Schild Ortsende Ischgl im Paznaun
APA/JAKOB GRUBER
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Chronik

Ischgl: Schadenersatzurteil aufgehoben

Zur Schadenersatzfrage in der Causa Ischgl hat das Wiener Oberlandesgericht (OLG) ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben, mit dem das auf Schmerzensgeld, Heilungs- und Pflegekosten sowie Verdienstentgang gerichtete Klagsbegehren eines deutschen Urlaubers abgewiesen worden war.

Das Ersturteil war laut OLG mit Feststellungsmängeln behaftet. Die Rechtssache wurde daher zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung ans Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien zurückverwiesen.

Wusste Kläger von Information des Landes?

Konkret bemängelt das OLG, dass die erste Instanz nicht geklärt hatte, ob der deutsche Tourist, der sich im Skiurlaub in Ischgl mit dem Coronavirus infiziert hatte, eine maßgebliche Information des Landes Tirol überhaupt kannte, auf die er seine Klage stützte.

Das Amt der Tiroler Landesregierung hatte am 5. März 2020 um 17.44 Uhr verlautbart, dass sich positiv auf das Coronavirus getestete Isländer nach ersten Erhebungen auf der Rückreise im Flugzeug angesteckt hätten, weshalb es aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich erscheine, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen sei. Dabei hätten die Behörden zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass bei zwei Isländern auf SARS-CoV-2 hindeutende Symptome schon vor deren Abreise aus Ischgl aufgetreten seien, monierte der Kläger.

Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) muss nun klären, ob der Urlauber von dieser „Landesinformation“ überhaupt Kenntnis hatte und ob und inwieweit er darauf vertraute und deshalb weiter in Ischgl blieb. Dieser Umstand sei für die Haftungsfrage von Bedeutung, wie OLG-Mediensprecher Leo Levnaic-Iwanski gegenüber der APA erläuterte.

Beschluss könnte sich auch auf andere Klagen auswirken

Laut dem Sprecher des Wiener OLG sind bisher rund 25 Schadenersatzklagen von mutmaßlich in Ischgl infizierten Ski-Urlaubern erstinstanzlich abgewiesen worden. Gegen sämtliche Entscheidungen seien Rechtsmittel eingelegt worden, sagte Levnaic-Iwanski. Auf die Frage, was der nunmehr getroffene Beschluss des OLG für die anderen Verfahren bedeute, meinte Levnaic-Iwanski: „Überall dort, wo ein gleich gelagerter Sachverhalt gegeben ist, ist theoretisch erwartbar, dass ähnlich entschieden wird.“

Das heißt, dass bei erstinstanzlich erledigten Klagen, die sich ebenfalls auf die Mitteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung beziehen und bei denen unklar geblieben ist, ob und inwieweit die Kläger diese kannten, wäre ebenfalls mit Urteilsaufhebung und einer angeordneten Verfahrensergänzung zu rechnen.

Neue und ungelöste Rechtsfragen aufgeworfen

Im aktuellen Fall hat das OLG allerdings eine Anfechtung der eigenen Entscheidung beim Obersten Gerichtshof (OGH) für zulässig erklärt, weil das Verfahren „eine Reihe neuer und bisher ungelöster Rechtsfragen“ aufwerfe. Das OLG erwähnt in seiner Medienmitteilung in diesem Zusammenhang unter anderem die fehlende Judikatur zum Schutzzweck von Bestimmungen des Epidemiegesetzes und dem Stellenwert behördlicher Medieninformationen und Pressekonferenzen sowie der aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abzuleitenden Verpflichtung, keine falschen oder irreführenden Informationen über drohende Gefahren zu verbreiten.

Verbraucherschützer hofft auf Schadenersatz

Der Verbraucherschutzverein (VSV) brachte seinen Angaben zufolge bisher über 100 Amtshaftungsklagen in der Causa Ischgl eingebracht. Der Obmann des VSV Peter Kolba nennt es erfreulich, dass man den neuralgischen Punkt für eine Amtshaftung gefunden habe. Das Erstgericht müsse die Amtshaftungsklagen nun fundiert prüfen. „Wir vertrauen daher darauf, dass die Republik Österreich den Geschädigten von Ischgl letztlich Schadenersatz leisten wird. Das wäre nicht nur im Interesse der Opfer, sondern auch des heimischen Tourismus und nicht zuletzt im Interesse des Ansehens der österreichischen Justiz“, so Kolba.

Man lade die Vertreterinnen und Vertreter des Staates erneut zu außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen über eine rasche und faire Lösung für alle Betroffenen ein. Der Verbraucherschutzverein unterstützt Urlaubsgäste, die sich in Ischgl mit dem Virus angesteckt haben sollen, sowie Hinterbliebene von Ischgl-Urlaubern, die nach einer CoV-Infektion verstorben sind. Es gibt zahlreiche Klagen, in erster Instanz wurden diese bislang abgewiesen. In einem ersten Fall muss diese Entscheidung vom Landesgericht in Wien nach Aufhebung durch das OLG neu bewertet werden.