Ausstellung in Bozen
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Politik

75 Jahre Südtiroler Autonomie

Vor 75 Jahren, am 5. September 1946, haben die Außenminister von Österreich und Italien Karl Gruber und Alcide De Gasperi, den sogenannten „Pariser Vertrag“ unterschrieben. Auch wenn das Abkommen für viele zuerst eine Enttäuschung war, ist es zur Grundlage der heutigen Südtiroler Autonomie geworden.

Seit einem Dreivierteljahrhundert wird an der Autonomie gefeilt und gearbeitet, aufbauend auf dem Pariser Vertrag. Für die Südtiroler war die Vereinbarung aber zuerst eine herbe Enttäuschung, weiß die Historikerin Martha Stocker. Die Bevölkerung wollte damals die Selbstbestimmung und damit die Rückkehr zu Österreich. Das sei aber nicht möglich gewesen und deshalb sei es zu dem Kompromiss gekommen.

Reflexion der Zeitgeschichte

Am Sonntag jährt sich die Unterzeichnung des Pariser Vertrags. Südtirols Autonomie wird 75. Anlässlich des Jubiläums wurde in Bozen eine Reflexion der Zeitgeschichte installiert. Am Silvius-Magnago-Platz vor dem Landhaus stehen neun rote Säulen.

Forderung nach Volksabstimmung zuvor abgewiesen

Der Vertrag beinhaltet im Wesentlichen die Grundlage der heutigen Autonomie. Zuvor war bei der Friedenskonferenz in Paris am 1. Mai 1946 die österreichische Forderung nach Abhaltung einer Volksabstimmung in Südtirol endgültig abgewiesen worden.

Vertragsunterzeichnung Gruber De Gasperi
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Gruber und De Gasperi unterzeichneten das Abkommen

Im Abkommen wurden den Südtirolern unter anderem Maßnahmen zur Erhaltung ihres Volkscharakters, die Gleichstellung der deutschen Sprache und die Gewährung einer Autonomie zugestanden. Erstmals wurden konkrete Schutzbestimmungen zugunsten der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols auf internationaler Ebene verbrieft – vor allem hinsichtlich des Schulunterrichts in der Muttersprache, des Sprachgebrauchs bei öffentlichen Ämtern und der Vergabe von öffentlichen Stellen.

Auf ladinische Volksgruppe wurde vergessen

Italien hatte Österreich durch das Abkommen indirekt als Vertragspartner im Bereich der Südtirolfrage anerkannt. Nicht zuletzt von diesem Umstand und von den bilateralen Verhandlungen um das zweite Autonomiestatut leitete sich die bis heute bestehende Schutzfunktion der Republik für die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung der Region ab. Diese ist allerdings in keinem Dokument offiziell festgeschrieben. Auf die ladinische Volksgruppe, die heute auf die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno aufgeteilt ist, wurde in dem Abkommen vergessen.

Südtirol mit dem Trentino in einer Region

Im Jahr 1948 folgte das erste Autonomiestatut. Allerdings wurde Südtirol auf Drängen De Gasperis mit dem Trentino in eine Region zusammengefasst. Die italienische Bevölkerung hatte darin die Mehrheit. Der Wille der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol wurde damit aber in keiner Weise respektiert. Es folgten Aufstände, terroristische Übergriffe und 1957 eine Kundgebung auf Schloss Sigmundskron bei Bozen.

Umgestürzter Hochspannungsmast
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Widerstand aus der Bevölkerung: Die italienische Industrie sollte durch Attentate auf Strommasten lahmgelegt werden

Südtirol-Problem vor der UNO

1960 brachte der damalige österreichische Außenminister und spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) das Südtirol-Problem vor die UNO. In einer Resolution wurde festgehalten, dass die Autonomie zum Schutz des Volkscharakters und zur Wahrung der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der Südtiroler zu behandeln ist und Österreich zweifelsohne ein Mitspracherecht habe. Trotz der UNO-Stellungnahme weigerte Italien sich aber weiterhin, den Südtirolern eine Autonomie zuzugestehen.

Bruno Kreisky
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Außenminister Bruno Kreisky brachte das Thema vor die UNO

Zweites Autonomiestatut 1972

Erst 1972 folgte ein zweites Autonomiestatut. Dieses gilt bis heute und regelt nicht nur die Beziehungen zwischen Südtirol und Rom, sondern auch zwischen der Bevölkerung im Land. Mit diesem Statut gingen die erweiterten Autonomiebestimmungen von der Region Trentino-Südtirol letztlich großteils auf die beiden autonomen Provinzen Trient und Bozen über. 20 weitere Jahre wird es dann dauern, bis der Großteil der vereinbarten Maßnahmen von Rom durchgeführt wird. Formell wurde der Streit zwischen Österreich und Italien schließlich im Jahr 1992 durch die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ beendet.

Silvius Magnago, Südtirol-Verhandlungen
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Landeshauptmann Silvius Magnago verhandelte Südtirols Autonomie

In den darauffolgenden Jahren wurde die Südtirol-Autonomie schrittweise erweitert. Unter anderem erfolgte die Errichtung eines eigenen Oberlandesgerichtes in Bozen. Die deutsche Sprache wurde bei Polizei und Gericht gleichgestellt. Nach dem österreichischen EU-Beitritt und dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens wurde an den Übergängen zu Nord- und Osttirol der Wegfall der Grenzbarrieren gefeiert.

Grenzbalken am Brenner
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Am Brenner fielen im April 1998 die Grenzbalken

Rede von „dynamischer Autonomie“

Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher sagt unter Bezugnahme auf Silvius Magnago, die Autonomie sei etwas Dynamisches, das ständig angepasst und weiterentwickelt werden müsse. In der Geschichte habe es immer wieder Rückschläge und Fortschritte gegeben. In den letzten Jahren habe man Finanzverhandlungen führen müssen, weil es einen großen Rückschlag davor gegeben habe. Jetzt stehe man besser da als je zuvor, so Kompatscher. Es gebe aber auch Themen, die noch offen seien, etwa was die Kompetenzen bei der Digitalisierung betrifft.

Ausstellung anlässlich der Vertragsunterzeichnung

Zum Gedenken an die Unterzeichnung des Pariser Vertrages wurde in Bozen eine Reflexion der Zeitgeschichte installiert. Am Silvius-Magnago-Platz vor dem Landhaus stehen neun rote Säulen. Jede von ihnen vertieft Südtirols Historie. Gäste wie Einheimische sollen sich auch ein Dreiviertel-Jahrhundert nach der geschichtsträchtigen Unterschrift zwischen Gruber und De Gasperi mit der Thematik auseinandersetzen.

Die Verantwortliche für die Ausstellung Angelika Fleckinger sagt, den Ausstellungsgestaltern sei es sehr wichtig gewesen, aufzuzeigen, dass man Teil der Autonomie sei und dadurch Vorteile habe. Man sei auch eingeladen, Autonomie mitzugestalten und gemeinsam in die Zukunft zu gehen.

Für junge Menschen oft kein großes Thema mehr

Faktum ist aber auch, dass in Südtirol viele junge Menschen kaum mehr wissen, wie die Autonomie zustande kam. Hans Karl Peterlini, der in Klagenfurt Professor für interkulturelle Bildung ist, kann dem aber auch etwas Positives abgewinnen, denn es könne auch heißen, „wenn ich im Wasser schwimmen kann, muss ich nicht ständig über das Wasser reden“.