Kühe in Stall
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Tiere

Das liebe Vieh bald ohne Doktor?

In den nächsten Jahren erreichen in Tirol viele Nutztierpraktiker das Pensionsalter. Gleichzeitig gibt es nicht genügend junge Tierärztinnen und -ärzte, um diese Lücke zu füllen – vor allem auch angesichts anderer Arbeitszeitmodelle. Fehlen Nutztierärzte, hat dies Auswirkungen auf das Tierwohl und letztlich auch auf die Lebensmittelsicherheit.

Landesveterinärdirektor Josef Kössler schaut mit Sorgenfalten auf die im Besprechungsraum der Veterinärbehörde aufgehängte Tirolkarte. Dort sind die Standorte der Nutztierpraxen verzeichnet. Die rot markierten Punkte besagen, dass der dortige Tierarzt bzw. die dortige Tierärztin nur mehr wenige Jahre bis zum Pensionsalter hat oder dieses schon überschritten hat. In einigen Bezirken gibt es auffallend viele „rote Flecken“. Es sind mit Reutte, Landeck und Lienz gerade jene Bezirke, wo die Viehhaltung kleiner strukturiert ist und die Höfe oftmals nur durch lange Fahrten erreichbar sind.

Landesveterinärdirektor Josef Kössler
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Josef Kössler zeigt auf die Problembezirke mit den vielen rot-pinken Fähnchen

Von den elf in Osttirol tätigen Nutztierärzten erreichen fünf in den nächsten fünf Jahren das Pensionsalter. Die Arbeit müsse dann auf die verbleibenden sechs Kollegen aufgeteilt werden, beklagt auch Bernd Hradecky, Präsident der Tiroler Tierärztekammer und Tierarzt in Lienz.

Für einen bräuchte es vier bis fünf

Das Lebensmodell „selbständiger Landtierarzt“ – rund um die Uhr für Bauern und Tiere erreichbar, oftmals unterstützt von Frau und Kindern – wollen und können viele junge Kolleginnen und Kollegen nicht übernehmen, heißt es. Zu groß sei das wirtschaftliche Risiko, zu gering die Work-Life-Balance. „Was früher ein Tierarzt oder eine Tierarztfamilie gemacht hat, dazu bräuchte es heute vier bis fünf Tierärzte, damit Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden können“, rechnet Kössler vor.

Angesichts der Pensionierungswelle versucht man zwischenzeitlich beim Land Tirol in Zusammenarbeit mit der Veterinärmedizinischen Uni Wien mittels Maßnahmen wie dem Ausbildungsmodul „Wiederkäuer im Alpenraum“, der Summer School VetINNSights in Rotholz oder Praktika etwa bei der Veterinärverwaltung, junge Menschen für eine Arbeit als Nutztierpraktikerinnen und -praktiker in Tirol zu gewinnen. Interessierte gebe es genug, zeigt sich Landesveterinär Kössler zuversichtlich, allerdings zu wenig Studienplätze an der Uni in Wien.

Amtstierarzt Matthias Vill und Praktikantin Julia Meixner
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Amtstierarzt Matthias Vill und Praktikantin Julia Meixner bei einer Routinekontrolle im Bezirk Kufstein

Julia Meixner aus Stans steht kurz vor Abschluss ihres veterinärmedizinischen Studiums in Wien und absolviert ein zehnwöchiges Praktikum bei der Landesveterinärdirektion. Sie ist jede Woche in einem anderen Bezirk eingeteilt, um die unterschiedlichen Anforderungen kennen zu lernen – von den intensiv betriebenen Höfen in der Inntalfurche bis hin zum kleinstrukturierten Bergbauernhof.

Problembehaftete Hobbytierhaltung

Im Bezirk Kufstein ist Julia Meixner mit Amtstierarzt Matthias Vill unterwegs. In fleischverarbeitenden Betrieben versuche die Behörde, mindestens einmal pro Jahr zu kontrollieren, so Vill. Schwere Missstände in Nutztierbetrieben, wie sie österreichweit immer wieder von Tierschutzorganisationen wie dem „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) aufgedeckt werden, könnten nie zur Gänze ausgeschlossen werden.

Bei den amtstierärztlichen Kontrollen würden immer wieder Situationen entdeckt, die nicht den Vorgaben entsprechen. Schwerwiegende Fälle würden aber meist durch anonyme Hinweise aus der Bevölkerung gemeldet. Problematisch sei auch der Bereich der Hobbytierhaltung, wo sämtliche Daten zum Tierbestand fehlen würden. Durch Überforderung und Unwissenheit der Tierhalterinnen und -halter entstehe oftmals Tierleid, etwa durch unkontrollierte Vermehrung, beklagt der Amtstierarzt.

Kleine könnten durch Kontrollnetz fallen

Die Nachwuchsprobleme sieht auch er mit Sorge, denn die gute Zusammenarbeit mit den Nutztierärztinnen und -ärzten spiele für die Veterinärverwaltung eine wichtige Rolle, da die Praktiker täglich in den Tiroler Ställen unterwegs sind und Rückmeldungen geben können. Ist die akute Versorgung nicht mehr gegeben, kann dies nicht nur Auswirkungen auf das betroffene Tier, sondern auf den gesamten Bestand und somit auch auf die Lebensmittelsicherheit haben. Dies sei das Worst-Case-Szenario, so Vill. „Ich glaube, es ist schon schlimm genug, wenn droht, dass das Überwachungsnetz nicht mehr funktioniert und da Lücken entstehen.“ Fehle es an Ressourcen dann bestehe vor allem bei kleineren Betrieben die Gefahr, dass sie nicht ausreichend kontrolliert werden.

Hühner in Hühnerstall
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Die Amtstierärzte kontrollieren auch die Einhaltung der Stallpflicht bei Hühnern

Man bemühe sich seit fünf Jahren, in Tirol eine adäquate Ausbildungsschiene auf die Reihe zu bringen, so der zuständige Landesrat Josef Geisler (ÖVP). Die bisherigen Initiativen hätten bereits gefruchtet. Pro Jahr würden acht Tierärztinnen und Tierärzte ausscheiden, zwölf wiederum seien aktuell in Ausbildung, erklärt der Landesrat.

Julia Meixner plant, nach Abschluss ihres Studiums in Wien nach Tirol zurückzukehren. „Mich interessiert der Lebensmittelbereich, mich interessiert der Tierschutzbereich und auch die öffentliche Verwaltung. Ich kann mir sehr gut vorstellen, später als Amtstierärztin zu arbeiten“, kündigt Meixner an.