Über 1.000 Einsätze haben die Tiroler Bergretter mit ihren 90 Ortsstellen zwischen Juni und August geleistet. Immer wieder gab es in den beliebten Wandergebieten, alpinen Kletterrouten und Klettersteigen mehrmals in der Woche oder sogar mehrmals am Tag Notrufe. Das hat die ehrenamtlichen Bergretter und auch ihre Arbeitgeber teilweise an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gebracht.
Einsätze manchmal mehrmals am Tag
Die Tiroler Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hätten nach wie vor großes Verständnis für die Arbeit der Ehrenamtlichen, ist Bergrettungs-Landesleiter Hermann Spiegl überzeugt. „Aber wenn der Bergretter mehrmals in der Woche vom Arbeitsplatz wegrennen muss, weil er zu einem Einsatz gerufen wird, dann wird es schwierig.“ Für die Zeit des Einsatzes muss er oder sie sich Zeitausgleich oder Urlaub nehmen. Einsätze, die länger als acht Stunden dauern, werden inzwischen von der Bergrettung bezahlt.
Aber der Bergretter oder die Bergretterin muss nicht nur von seiner Arbeit, sondern vor allem am Wochenende auch von seiner Familie weggeholt werden. Im abgelaufenen Sommer seien besonders geforderte Ortsstellen wie Ehrwald, Innsbruck oder Mayrhofen an ihr personelles Limit gekommen. Wegen des durchwachsenen Wetters gab es viele Suchaktionen und mehr terrestrische Einsätze, weil die Hubschrauber nicht fliegen konnten, bilanzierte Hermann Spiegl.
Sorglosigkeit nimmt zu
Während die Ausrüstung für Wanderer, Biker und Kletterer in den vergangenen Jahren immer besser wurde, nahm auch die Sorglosigkeit und die Vollkasko-Mentalität in den Bergen zu. Das Selbstbewusstsein ist oft ungleich höher als das Können. Dafür werde oft vergessen, dass ein kleines Problem am Berg sich ganz schnell zu einer lebensgefährlichen Situation auswachsen kann.
Heute kämen viele Kletterer aus den Hallen. Sie würden denken, sich dann auch an eine alpine Tour zum Beispiel im Wilden Kaiser wagen zu können. Aber das sei dann doch ein Unterschied. Man hat oft hunderte Meter unter sich und auch die Absicherung ist anspruchsvoller, sagte Roman Haselsberger von der Bergrettung Scheffau.
Das bringt auch die Einsatzleiter in eine schwierige Situation. „Die Leute meinen, wenn sie nicht mehr weiterkönnen, werden sie eh von der Bergrettung geholt. Aber das kann auch schiefgehen. Wenn das Wetter schlecht ist und der Hubschrauber nicht fliegen kann, dauert es manchmal Stunden, bis die Bergretter zu den Leuten aufgestiegen sind. Wir müssen auch entscheiden, was wir riskieren können und wann die Gefahr für die Retter selbst zu groß ist“, sagte Roman Haselsberger von der Bergrettung Scheffau. Der Bezirksleiter von Kufstein, Hermann Schneck ergänzte: „Einen Einsatz nicht zu machen, ist besonders schwierig. Da ruft jemand um Hilfe und wir können es nicht riskieren, die Retter zu gefährden. Wir versuchen unser Möglichstes, aber manchmal geht es einfach nicht.“
Im Urlaub muss die Tour gelingen
Oft seien auch die Angaben der Menschen, die den Notruf absetzen, sehr ungenau. „Dann müssen wir überlegen, wo wir sie überhaupt suchen sollen“, so Bergretter Haselsberger. Dass im zeitlich begrenzen Urlaub unbedingt ein alpines oder sportliches Ziel erreicht werden muss, das hat den Tiroler Bergretterinnen und Bergrettern auch in diesem Jahr wieder zahlreiche zum Teil schwierige und gefährliche Einsätze beschert. „Viele Leute wollen eine Tour unbedingt machen, damit sie dann daheim etwas erzählen können. Auch wenn das Wetter schlecht ist und der nächste Tag besser wäre. Aber da müssen sie dann schon heimfahren,“ schilderte Hermann Schneck die Situation.
Die Bergretter empfehlen, sich für anspruchsvollere Touren einen Bergführer zu nehmen. Er habe die Erfahrung im alpinen Gelände, könne das Wetter besser einschätzen und sorge für ein erfolgreiches Gelingen des Vorhabens. Und er weiß vor allem auch, wann es besser ist umzudrehen, fügten die Bergretter an.
Ortsstellen entlasten
Dass man die Bergrettung als hauptberufliche Einheit führen könnte, glaubt man derzeit nicht. Es laufen aber bereits Pilotprojekte. Zum Beispiel in Sölden, wo vom Tourismusverband für den gut besuchten Bikepark vier Bergretter hauptamtlich angestellt sind, um für die Sicherheit der Sportlerinnen und Sportler zu sorgen. Das wird durchaus als gute Möglichkeit für die Zukunft der Bergrettung gesehen. „Wir haben dort junge, einsatzerfahrene Bergretter, die für den Bikepark abgestellt sind. Das entlastet die Ortsstelle sehr.“ Zu überlegen sei auch, ob man zum Beispiel die Administration professionalisieren könne. Auch bei der Beschaffung und vor allem Wartung der Ausrüstung und des Geräts sei das zu diskutieren. „Das ist ja auch eine Versicherungsfrage, erklärte Spiegl.“
Junge Interessierte rücken nach
Nachwuchssorgen hat die Tiroler Bergrettung nicht. Jedes Jahr melden sich 120 bis 140 junge Alpinistinnen und Alpinisten, die die gute Ausbildung und die ehrenamtliche Tätigkeit schätzen und Bergretterin und Bergretter werden wollen. Der Frauenanteil in der Bergrettung liegt inzwischen übrigens bei 20 Prozent. In Ehrwald ist die bisher einzige Ortsstellenleiterin tätig.