Normalerweise thront die Madonna mit Kind hoch oben im barocken Hochaltar im Innsbrucker Dom. Während der Domsanierung macht das wertvolle Gemälde einen Zwischenstopp im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Hier bietet sich die einmalige Gelegenheit, das Bild aus der Nähe, auf Augenhöhe zu betrachten.

Maria hilft auch ohne Heiligenschein
Die virtuos gemalte Madonna lässt kaum eine Betrachterin kalt. „Sie lächelt ein bisschen“, schwärmt Peter Assmann, Kunsthistoriker und Direktor der Tiroler Landesmuseen. „Cranach hat diese Madonna sehr persönlich gestaltet. Die innige Verbindung zum Kind ist berührend. Maria weist keine Indizien der Gottesmutterschaft oder der Himmelskönigin auf. Sie ist eigentlich eine schöne junge Frau mit einem fröhlichen Neugeborenen“, beschreibt Assmann.
Lucas Cranach d. Ältere war mit Martin Luther befreundet. Diese Madonna malte er ursprünglich für den protestantischen, sächsischen Hof in Dresden. Das erklärt, warum er Maria ohne Heiligenschein darstellte. Mit Erzherzog Leopold V. kam das Gemälde in das katholische geprägte Tirol. Auf Kopien ergänzten einige Maler später katholische Attribute.
Das Museum wird zur Kirche
Für die einen ist das um 1537 entstandene Gemälde eines der bedeutendsten Kunstwerke der Renaissance. Andere verehren das Gnadenbild religiös und glauben an seine spirituelle Kraft. Diese Erfahrung machten auch die Restauratorinnen, die die Gelegenheit nützten, um das Tafelbild erstmals wissenschaftlich zu untersuchen.
Laura Resenberg leitet die Abteilung für Restaurierung im Sammlungs- und Forschungszentrum (SFZ) in Hall. Als sie sich vor dem Bild im Ferdinandeum mit ihren Kolleginnen unterhielt, wurde sie zur Ruhe gemahnt. Besucherinnen hätten „psst“ gezischt, erzählt Resenberg, „einige fühlen sich hier im Museum offensichtlich wie in einer Kirche“.
Das um viele Millionen Euro versicherte Kunstwerk sollte nicht durch zusätzliche Transporte gefährdet werden. Daher übersiedelte Resenberg mit ihrem Team und mobilen Untersuchungsgeräten aus Hall ins Ferdinandeum nach Innsbruck.

Cranach ist „der schnellste Maler“
Auf den Infrarotaufnahmen sind dunkle Unterzeichnungen an den Händen der Madonna oder auch in den Augenwinkeln zu sehen. Lucas Cranach d. Ältere war bekannt für sein Maltempo. Auf seinem Grabstein in Wittenberg wurde er als „der schnellste Maler“ verewigt.
Die dunklen Unterzeichnungen platzierte Cranach gezielt. So schimmern diese gräulich schwarzen Linien wie Adern an den zarten Händen der Madonna. Darüber trug er die Farbschichten extrem dünn auf. Er skizzierte das Motiv erst flott und hielt sich dann auch an die Konturen, ohne viel zu korrigieren.
Vielleicht hatte er auch so einen sicheren Strich, weil er dieses Motiv bereits so oft gemalt hatte, mutmaßt Resenberg. „Cranach war ein Profi“, erklärt die Restauratorin. „Mich hat dennoch überrascht, wie hauchdünn er die Ölfarbe aufgetragen hat. Vor allem beim Inkarnat, der Darstellung der Haut, leuchten die Unterzeichnungen durch. Das ist ein Grund für die beeindruckende Plastizität der Darstellung.“


Signatur als Überraschung
Für die kunsttechnologische Untersuchung wurde die Expertin Cristina Thieme von der TU München herangezogen. Beim Blick durch das Stereomikroskop machte sie eine erfreuliche Entdeckung. Eine früher als Kratzer am linken Bildrand interpretierte geschwungene Linie entpuppte sich als originale Signatur.
Lucas Cranach d. Ältere unterzeichnete mit einer geflügelten, bekrönten Schlange mit einem Ring im Maul. Der goldene Ring sollte auf seinen gerechten Lohn als erfolgreicher Maler hinweisen. „Wir haben die Signatur auf dem schwarzen Hintergrund gefunden, und das war eine große Aufregung für uns alle. Wir freuen uns, dass wir nun den Nachweis haben, dass es sich um einen echten Cranach handelt“, sagt Thieme.

Ein Haar im Öl
Mit geübtem Auge erkannte Thieme auch ein originales Haar von einem Pinsel, das in der Ölfarbe festgeklebt ist. Wer der Madonna tief in die Augen blickt, sieht die Fensterkreuze, die Cranach in die spiegelnden Pupillen setzte.
Im Streiflicht erkennt man die Nahtstellen der drei vertikal verleimten Bretter des Tafelbildes. Mit einer UV-Lampe entlarvten die Forscherinnen Retuschen von früheren Restaurierungen.
Ein neues Bild entsteht
All diese akribisch zusammengetragenen technischen Details ergeben ein neues Gesamtbild und erlauben Einblicke in die Malweise des Renaissancemeisters. Cranach war auch ausgebildeter Apotheker und hatte daher Zugriff auf hochwertige Materialien und Pigmente, etwa auf das strahlende Zinnoberrot, mit dem er das Obergewand gestaltete.
Das Geheimnis des Erfolges dieses Meisterwerkes wird wohl auch trotz der neuen Fakten nicht gelüftet. Diese Darstellung der Madonna mit Kind ist eine der meist kopierten im süddeutschen Raum. Peter Assmann bezeichnet das auf zahlreichen Hausfassaden abgebildete Emblem als ein „Ur-Tiroler“ Bild. Auch knapp 500 Jahre nach seiner Entstehung hat das Original seine Strahlkraft nicht verloren.