Vor gut 100 Jahren wuchsen noch Zigtausende Innsbrucker Küchenschellen auf den südlichen Magerwiesen zwischen Kranebitten und Hall, wie Wolfgang Bacher vom Verein Natopia weiß: „Um 1850 sind sogar viele Tiroler ausgewandert, weil sie verhungert sind, so mager waren die Wiesen. Aber sie waren auch artenreich. Dann wurden immer mehr Flächen zusammengelegt und verbaut, und es wurde vor allem viel mehr gedüngt, um die Erträge zu steigern.“ Die Folge: Die einst so zahlreich vertretene Ur-Innsbrucker Pflanze wurde an den Rand des Aussterbens gedrängt. Die Talwiesen seien inzwischen „fast tot“, so der Naturpädagoge.
Nur mehr drei kleine Standorte
Bei Arzl wurde der Küchenschelle deshalb schon in den 1980er Jahren ein gut 3.500 Quadratmeter großes Schutzgebiet eingerichtet, das vom Biologen Romed Unterasinger betreut wird. Auch in Thaur erhielt sich die Blume in einem kleinen Bestand, ebenso in Rum. Dennoch habe er die eigentlich auffälligen lila Blüten bei einem kürzlichen Lokalaugenschein lange suchen müssen, erzählte Bacher. Mit Unterasingers Unterstützung fand er schließlich nur noch eine Handvoll Exemplare zwischen getrocknetem Mist.
Küchenschelle mag es karg
Dass die Flächen bewirtschaftet werden, hilft der Blume einerseits, damit sie nicht von Gras, Büschen und Bäumen überwuchert wird. Andererseits setzt die inzwischen übliche starke Düngung der zarten Pflanze enorm zu. Sie braucht nährstoffarme Wiesen. Am liebsten wächst sie auf warmen, auch im Winter weitgehend schneefreien Süd- und Südosthängen unter 800 Meter: ein sehr spezialisierter, enger Lebensraum, von dem nicht mehr viel erhalten ist.
Dass die Bestände der besonderen Pflanze dramatisch schwinden, weiß man in Tirol schon lange. Versuche, das Aussterben aufzuhalten, gab es einige. Die Innsbrucker Küchenschelle wurde bereits 1939 unter Schutz gestellt, schildert Bacher: „Damals war noch eher das Pflücken und Ausreißen ein Problem. Man verwendete die Pflanze etwa zum Ostereierfärben oder für Blumensträuße – es gab ja genug davon. Später dann wurde ihr eben massiv die Düngung zum Verhängnis.“ 1995 waren nur noch gut 1.800 Exemplare übrig, im Jahr 2000 nur mehr ein Zehntel davon. „Da gab es einen Riesenknick. Bis zu den nur mehr 30 Stück, die wir jetzt noch haben, war es dann leider nicht mehr weit“, bedauert der Naturschützer.
Landwirtschaft könnte Hilfe leisten
In Gärten und auf privaten Flächen darf die Blume als geschützte Art nicht gepflanzt werden – zu groß ist auch die Gefahr, dass sie sich dort mit anderen, ähnlichen Küchenschellenarten kreuzt und hybride Formen entstehen, was die ursprüngliche Innsbrucker Küchenschelle noch mehr in Bedrängnis bringen würde.
Idealerweise müsste sich die Landwirtschaft anpassen, erklärt der Experte, wenngleich es natürlich unrealistisch sei, die Zeit zurückzudrehen zu wollen: „Aber vielleicht kann es klappen, dass nur mehr die ebenen Flächen gedüngt werden, die Hügel aber nicht. Auf denen könnte man dann ab und zu Schafe weiden lassen, um das Gras kurz zu halten. Das alles würde sehr helfen. Wir haben regional so etwas Besonderes auf diesen tollen Wiesen – schauen wir drauf“, wünscht sich Bacher.
Ein wenig Hoffnung macht unterdessen ein Projekt des Institutes für Botanik der Innsbrucker Universität: 2019 begannen die Expertinnen und Experten, die seltene Pflanze im Botanischen Garten gezielt zu vermehren, um sie dann wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum auszusiedeln. Letzteres erwies sich jedoch als sehr schwierig.
Neues Leben zwischen Felsen?
Projektleiter Konrad Pagitz und seine Mitstreiter haben jetzt einen neuen Standort mitten in den Felsen über Thaur geschaffen: „Die Experten haben sich angeseilt und die Küchenschellen mit der Hilfe von Bergführern dort eingepflanzt. Es dürfte ein vielversprechender Standort sein, wo die Pflanze nicht von Gräsern überwuchert wird und dadurch wahrscheinlich einen Fortbestand hat“, hofft Bacher.
Die Klimaerwärmung dürfte der Innsbrucker Küchenschelle zumindest nicht allzu sehr zusetzen – sie mag lange Trockenphasen und braucht sehr wenig Wasser. Ob es von der seltenen Art allerdings noch genug wilde Exemplare geben wird, um die kommenden, wärmeren Jahrzehnte zu überdauern, ist fraglich.