Schauspieler auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Kultur

Von Geiz bis Zorn: Die „7 Todsünden“ in Telfs

Bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs werden diesen Sommer die „7 Todsünden“ aufgeführt. Neo-Intendant Gregor Bloéb hat sieben Autorinnen und Autoren im Alter von 27 bis 75, von Lisa Wentz bis Felix Mitterer eingeladen, die alten Sünden neu zu interpretieren. Das Ergebnis ist eine Sündenrevue mit Schauspiel, Tanz und einer coolen Band.

Die sieben Todsünden können wohl nur noch wenige Menschen auswendig aufsagen. Einige verwechseln sie mit den Zehn Geboten. Sind Todsünden heute überhaupt noch zeitgemäß?

Der Wahltiroler und Autor Uli Brée kennt sich aus: „Das sind ganz archaische Themen, die uns im Leben begleiten. Gehe ich den Weg der Sünden oder gehe ich den anderen Weg? Diese Sünden begleiten uns im Kleinen immer wieder. Ich wage zu behaupten, dass ich alle sieben Todsünden schon einmal begangen habe, vielleicht nicht im tödlichen Sinne, aber im kleinen.“

Uli Brée im Interview
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Der Autor Uli Brée widmet sich der Völlerei

Spielort passt zum Thema

Der Schauplatz des Spektakels ist der Birkenberg in Telfs. Die aufwendige Stahlkonstruktion der Bühne schmiegt sich an die barocke Wallfahrtskirche. Der Schriftzug „Sünden“ beleuchtet in Form von Glühlämpchen den Kirchturm.

Ein Teil der Bühne und die Kirche bei den Volksschauspielen Telfs
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„Sünden“ leuchten am Spielort neben der Wallfahrtskirche am Birkenberg in Telfs.

Für das Pausenfoyer im Freien hat das Innsbrucker Architekturkollektiv „Columbosnext“ massive, weiße Blöcke aus kostbarem Laaser Marmor vor der Kapelle platziert. Bloéb will „nicht kleckern sondern klotzen“ und einen neuen Ort der Begegnung schaffen mit „dem teuersten und besten Material für alle.“

Brot und Spiele für alle

Dem künstlerischen Leiter geht es nicht um Theater für einige Eingeweihte. Mit seinem aktuellen Volkstheater will er alle ansprechen und erzählt vom Aufbau, bei dem ein Telfer Industrieller ebenso mitgeholfen habe wie ein überzeugter Sozialist und viele engagierte Menschen, die aus ganz verschiedenen Welten kommen.

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Schauspieler auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Eine groteske Talk-Show über Landminen bildet den Auftakt.
Eine Schauspielerin auf allen Vieren auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Gerti Drassl sinniert über die „Trägheit“ des Herzens.
Schauspieler tanzen auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Felix Mitterer seziert die „Habgier“.
Schauspieler auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Tänzerin und Choreographin Marie Stockhausen inszeniert den „Neid“.
Eine verkleidete Figur auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Lisa Hörtnagl tritt als Göttin in der „Völlerei“ von Uli Brée auf.
Das Bühnenbild der Sieben Todsünden bei den Volksschauspielen Telfs
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Die Bühne hat Volker Hintermeier entworfen.

Sieben unterschiedliche Kurzdramen

Elfriede Jelinek sei auch auf seiner Wunschliste gestanden, erzählt Bloéb, alle anderen hätten „lecker und lustig“ zugesagt. Altmeister Felix Mitterer, der gefragte Drehbuchautor Uli Brée, die Salzburger Autorin Helena Adler und die erst 27-jährige Tiroler Nestroy-Preisträgerin Lisa Wentz haben sich mit den aktuellen menschlichen Schwächen beschäftigt. Es gab keinerlei Vorgaben, bis auf die Textlänge. „Ich habe ihnen gesagt, nicht länger als zwanzig Minuten. Schreib einfach etwas – whatever“, schildert Bloéb die Vorgeschichte.

Gregor Bloeb und Felix Mitterer
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Intendant Gregor Bloéb konnte Autor Felix Mitterer für die „Gier“ gewinnen

Skandal um das Mitterer-Stück „Stigma“

Der Tiroler Kultautor Felix Mitterer war schon bei den ersten Tiroler Volksschauspielen 1981 in Hall in Tirol dabei. Die Uraufführung seines Stückes „Stigma“, bei dem eine einfache Magd die Wundmale Jesu empfängt, verursachte vor mehr als 40 Jahren einen Megaskandal. Die Theatermacher mussten die Bühne in Hall räumen und fanden in Telfs eine neue Heimat. „In Telfs gibt es keine Zensur“, lautete der legendäre Satz des damaligen Telfer Bürgermeisters Helmut Kopp.

In seinem Dramolett für die aktuellen Volksschauspiele bringt Felix Mitterer seine Expertise zur Habgier auf die Bühne. Der Autor der Piefke-Saga ironisiert die Gier nach Pilzen. „Irgendwann hört sich der Spaß auf“, meint die Großmutter, dargestellt von Gerti Drassl.

Theater das unter die Haut geht

Die gebürtige Südtirolerin Gerti Drassl sorgt auch für Theatermomente, die unter die Haut gehen. Sie interpretiert den vielschichtigen Text von Helena Adler über die Trägheit. „Ich setze dir die Trägheit meines Herzens entgegen. Was träg ist, ist widerständig. Was träge ist, ist unbeirrbar…“

Eine Schauspielerin liegt in den Armen eines Schauspielers
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Gerti Drassl und Bernhard Bettermann interpretieren die „Trägheit“ von Helena Adler

Schrille Revue musikalisch abgerundet

Regisseur Bloéb stellt sich der schwierigen Aufgabe, die sieben unterschiedlichen Kurzdramen und einen Prolog von Filmemacher Hubert Sauper auf der Bühne zu einem neuen Stück zusammenzusetzen. Als verbindendes Element wählt er die teilweise schrille Revue. Unterstützung bekommt der Regisseur von Musiker und Komponist Matthias Jakisič. Ihm gelingt es mit seiner Band, auch krasse Übergänge musikalisch abzurunden.

Nemesis, die Göttin des gerechten Zorns

Die 27-jährige Schwazer Autorin Lisa Wentz ist ein aufgehender Stern am Theaterhimmel. „Adern“, eines ihrer ersten Stücke, wurde vor kurzem am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Für das beste Theaterstück wurde sie mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Text geht sie auf die Suche nach der Nemesis, der antiken Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Eine Schauspielerin mit Engelsflügeln auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Lisa Hörtnagl fegt als Racheengel über die Bühne

Die „Völlerei“ ist schuld am Klimawandel

Drehbuchautor Uli Brée hat sich die Völlerei ausgesucht. Als Erstes hätte er an das Gegenteil gedacht, die Essstörung Bulimie sei die absurdeste Form der Völlerei, so Brée. Auch der Klimawandel sei im Grunde das Resultat einer gesellschaftlichen Völlerei.

Schauspieler musizieren auf der Bühne der Volksschauspiele Telfs
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Gerald Votava und Olivia Grigoli geben sich der „Wollust“ hin

Sündenrevue mit Schauspiel, Musik und Tanz

In dem knapp dreistündigen Spektakel bietet die Choreographie von Marie Stockhausen eine willkommene Abwechslung. Sie inszeniert den Neid ganz ohne Worte aber mit intensivem Körpereinsatz.

Bei den ersten Tiroler Volksschauspielen 1981 wurden die „7 Todsünden“ des Dramatikers Franz Kranewitter aufgeführt. Dieses Thema nach mehr als vierzig Jahren wieder aufzugreifen und ins Heute zu transferieren, ist ein gelungener Schachzug. Die Gesamtperformance ist zwar etwas heterogen, doch die einzelnen Stücke bieten wohl für jeden und jede etwas, von literarischem Tiefgang bis zu deftiger Unterhaltung.