anwälte der Angeklagten orteten indes in ihren Eröffnungsplädoyers Zweifel, wer rechtlich als Mitglied einer Wahlbehörde gelte. Auch werde nicht zwischen den Angeklagten differenziert, bemängelte der Verteidiger des Drittangeklagten. „Die Sache ist nicht so, wie sie von der Staatsanwaltschaft dargestellt wird“, so ein Anwalt. Dass Bewerbung einer politischen Position als „Druck“ gewertet werden könne, wurde verneint.

Beschuldigte sehen ihr Vorgehen als gedeckt an

Die drei Angeklagten sagten anschließend getrennt voneinander aus. Alle drei bekannten sich „grundsätzlich nicht schuldig“. Während der Erst- und Zweitangeklagte einräumten, Wahlkarten selbst ausgefüllt und unterschrieben zu haben, wies der Drittangeklagte alle Vorwürfe zurück. Der Erst- und Zweitangeklagte wollten jedoch im Glauben und nach Rückversicherung, das im Sinne der jeweiligen Wahlberechtigten zu tun, gehandelt haben. Beide seien der Meinung gewesen, dass dieses Vorgehen durch die Vollmacht gedeckt gewesen sei. Dass das rechtlich nicht in Ordnung sein könnte, sei ihnen zum entsprechenden Zeitpunkt „nicht bewusst“ gewesen, erklärten die beiden Beschuldigten.

Generalpräventive Wirkung des Urteils

Im Schlussplädoyer sah die Staatsanwältin praktisch ein Tatsachengeständnis durch die Angeklagten gegeben. Die Wahlwerbung für die „Gletscherehe“ werde ihnen nicht zur Last gelegt, aber spätestens nach Erhalt der Wahlkarten hätten diesen klar sein müssen, dass ihr Vorgehen rechtlich nicht gedeckt sei. Dort sei klar festgehalten, dass die Unterschrift der Wahlberechtigten selbst geleistet werden müsse.

„Die Demokratie lebt vom Wahlrecht“, betonte die öffentliche Anklägerin. Durch Vorgänge wie diese werde die Akzeptanz der Demokratie weiter geschwächt. Deshalb verwies sie auch auf die generalpräventive Wirkung des geforderten Schuldspruchs.

Verteidiger: Kein wissentlicher Gesetzesbruch

Die Verteidiger stellten indes unisono einen wissentlichen Gesetzesbruch durch ihre Mandanten in Abrede. Diese wollten, angesichts der Politikverdrossenheit verständlicherweise, möglichst viele Menschen zur Stimmabgabe motivieren. Die Wahlberechtigten wären dann „heilfroh“ gewesen, ohne Aufwand abstimmen zu können, verwies der Anwalt des Erst- und Zweitangeklagten auf vorherige Zeugenaussagen.

Der Anwalt des Drittangeklagten beharrte indes auf eine andere Beurteilung des Handelns seines Mandanten. Dieser habe keine Unterschriften gefälscht, sondern nur Wahlkarten übernommen, verteilt und wieder zurückgebracht. Eine bewusste Absprache zwischen den Angeklagten stellte er ebenso in Abrede wie Vorsatz.

Zusammenschluss knapp abgelehnt

Die Volksbefragung über das Projekt „Skigebietszusammenschluss Pitztal-Ötztal“ hatte am 17. Juli 2022 mit einer knappen Ablehnung geendet. Auf die Frage „Soll der Skigebietszusammenschluss Pitztal-Ötztal gebaut werden?“, hatten 353 Stimmberechtigte in St. Leonhard mit Nein (50,36 Prozent), 348 (49,64 Prozent) mit Ja gestimmt (Wahlbeteiligung: 59 Prozent). Gleich darauf hatten die Verantwortlichen der Pitztaler Gletscherbahn erklärt, das Interesse an der Fortführung des Projektes verloren zu haben. Nach Anklageerhebung wurde seitens der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal erneut betont, dass das Projekt abgesagt bleibe.