Vor allem der Wolf steht derzeit im Blickpunkt, wenn es um die Bedrohung der Alm- und Berglandwirtschaft im alpinen Raum geht. Doch die Präsenz der großen Beutegreifer ist nur ein Teil der Herausforderungen. Auch derzeit weit weniger diskutierte Faktoren könnten langfristig der Berglandwirtschaft zusetzen.
Klima- und Tierwohldebatte mit Folgen für die Almen
Der Agrarökonom Markus Schermer von der Universität Innsbruck nennt da etwa die immer schwieriger werdende Suche nach geeignetem Personal, Entwicklungen im Bereich des Tierwohls oder auch der Trend dazu, mit Blick auf den Klimawandel auf das Fleisch von Wiederkäuern zu verzichten, da sie als Methan- und damit Treibhausgasproduzenten eingestuft werden.

Die Tierwohl-Debatte mit ihrer Forderungen nach Laufställen würde zu einer Intensivierung der Landwirtschaft in Gunst- und Tallagen führen, so Schermer. Auf den Almen würden dann die Milchkühe fehlen und Almkäse könne dann nicht mehr so produziert werden.
„Verteufelung“ der Wiederkäuer
„Die Verteufelung der Wiederkäuer“ als Methangasproduzenten sieht Schermer gerade im Bezug auf die Berglandwirtschaft kritisch. Almflächen könnten nur mit Wiederkäuern offen gehalten werden. Die Frage sei, ob es einen hohen Kraftfuttereinsatz gebe. Wenn vor allem Gras und Heu gefüttert werde, sei der positive Einfluss auf die Landschaft stärker als der negative Einfluss auf das Klima, so Schermer.

Der Klimawandel würde dazu führen, dass Almen zunehmend verwalden. Wald verdunste aber mehr Wasser als eine Wiese. Auch was die Kohlenstoffspeicherung betrifft, habe eine gut gepflegte Wiese einen ähnlichen Effekt wie der Wald. Das Wolfsthema nennt Schermer „sehr komplex“, da würden auch emotionale und nicht nur finanzielle Dinge eine Rolle spielen.

Zukunft der Berglandwirtschaft ist gesellschaftliche Frage
Letztlich stelle sich bezüglich der Alm- und Berglandwirtschaft die Frage, was die Gesellschaft will, stellt der Agrarökonom fest. Eine solche Landschaft könne nur überleben, wenn sie über ihre Lebensmittelprodukte sichtbar, spürbar, schmeckbar und erlebbar ist.
Auch der Ökologe und Botaniker Stefan Mayr von der Universität Innsbruck sieht die Verwaldung von Almflächen nicht unkritisch. Vor allem im Übergang zu einer stabilen Bewaldung erkennt er Risiken für den Wald selbst. In einer ersten Phase nach der Auflassung von Almen würden sich Zwergstrauchheiden und Almrosenheiden etablieren.

Die vermehrt von Almrosen bedeckten Flächen können zu einer massiven Vermehrung eines Rostpilzes führen, der dann Fichten befalle und vor allem junge Bäume massiv beschädigen könne. Auch hinsichtlich der Lawinengefahr sieht Mayr negative Auswirkungen durch die Auflassung bewirtschafteter Almflächen.
Den Bergwald, vor allem mit seiner Schutzfunktion, sieht Mayr aufgrund des Klimawandels unter Druck. Die Situation sei deswegen komplex, weil Faktoren nicht nur einzeln, sondern auch in Kombination wirken. Wenn es etwa durch ein Extremwetterereignis zu einem Windwurf komme und dann durch einen warmen Sommer zu einem Borkenkäferausbruch. Verschiedene Faktoren könnten sich gegenseitig aufschaukeln und für schwierige Bedingungen sorgen.
Schwierige Situation vor allem in Osttirol
In Osttirols Wäldern haben solche Faktoren für eine schwierige Situation gesorgt. Aufgrund von Sturm kam es zu großen Windwürfen, die darauf folgenden warmen Sommer begünstigten den Borkenkäfer. Das Risiko, dass es zu Ereignissen wie in Osttirol kommt, steige durch den Klimawandel insgesamt, so Mayr, „ob sie dann lokal betrachtet tatsächlich auftreten ist ein bisschen eine Frage des Zufalls“.

Was den Borkenkäfer betrifft, so könne man inzwischen auch Ausbrüche in größeren Höhen beobachten. Früher sei ein relevantes Borkenkäferaufkommen im Bereich der Waldgrenze eine Seltenheit gewesen, so Mayr. Die Situation in diesen Bereichen sei schwierig zu beobachten, außerdem sei die Entfernung von Borkenkäfer- und Totholz in großen Höhen auch aufwendig und teuer.
Wissen um Wald und Klimawandel noch „unzureichend“
Mayr bezeichnet das derzeitige Wissen um die Reaktion von Bäumen und Wald auf den Klimawandel als „unzureichend“. Man müsse Bäume und Wälder in ihren Funktionen und ihrer Umgebung besser verstehen um konkrete Gegenmaßnahmen setzen zu können. Das wäre auch Aufgabe der Wissenschafter, die auf der Konferenz in Innsbruck vertreten sind, so Mayr, der diese Konferenz leitet. Eine Gegenmaßnahme, die jetzt schon gesetzt werde, sei der Umbau der Wälder von Monokulturen hin zu Mischwäldern und einer vermehrten Verwendung von Laubgehölzen.

Konferenz findet zum zweiten Mal in Innsbruck statt
Die „International Mountain Conference“ findet an der Universität Innsbruck vom 11. bis 15. September zum zweiten Mal statt. Bei der weltweit größten Konferenz exklusiv zu Gebirgsthemen werden knapp 900 Wissenschafterinnen und Wissenschafter verschiedenster Disziplinen aus mehr als 70 Nationen teilnehmen. Sie setzen sich mit den Eigenschaften und Auswirkungen von regionalen und globalen Veränderungen wie Klimawandel oder sozialer Wandel auf Gebirgsregionen auseinander – an vier Tagen in über 70 Sessions, Workshops und Rahmenveranstaltungen.