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VfGH-Erkenntnis verunsichert Ortschefs

Ist das Bürgermeisteramt mit dem Beruf der Rechtsanwältin oder des Anwalts vereinbar oder nicht? Diese Frage sorgt derzeit bei so manchem Ortschef für Unsicherheit. Laut einem Erkenntnis des VfGH könnte die gleichzeitige Ausübung von beiden Tätigkeiten unzulässig sein.

Ein Betroffener spricht praktisch von einem „Arbeitsverbot“. Es sind die feinen Unterschiede der juristischen Sprache, die derzeit für Diskussionen sorgen. Denn ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) könnte große Auswirkungen auf Anwältinnen und Anwälte haben – zumindest auf jene, die gleichzeitig das Bürgermeisteramt ausüben wollen. Das befürchtete der Österreichische Gemeindebund.

Konkret handelt es sich um einen Abschnitt der Rechtsanwaltsordnung (RAO). Das Gesetz regelt unter anderem die Zulassung zum Beruf der Anwältin bzw. des Anwalts in Österreich. Paragraph 20 definiert, welche Tätigkeiten mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft als unvereinbar gelten. Dazu gehört unter anderem „die Führung eines besoldeten Staatsamtes mit Ausnahme des Lehramtes“. Darunter sei etwa die Arbeit als Mitglied der Bundes- oder einer Landesregierung, als Obmann eines Klubs im Nationalrat oder als Staatsanwalt zu verstehen.

VfGH ortet Ungleichbehandlung

Als sprachliche Feinheit ist in diesem Abschnitt derzeit noch eine Tätigkeit erfasst, „die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder durch ernannte berufsmäßige Organe erfolgt“. Die Wortfolge „durch ernannte berufsmäßige Organe“ ist dabei entscheidend. Diese Phrase hob der VfGH in seinem Erkenntnis vom 5. Oktober 2022 als verfassungswidrig auf. Die Aufhebung tritt mit 1. November 2023 in Kraft.

Anlass für das VfGH-Erkenntnis war eine stellvertretende Stadtamtsdirektorin. Sie wollte gleichzeitig als Anwältin tätig sein. Weil sie von der Kammer abgelehnt wurde, ging der Fall bis zum Höchstgericht. Grund für die Aufhebung ist eine aus Sicht des VfGH unterschiedliche Behandlung von Beamten und Vertragsbediensteten.

Die Beschränkung auf „ernannte berufsmäßige Organe“, also Beamte, sei eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber vertraglich bestellten Organen (Vertragsbediensteten), erklärt Mathias Pichler, Fachreferent beim Österreichischen Gemeindebund, in einem Aufsatz der Zeitschrift Kommunal. So ist bisher die dienstrechtliche Stellung ausschlaggebend, was durch das Erkenntnis aufgehoben wird.

Minimale rechtliche Änderung

In der Interpretation des Gemeindebundes könnte diese minimale rechtliche Änderung große Auswirkungen haben. Denn durch die Aufhebung der Wortfolge gibt es eine Öffnung der Regelung, was schließlich auch auf das Amt des Bürgermeisters zutreffen könnte. „Ohne gesetzliche Klarstellung ist ab dem Herbst eine Unvereinbarkeit des Rechtsanwaltsberufes mit dem Bürgermeisteramt zu befürchten“, so Pichler.

Verfassungsgerichtshof in Wien
APA/Herbert Neubauer
Ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs könnte Auswirkungen auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürften demnach gleichzeitig nicht das Amt eines Bürgermeisters ausüben. Das sei problematisch, denn das öffentliche Amt müsse weiterhin einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich sein, so Pichler. „Dies gilt umso mehr für Zeiten, in denen es immer schwieriger wird, Menschen für dieses Amt zu begeistern.“

Haller Bürgermeister wäre betroffen

In Tirol wäre etwa Christian Margreiter davon betroffen. Während er als Bürgermeister der Stadt Hall in Tirol vorsteht, ist er in seinem Zivilberuf als Rechtsanwalt tätig. Für ihn würde das bedeuten, dass die Berufsgruppe davon ausgeschlossen ist, sich für ein demokratisches Amt zu bewerben. „Das ist für mich ein absolutes Armutszeugnis einer Demokratie“, sagte er gegenüber dem ORF Tirol. Für ihn käme das praktisch einem „Arbeitsverbot“ gleich.

Für das Amt des Bürgermeisters sei es ohnehin hilfreich, möglichst viel Fachwissen aus dem Rechtsbereich zu haben. Die meisten Entscheidungen, die getroffen werden müssen, würden rechtliche Komponenten aufweisen. „Da ist es meiner Meinung nach für die Gemeinde schon von Vorteil, wenn der Bürgermeister selber über entsprechende Expertise verfügt.“

Zwar dürfte Margreiter laut Tiroler Rechtsanwaltskammer der einzige Betroffene sein. Von den österreichweit 2.093 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern wären es wohl deutlich mehr. Der Großteil übt das Amt nebenberuflich aus.

„Ausschluss wäre absurd“

Auch der Kufsteiner Bürgermeister Martin Krumschnabel sieht die mögliche Änderung sehr kritisch. Er war bis vergangenes Jahr ebenfalls gleichzeitig als Anwalt tätig. Eine allfällige Unvereinbarkeit in diesem Beruf sieht er in der Rolle als Ortschef nicht: „Ich bin seit 13 Jahren im Amt und habe noch nie irgendeine Weisung von einer Oberbehörde bekommen, also die Unabhängigkeit ist durch die Gemeindeautonomie mehr als gegeben.“

Mit Ende 2022 legte Krumschnabel seine Arbeit als Rechtsanwalt nieder und übergab seine Kanzlei einem Nachfolger. Das habe jedoch nichts mit der aktuellen Debatte zu tun gehabt. Grund dafür sei stattdessen der Arbeitsaufwand gewesen. Er wollte sich voll und ganz der Politik widmen, was als „Einzelkämpfer“ in einer Anwaltskanzlei schwierig gewesen sei.

Die Gefahr einer „Bevormundung“ und einer Unvereinbarkeit zwischen dem Amt und dem Beruf sieht er jedenfalls nicht. Ähnlich wie sein Amtskollege Margreiter erachtet er seine Tätigkeit als Anwalt als ideale Voraussetzung und „den geeignetsten Berufsstand“ für die Funktion eines Ortschefs. Ein Ausschluss wäre „geradezu absurd“, so Krumschnabel.

Österreichische Rechtsanwaltskammer beruhigt

Sofern das VfGH-Erkenntnis tatsächlich auf das Amt des Bürgermeisters zutrifft, brauche es laut Krumschnabel eine gesetzliche Änderung der Rechtsanwaltsordnung für eine Klarstellung. Doch die Österreichische Rechtsanwaltskammer (ÖRAK) selbst sieht dafür keinen Bedarf. Sie verweist dazu auf ein Gutachten des Grazer Universitätsprofessors Christoph Bezemek, das dem ORF Tirol vorliegt.

Der Experte für Öffentliches Recht kommt darin zum Schluss, dass auf der Gemeindeebene für Rechtsanwälte im Amt des Bürgermeisters keine Unvereinbarkeit vorliege. Es seien zwar sowohl „berufsmäßig ernannte“ als auch „vertraglich bedienstete“, eben Beamte und Vertragsbedienstete betroffen, nicht aber „gewählte“ Organe. Bürgermeisterinnen und Angehörige des Gemeindevorstandes seien insofern nicht umfasst.

Aus diesem Grund seien laut der ÖRAK keine rechtlichen Maßnahmen erforderlich. Das Erkenntnis hätte keine praktischen Auswirkungen auf die Funktion des Bürgermeisters. Laut Österreichischem Gemeindebund liegt das Erkenntnis beim Justizministerium und beim Bundeskanzleramt. Dort werden die endgültigen Auswirkungen geprüft. Ob es tatsächlich eine Gesetzesänderung braucht oder nicht, ist noch unklar. Das muss in den feinen juristischen Unterschieden wohl erst diskutiert werden.