Elisabeth Harasser
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Soziales

Harasser: „Kinderrechte völlig missachtet“

Die Tiroler Kinder- und Jugendanwältin Elisabeth Harasser hat am Freitag heftige Kritik an der Landesregierung geübt. Kinderrechte seien in Pandemiezeiten „völlig missachtet“ worden. Sie wünsche sich „denselben Stellenwert für Kinderrechte wie für Wirtschaft und Tourismus“.

Es sei „höchste Zeit, endlich die Anliegen der Kinder und Jugendlichen zu priorisieren und konkrete Taten zu setzen“, richtete Harasser im Rahmen der Pressekonferenz in Innsbruck einen dringenden Appell an die Entscheidungsträgerinnen und -träger. Das „kleinkarierte Denken in Legislaturperioden“ werde sich „irgendwann entsetzlich rächen“. Investitionen in die Jüngsten würden sich schließlich auch „im Hinblick auf künftige Sozialleistungen und Gesundheitsausgaben“ rechnen, argumentierte die Anwältin, die den Tätigkeitsbericht für die Pandemiejahre 2020/21 präsentierte.

Besonders schwierig für fremduntergebrachte Kinder

Besonders schwierig sei die CoV-Pandemie für jene über 800 Kinder und Jugendliche gewesen, die im Bundesland nicht bei ihren Eltern, sondern in Einrichtungen lebten. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) besuche aktuell 28 solcher Einrichtungen mit insgesamt 53 Wohngemeinschaften – und erreiche so über 700 Kinder und Jugendliche. Im Berichtszeitraum hätten sich 2.291 Einzelberatungen ergeben, zitierte Harasser aus der Statistik – ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 2018/2019.

Zum Nachlesen

Der Tätigkeitsbericht der Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes für die Jahre 2022/21

Mangel an Geld und Personal

Ihrer Meinung nach sei die Zahl fremduntergebrachter Kinder mit 800 viel zu hoch. Sie sei überzeugt, dass viele von ihnen mit ihren Eltern zusammenleben könnten, wenn Präventionsmaßnahmen forciert würden. Man müsste zudem Elternarbeit priorisieren, oberstes Ziel müsste die schnellstmögliche Rückführung sein. Es fehle an Geld und Personal, außerdem bräuchte es eine „Wirkungsanalyse zur Bewertung der Effizienz der Angebote“, hielt die Anwältin fest. Das Tiroler Kinder- und Jugendhilfegesetz (TKJHG) müsse endlich evaluiert werden. Außerdem wünsche sie sich eine Kinderschutzforschung, wie es sie in Deutschland aber noch nicht in Österreich gibt, und einheitliche Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe.

Harasser fordert Ausbau der Therapieeinrichtungen

Die Kija fordere zudem den „Ausbau der medizinischen, therapeutischen und psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen“, konkret etwa „Psychotherapie auf Krankenschein ohne Kontingente“ oder eine ambulante Behandlung zuhause. „In Tirol warten derzeit 90 Kinder auf eine stationäre Aufnahme“, zeigte Harasser dringenden Handlungsbedarf auf. „Das ist ein Armutszeugnis für unser Gesundheitssystem“. Ein Beispiel an Graz müsste sich das Bundesland in puncto Familienkompetenzzentren nehmen, so Harasser weiter. Eine Schaffung ebensolcher sei in der Vergangenheit zwar diskutiert worden, mittlerweile aber wieder „in der Schublade verschwunden“.

Jedes vierte Kind armutsgefährdet

Die Pandemie habe zudem „deutlich gezeigt, wie vulnerabel Kinder aus einkommensschwächeren Familien sind“. Kinderarmut müsse „gezielt und nicht nach dem Gießkannenprinzip“ bekämpft werden, so die Forderung der Kija Tirol. Kürzlich durch die Diakonie veröffentlichte Zahlen würden zeigen, dass jedes vierte Kind armutsgefährdet sei. Nach zwei Jahren Pandemie habe die Kija auch eine starke Zunahme von Gefährdungsmeldungen registriert.

Berichte über „übergriffige Lehrer“

Auch Berichte über „übergriffige Lehrer“ häuften sich, wusste Harasser. Sie forderte eine „umfassende Bildungsreform, die sich an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientiert“ und monierte großen „parteipolitischen Einfluss und Kompetenzkampf zwischen Bund und Ländern“. Außerdem müsse „Fehlverhalten von Lehrpersonal auch sanktioniert werden können“.

Die Anzahl der bei der Kija registrierten Kontakte sei 2021 von 4.908 im Vorjahr auf nunmehr 4.186 zurückgegangen, was Harasser auf die Zugangsbeschränkungen in Schulen und Kindergärten und einhergehende Ausfälle von Workshops zurückführte. Vor allem Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren nähmen das Angebot der Kija als Ombuds- und Beratungsstelle in Anspruch, so die Verantwortlichen. Doch auch jüngere Kinder ab sieben Jahren würden sich zunehmend mit ihren Anliegen melden.

Opposition kritisiert Regierung

Die Tiroler Oppositionsparteien FPÖ, Liste Fritz und NEOS kritisieren die Regierung nach dem Bericht von Harasser heftig. Harasser renne bei der FPÖ „offene Türen ein“. Mit Landesparteiobmann Markus Abwerzger würde es nie wieder Maskenpflicht für Kinder geben. Liste Fritz-Chefin Haselwanter-Schneider zeigte sich „traurig und wütend“. Sie weise „seit Jahren“ darauf hin, dass die Kinder- und Jugendanwaltschaft personell unterbesetzt sei. Auch NEOS-Klubobmann und Spitzenkandidat Dominik Oberhofer fand scharfe Worte: „Mehr Betten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind das Alarmzeichen, dass die Prävention keine Rolle spielt.“