Es begann mit einem Absturz. Am 14. Jänner 1947 kommt Bezirkshauptmann Richard Seeger persönlich nach Niederau, um das neuartige Wunderding zu testen: eine Bahn, die den Passagier in einem hängenden Sessel bergwärts tragen soll. Der hohe Herr schafft es genau bis zur ersten Stütze. Dann löst sich der Sessel vom Tragseil, der Bezirkshauptmann landet im Schnee. Alle, die damals dabei waren, sind sich einig: Richard Seeber habe die Sache ausgesprochen entspannt hingenommen: „Die Sessel müsst ihr noch etwas besser festmachen. Was glaubt ihr, was passiert, wenn an der gleichen Stelle noch ein Sessel herunterfällt und genau den ersten trifft“, soll er gesagt haben. Die Betriebsgenehmigung hat er jedenfalls erteilt.
Schwerter zu Pflugscharen: ein Panzermotor als Liftantrieb
Vor allem Sepp Hochmuth dürfte damit ein Stein vom Herzen gefallen sein, der weit schwerer wog als ein Liftsessel. Der Wildschönauer Maschinenschlosser hatte im Krieg einen Arm verloren, konnte also nicht mehr in seinem erlernten Beruf arbeiten. So hatte er alles auf den Lift und damit auf den Fremdenverkehr gesetzt. „Die Menschen brauchen auch wieder Arbeit und sollen was verdienen“, war sein Credo. Was ein Lift damit zu tun haben sollte, war den Bäuerinnen und Bauern des Dorfes Niederau damals freilich schleierhaft.
Hochmuth aber schaffte es nicht nur, sie von seiner Idee zu überzeugen, sondern auch, das Material für die Seilbahn aufzutreiben. Nach dem Motto: „Schwerter zu Pflugscharen“ schlachtete er Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg dafür aus. Aus den Rädern wurden Rollen für das Tragseil, der Motor eines „Tiger“-Panzers wurde zum ersten Antrieb für den Sessellift.
Die Sessel hingen tief
Entsprechend träge ging die Fahrt von Niederau aufs Markbachjoch von statten. Weil die Sessel so tief hingen, dass man stellenweise mit den Füßen am Boden streifte, konnte man auf offener Strecke auf- und absteigen, was für den Kartenverkauf nicht gerade förderlich gewesen sein soll. Bei Tiefschnee musste eine Rinne gegraben werden, damit die Sessel nicht steckenblieben. Trotz allem: Der langsame Lift mauserte sich in Windeseile zu einer echten Attraktion. Vor allem aus Bayern strömten Schifahrer in die Wildschönau, um sich im Sessel auf den Berg tragen zu lassen, statt mühsam mit Fellen hinaufzusteigen.
Tourismusinfrastruktur: Zwölf Gästebetten
Niederau war mit dem Ansturm anfangs völlig überfordert. Im ganzen Dorf gab es 1947 genau zwölf Gästebetten. Die Straße von Wörgl herauf war einspurig und nicht asphaltiert. Wenn Autobusse zu den Holzbrücken kamen, mussten die Fahrgäste aussteigen und zu Fuß drüber gehen, weil die Brücken nur auf ein Gesamtgewicht von zwei Tonnen ausgelegt waren.
Die Früchte des Fremdenverkehrs
Die Wildschönauer Bergbauern lernten jedoch schnell, die Früchte des Fremdenverkehrs zu ernten. Die Festschrift zum 25-Jahr-Jubiläum der Wildschönauer Bergliftgesellschaft zieht 1972 stolz Bilanz: „Die Wildschönau zählt heute zu den erfolgreichsten Fremdenverkehrsgebieten Tirols: 6 Hotels, 34 Gasthöfe, 26 Pensionen, 160 Privatzimmervermieter, 9 Bars, 2 hoteleigene Hallenbäder, Saunas, Reitstall, Tennis.“ Die Bergliftgesellschaft, damals immer noch geführt von Sepp Hochmuth, umfasste zu dieser Zeit mehr als zwanzig Lifte. Die Saat des Tourismuspioniers war aufgegangen, ein Vierteljahrhundert nach dem Bau des ersten Sessellifts zählte die Wildschönau 5.500 Gästebetten.
Seither sind nur mehr ein paar hundert hinzugekommen, man setzt in erster Linie auf die Verbesserung der Qualität. 1995 wird der alte Sessellift durch eine Achter-Gondelbahn ersetzt. Sie läuft bis heute so gut wie pannenfrei. Damit ist sie zwar nicht halb so unterhaltsam wie der Gründungslift, dafür befördert sie pro Stunde fast zehnmal so viele Gäste aufs Markbachjoch wie das sagenhafte Original.