Die Gammerspitze (Potentilla nivea) zählt zu den „botanischen Kronjuwelen Tirols“
C. Bertel
C. Bertel
Umwelt

Viele Pflanzen in Tirol sind in Gefahr

Bei den Gefäßpflanzen gibt es in Tirol aktuell eine besorgniserregende Entwicklung. Immer mehr Arten sind unmittelbar vom Aussterben bedroht oder schon völlig verschwunden. Das geht aus der neu veröffentlichen „Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen für Tirol“ hervor. Über 3.000 Arten wurden dafür in jahrelanger Forschung erfasst.

Vor 25 Jahren erschien die erste und bisher einzige „Rote Liste der Gefäßpflanzen“ für Tirol. Diese wurde seitdem nur in Ansätzen adaptiert. Aus diesem Grund war eine Neubearbeitung des Standardwerks notwendig. Vor rund zehn Jahren begann deshalb ein Forschungsteam von rund 30 Botanikerinnen und Botanikern mit der Arbeit an einer neuen Gesamtschau. Am Freitag wurde diese von Vertreterinnen und Vertretern der Universität Innsbruck sowie des Landes Tirol im Botanischen Garten der Landeshauptstadt präsentiert.

Die neue „Rote Liste“ ist ein wichtiger Zustandsbericht und bietet einen umfassenden Überblick über die in Tirol verbreiteten Farn- und Blütenpflanzen, deren Häufigkeit und Gefährdungsstatus. Das Ergebnis der Forschung ist aktuell eher ernüchternd, sagte Konrad Pagitz, Projektleiter vom Institut für Botanik der Uni Innsbruck.

Jeder vierten Art geht es schlecht

Der Bericht zeige, dass es zwar noch Arten gebe, denen es „nach wie vor relativ gut“ gehe. „Aber wir haben doch ein Viertel – und das ist schon ein beträchtlicher Anteil – dem es entweder tatsächlich so schlecht geht, dass er gar nicht mehr vorhanden ist, oder dass er zumindest starke Einbußen erlitten hat“, meint Pagitz. Insofern könnten diese Arten teilweise auch als gefährdet bzw. als unmittelbar vom Aussterben bedroht gelten.

Tirolweit nur noch ein Tragant

Die „Rote Liste“ fungiert auch als Checkliste und insofern als Inventar der Tiroler Gefäßpflanzenarten. Insgesamt wurden hierzulande bei der Forschungsarbeit 3.098 Arten nachgewiesen. Dazu gehören Schachtelhalme oder Bärlapppflanzen, heimische Nadel- und Laubbäume, Gräser und Pflanzen in Wiesen und Wäldern. Moose und Algen sind bei den Farn- und Blütenpflanzen nicht inkludiert.

Der Zwerg-Igelkolben (Sparganium natans)  gehört in Osttirol zu den vom Aussterben bedrohten Pflanzen
C. Lechner Pagitz
Der Zwerg-Igelkolben (Sparganium natans) gehört in Osttirol zu den vom Aussterben bedrohten Pflanzen

Zwei Beispiele für besonders seltene Arten seien einerseits der Steppen-Bergfenchel und andererseits der Tragant, meint Pagitz. Während vom Steppen-Bergfenchel landesweit nur mehr drei Exemplare gefunden wurden, kommt der Tragant lediglich ein Mal vor. In der „Roten Liste“ wird jede Art detailliert und nach internationalen Kriterien beschrieben. Sie vermitteln Aussagen über die Häufigkeit, die Bestandsentwicklung und die Risikoabschätzung für die Zukunft.

Hälfte der Pflanzen geht zurück

Eine genauere Betrachtung der Entwicklung einzelner Pflanzen liefere weitere aussagekräftige Befunde. „Bei der Hälfte der Pflanzen beispielsweise in Nordtirol sehen wir eine Abnahme, die mehr oder weniger stark ist. Sie umfasst jedenfalls mehr als zehn Prozent und das ist noch einmal ein beträchtlicherer Wert als die Arten, die akut gefährdet sind“, so der Biologe.

Ursachen für den starken Rückgang der Farn- und Blütenpflanzen gebe es viele. Die Hauptgründe seien laut Pagitz die Änderung in der Landnutzung und der Flächenverlust. Damit sei ein enormer Verlust des Lebensraumes der verschiedenen Arten verbunden. Dieser gehe auf die Bodenversiegelung oder auf Intensivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft zurück.

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Die Gammerspitze (Potentilla nivea) zählt zu den „botanischen Kronjuwelen Tirols“
C. Bertel
Die Gammerspitze (Potentilla nivea) zählt laut dem Zustandsbericht zu den „botanischen Kronjuwelen Tirols“
Eine sehr selten gewordene Ackerrandflora aus dem neuen Standardwerk „Rote Liste und Check­liste der Farn- und Blü­ten­pflan­zen Nord- und Ost­ti­rols“
K. Pagitz
Eine sehr selten gewordene Ackerrandflora aus dem neuen Standardwerk „Rote Liste und Check­liste der Farn- und Blü­ten­pflan­zen Nord- und Ost­ti­rols“
In Leutasch befinden sich diese artenreiche Feuchtwiese und das Niedermoor
K. Pagitz
In Leutasch befinden sich diese artenreiche Feuchtwiese und das Niedermoor

Im Vergleich zum Ackerbau vor mehreren Jahrzehnten habe es mittlerweile deutliche Veränderungen und viel stärkere Eingriffe gegeben. „Der Mais- oder Gemüseanbau hat zu einer völligen Veränderung der Unkrautflora geführt und gerade diese klassischen Getreideunkräuter, die früher für bunt blühende Wildkräuterflächen auf Äckern gesorgt haben, die sind heute Geschichte“, so Pagitz. Sehr häufig hätten Neophyten, also ursprünglich fremde Arten, diese ersetzt.

„Brauchen weniger Verbauung, weniger Eingriff“

So werden zahlreiche Pflanzenarten in ihren Lebensräumen laufend weiter zurückgedrängt. Die „Rote Liste“ sei nur eine Momentaufnahme, betont Pagitz. Unter Berücksichtigung der aktuellen Risikofaktoren spricht er von einem wenig erfreulichen Ausblick für die nächsten Jahre: „Das heißt für viele Arten gibt es eine Prognose, die gelinde gesagt negativ bis trist ausfällt, wir sind auf einem Weg, wo es für die betroffenen Arten im Regelfall schlechter und nicht besser wird“, sagte er.

Letztendlich leide die Biodiversität, das heißt die Artenvielfalt und der biologische Kreislauf, darunter. Die gute Nachricht ist aber, dass man mit einigen Maßnahmen entgegenwirken könne. Dafür gebe es auch einen dringenden Bedarf. „Weniger Verbauung, weniger Eingriff für landwirtschaftliche Flächen oder die Rücknahme der Düngung und der Mahdfrequenzen, solche Dinge würden durchaus für viele Arten wieder ein positiveres Bild liefern“, ist Pagitz überzeugt.

„Rote Liste“ soll Naturschutz beeinflussen

Einen positiven Einfluss soll die neue „Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen“ auch auf Naturschutzverfahren in Tirol haben. Immerhin gibt es davon jährlich rund 1.300. Mit einer umfangreichen Gesamtgrundlage von 1,5 Millionen Datensätzen soll das neue Standardwerk auch behördliche Verhandlungen und Entscheidungen im Bereich Umweltschutz beeinflussen.

Die neue „Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen“ für Nordtirol und Osttirol
Land Tirol/Milicevic
Die neue „Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen“ für Nordtirol und Osttirol

„Für Bewilligungsverfahren ist die neue Rote Liste ein Meilenstein", ergänzte Walter Michaeler von der Abteilung Umweltschutz des Landes Tirol bei der Präsentation des Forschungsprojekts. Bisher sei neben dem Werk von 1997 vor allem die österreichweite „Rote Liste“ für Pflanzen zu Rate gezogen worden, aber auch das Wissen von einzelnen Expertinnen und Experten in der jeweiligen Region. „Nun haben wir ein aktuelles Gesamtwerk für ganz Tirol“, so Michaeler.