Walter Hasibeder
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Coronavirus

Impfquote: Mediziner sieht Politik gefordert

Der Tiroler Intensivmediziner Walter Hasibeder weist auf Kollateralschäden aufgrund einer mangelnden Impfquote hin. In einigen Bundesländern müssten bereits Operationen verschoben werden müssen. Es sei Aufgabe der Politik, für höhere Impfzahlen zu sorgen. In Tirol liegen derzeit zwölf Covid-Patienten auf einer Intensivstation.

Das ist ein Anstieg von drei Patienten im Vergleich zum Montag. Insgesamt befinden sich in den Tiroler Krankenhäusern 65 Menschen wegen Covid in stationärer Behandlung, das ist ein Minus von drei Menschen gegenüber dem Vortag. Von Montag auf Dienstag wurden 104 Personen neu als infiziert gemeldet, 145 gelten hingegen wieder als genesen. 983 Menschen gelten in Tirol derzeit als Infiziert. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt in Tirol derzeit mit 87,9 deutlich unter dem österreichischen Schnitt von 156,4.

Warten auf Operation bei Gelenksarthrose

„Wir haben in den Spitälern die Kollateralschäden der mangelnden Impfquote, die der Grund für die stark ansteigenden Zahlen von Covid-Intensivpatienten ist“, warnte der Präsident der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) Walter Hasibeder. Die Kollateralschäden bestehen laut dem Ärztlichen Leiter der Anästhesie und Operativen Intensivmedizin am Tiroler Krankenhaus St. Vinzenz in Zams auf verschiedenen Ebenen. "Zum Beispiel müssen Patienten mit schwerer Gelenksarthrose länger auf den Eingriff warten.

Die Opfer der niedrigen Impfquote

Für Patienten, die aus anderen Gründen als Covid-19 intensivpflichtig werden, zum Beispiel nach einem Unfall, haben wir dann weniger Ressourcen; und wir sehen auch in den Intensivstationen Covid-Patienten mit beeinträchtigtem Immunsystem, zum Beispiel onkologische Patienten, die trotz Impfung angesteckt werden – auch sie sind Opfer einer zu geringen Impfquote in der Bevölkerung", kritisierte Hasibeder.

Derzeit vor allem östliche Bundesländer betroffen

Dass es diesbezüglich Berichte aus mehreren Bundesländern gibt, ist laut dem ÖGARI-Präsidenten nicht verwunderlich, zumal österreichweit aktuell rund 220 Covid-Intensivpatienten betreut werden und damit die Zehn-Prozent-Marke bei der Auslastung der Intensivstationen mit Corona-Infizierten erreicht ist, „ab der bekanntlich der Normalbetrieb nicht mehr möglich ist“. Eine Überschreitung der Marke ist derzeit laut AGES-Dashboard in Wien (17 Prozent), Ober- (zwölf Prozent) und Niederösterreich (elf Prozent) der Fall. Nicht-Covid-Patienten belegen demnach 50 Prozent aller rund 2.100 Intensivbetten in Österreich.

Diese Beeinträchtigung des Normalbetriebes ist ein „schleichender“ Prozess, erklärte Hasibeder. „Je höher der Belegungsgrad durch Covid-Intensivpatienten im Bereich von zehn bis 50 Prozent der maximalen Belagskapazitäten, desto mehr und desto längerfristig müssen geplante Operationen verschoben, Personal aus anderen Bereichen, vor allem aus der Anästhesie, auf die Intensivstationen verlegt, OPs für den Routinebetrieb gesperrt und zusätzliche Dienste geleistet werden“, berichtete er.

Auch onkologische Eingriffe können betroffen sein

„Zunächst werden planbare, nicht lebensnotwendige Operationen wie orthopädische, sowie andere elektive Eingriffe verschoben. Dadurch werden anästhesiologisches Pflegefachpersonal, Fachärztinnen und-ärzte für Anästhesie und Intensivmedizin freigespielt, die dann Intensivpatientinnen und -patienten auf zusätzlich geschaffenen Intensivplätzen medizinisch versorgen“, erklärte Hasibeder. Je nach Belagssituation der Intensivstationen müssten aber auch onkologische, herzchirurgische und neurochirurgische Planeingriffe verschoben werden.

„Natürlich haben lebensnotwendige Eingriffe Priorität, die Abwägung muss immer im Einzelfall unter Berücksichtigung individueller Faktoren wie Gesamtzustand, Krankheitsverlauf etc. getroffen werden. Aber generell gilt, dass kurzzeitige OP-Verschiebungen im Bereich der Onkologie zwar für die Patientinnen und Patienten sehr belastend sind, aber auf die Prognose der Erkrankung keinen Einfluss haben“, versicherte Hasibeder in Richtung von Krebspatienten.

Warnung vor Zuspitzung der Lage

Der ÖGARI-Präsident warnte vor einer Zuspitzung der Lage. Das Prognosekonsortiums gehe von einem Anstieg des Intensiv-Belags auf 326 am 29. September aus (mit 68 Prozent Wahrscheinlichkeit zwischen 266 und 399 Patienten). „Entsprechend intensiv werden die organisatorischen Antworten ausfallen“, betonte er zur weiteren Situation in den Spitälern.

Hasibeder verweist auf Italien

„Wenn wir nicht wieder in eine zunehmende dramatische Versorgungssituation kommen wollen und Menschen, die selbst geimpft keinen Immunschutz aufbauen können, schützen wollen, müssen wir eine höhere Impfquote erreichen. Ob dies über Motivation oder eine Impfpflicht erfolgt, muss die Politik entscheiden“, betonte Hasibeder auf APA-Nachfrage. „Ich persönlich finde es schon bemerkenswert, dass in Italien nach einer sehr deutlichen Ausweitung der 3G-Regelung jetzt die ohnehin schon recht hohe Impfquote weiter ansteigt“, merkte er an.

Intensivmedizin pandemiefit gestalten

„Wenn wir aber über die aktuelle akute Phase hinaus denken, ist auch wichtig, dass wir unsere Intensivmedizin nachhaltig ‚pandemiefit‘ gestalten. Das schließt auch ein, die Basis zu schaffen, dass wir die Kapazitäten im Bedarfsfall auf hohem Qualitätsniveau erweitern können“, forderte der Intensivmediziner. Die ÖGARI erarbeite dazu gerade ein Papier, das die Intensivmedizin-Gesellschaft „zum gegebene Zeitpunkt mit Gesundheitspolitik und -planung besprechen“ wolle.

Dornauer kritisiert Bundesregierung

SPÖ-Chef Georg Dornauer fordert seitens der Regierung einen Kurswechsel und nennt Dänemark bei der Durchimpfungsquote als Positivbeispiel: „Wollen wir schnellstmöglich Freiheiten wie in Dänemark, dann müssen die Desinformation durch FPÖ und Co. endlich entsprechender und ansprechender Information durch öffentliche Stellen weichen.“, so Dornauer,

Da die Bundesregierung hier neuerlich den Sommer verschlafen hat, soll das Land mit einer Kampagne einspringen. Weiters fordert Dornauer Verpflichtende Aufklärungsgespräche beim Hausarzt und die Sozialpartner müssten an einen Tisch, um einen Vorschlag für die Umsetzung der 3-G-Regel am Arbeitsplatz auszuarbeiten.