Pflegeheim Innerbraz
Mathis Fotografie
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Coronavirus

Altenheime: Lockdown schlecht für die Psyche

Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen leiden unter psychischen Erkrankungen. Die Lockdown-Maßnahmen zu Beginn der Pandemie verstärkten diese laut einer Studie. Experten fordern eine bessere psychosoziale Versorgung für ältere Menschen.

In Tirol wurde am 11. März 2020 ein Besuchsverbot für alle Krankenhäuser verkündet. Fast zeitgleich erging eine Empfehlung an alle Alten- und Pflegeheime, Besuche einzuschränken und nur in Ausnahmefällen zuzulassen. Die drastischen Vorsichtsmaßnahmen zu Beginn der Pandemie in den Alten- und Pflegeheimen hatten massive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, sagen Experten.

Aushang Pflegeheim
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Die Besuchsverbote in den Alten- und Pflegeheimen zu Beginn der Corona-Pandemie dauerten sechs Wochen lang.

Psychische Auswirkungen überraschend stark

Psychologin Bianca Plangger von der Universität Innsbruck hat die Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen auf die psychische Gesundheit der Bewohner und Bewohnerinnen von Alten- und Pflegeheimen untersucht. „Wir wissen aus der Forschung, dass soziale Isolation zu psychischen Problemen führt. Überraschend war für uns, wie enorm die Auswirkung des Lockdowns war“, sagte Plangger.

„Wir haben eine Erhebung unmittelbar vor und nach dem Lockdown gemacht und konnten feststellen, dass in dieser Lockdown-Phase von vier bis sechs Wochen die geistige Leistungsfähigkeit bei Bewohnenden drastisch abgenommen hat.“

Eine ältere Frau bekommt Besuch im Pflegeheim
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Psychische Erkrankungen sind laut Experten unter Bewohnerinnen und Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen weit verbreitet.

Demenzerkrankungen haben sich verschlechtert

Bei vielen Bewohnern, die zunächst nicht als dement eingestuft worden waren, wurde innerhalb der kurzen Zeit des Lockdowns eine Demenz festgestellt, sagte Bianca Plangger. „Jene, die schon Indikatoren für eine Demenz hatten, also eine leichte kognitive Einschränkung, diese Personen sind in eine mittelschwere Demenz hineingeschlittert.“

„Auch im emotionalen Bereich konnten wir drastische Beobachtungen machen. So ist die Depressivität in der Zeit des Lockdowns um fast das Doppelte angestiegen, auch die Ängstlichkeit stieg und die subjektive Lebenszufriedenheit ist gesunken.“

Öffnungsschritte waren wichtig

Sechs Wochen nach der Öffnungsphase, bei der die strikten Lockdowns beendet wurden, wurde wieder eine Erhebung gemacht. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich zumindest Ängstlichkeit, Depressivität und Lebenszufriedenheit wieder auf einem Normwert stabilisiert und verbessert haben, sagte die Psychologin.

Altersheimbewohner hinter einer Glasscheibe
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Gegen die Besuchsverbote gab es zahlreiche Beschwerden von Betroffenen und Angehörigen

„Leider ist das bei der kognitiven Leistungsfähigkeit nicht der Fall und diese scheint nachhaltig gestört zu sein“, sagte Bianca Plangger. Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind für die Expertin, dass es wichtig war, das Virus aus den Pflegeheimen herauszuhalten, aber gleichzeitig dürften die sogenannten Kollateralschäden nicht ignoriert werden.

Für die Studie wurden 49 Bewohnerinnen und Bewohner befragt. Trotz dieser kleinen Stichprobe sei die Studie aussagekräftig, sagte die Psychologin. Es gebe viele Studien, bei denen nach dem Lockdown Erhebungen gemacht wurden, die zu ähnlichen Ergebnissen kämen. Aktuell arbeite man an einer neuen Aufbaustudie mit 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Zu wenig Unterstützung für Pflegende

80 Prozent der Bewohner von Altenheimen sind von psychischen Erkrankungen betroffen, sagte Michael Mattersberger vom Verein Gesundheitsschmiede Tirol. Vorherrschend sei die Demenz, es gebe aber auch viele Fälle von Depression, Abhängigkeitserkrankungen und dergleichen. Außerhalb der Wohnheime wird das viel zu wenig wahrgenommen, kritisierte der Experte.

Michael Mattersberger forderte mehr fachspezifische Unterstützung für Pflegende und auch Angehörige. Begrüßenswert sei, dass die psychosoziale Begleitung neu im Tarifmodell des Landes Tirol eingebunden sei. Dennoch brauche es mehr Unterstützung für das Pflegepersonal durch Psychologen und eine bessere Vernetzung mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.