Vor allem junge Frauen und Kinder mussten zu dieser Zeit unter sehr prekären Bedingungen und ohne Schutzkleidung arbeiten. Die jüngste von ihnen war laut Überlieferungen gerade einmal zehn Jahre alt. „Man hat Kinder als kleine Erwachsene angesehen, daher sieht man auf historischen Fotos Kinder im Sonntagsanzug mit Uhren und Kette. Diese Kinder wurden in den Fabriken oft eingesetzt, weil sie klein genug waren, um in eine Maschine hineinzukriechen und sie zu reparieren“, erklärte Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums in Absam. Frauen arbeiteten in Kleidern und barfuß, da man am rutschigen und nassen Boden in den Produktionshallen mit festem Schuhwerk zu leicht ausrutschen konnte.
Aufstieg der Textilindustrie im 19. Jahrhundert
Wer die aktuellen Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen und Arbeitern in Billiglohnländern wie etwa Asien oder Pakistan kennt, erkennt Ähnlichkeiten zur heimischen Textilindustrie vor rund 150 Jahren. Im 19. Jahrhundert begann in Österreich der Aufstieg der Textilindustrie – auch in Tirol war diese Branche mächtig. Das Herstellen von Stoffen war mühsame Handarbeit, erklärte Alina Nederegger, die in ihrer Bachelorarbeit zur Geschichte von Tirols Fabriksarbeiterinnen forscht: „Diese Frauen kamen hauptsächlich aus Arbeiter- oder Bauernfamilien. Bis zu zwölf Stunden täglich oder mehr arbeiteten sie im Durchschnitt in den Fabriken. Entlohnt wurden sie sehr viel schlechter als Männer. Außerdem gab es keine Hygienemaßnahmen und auch deren Unterbringung beziehungsweise Wohnsituation war sehr problematisch.“ Die Arbeiterinnen kamen aus allen Teilen der heutigen Europaregion Tirols und auch darüber hinaus.
Hungerlöhne, Kinderarbeit und Arbeitserziehung
Die Bezahlung in der Textilbranche war schlecht. Die Arbeiterinnen mussten sich mit Hungerlöhnen über Wasser halten. Fabriken, die ab dem 18. Jahrhundert gebaut wurden, benötigten keine qualifizierten Arbeitskräfte. Je besser der Betrieb ausgestattet war, desto häufiger wurden sie dort als billige Arbeitskräfte eingesetzt.
Eines der bedeutendsten Textilunternehmen Westösterreichs war die Fabrik Herrburger und Rhomberg in Absam. Um die Jahrhundertwende arbeiteten dort laut Arbeitsverzeichnis viele Kinder an den Spinnmaschinen. Die jüngsten unter ihnen waren zehn bis 14 Jahre alt. „Noch vor der Einführung der Schulpflicht etablierte Maria-Theresia ein System der Arbeitserziehung“, sagte Breit. In Spinnschulen seien Bettler- und Landstreicher zur modernen Arbeit in der Fabrik erzogen worden. Fabriksherren hätten sich als ,Wohltäter und Menschenfreunde’ gesehen, da sie mit ihren Frauen- und Kinderarbeitsplätzen ein vermeintlich gutes Leben für viele ermöglichten, betonte Breit.
Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Erst mit dem Ende der Monarchie im Jahr 1918 mit der Einführung des Mutterschutzes und dem Verbot von Kinderarbeit änderten sich die Arbeitsbedingungen. In der Fabrik Herrburger und Rhomberg in Absam werden auch heute noch Textilien wie etwa Vliese hergestellt. Das alte Kraftwerk ist nach wie vor in Betrieb und das Wasser für die Produktion kommt wie damals aus dem Halltal.