Wahlveranstaltung von Ungarns Premierminister Viktor Orban
AP/Zsolt Szigetvary
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Politik

Wenn Demokratie ganz legal autoritär wird

Sanfter Autoritarismus ist ein Phänomen, das die Demokratie gefährdet und aushöhlt, so dass diese autoritäre Züge annimmt. Welche Strategien zu dieser Herrschaftsform führen und warum Widerstand so schwierig ist, darüber sprach die Anthropologin Shalini Randeria an der Uni Innsbruck.

Sanfter Autoritarismus trete weniger spektakulär in Erscheinung als totalitäre Herrschaft und lasse die Grenze zwischen Demokratie und Autokratie verschwimmen. Sanft-autoritäre Regierungen würden die Macht nicht über Nacht ergreifen oder friedliche Demonstranten erschießen wie dieser Tage in Myanmar. Vielmehr bediene sich diese gefährliche Herrschaftsform verschiedener Strategien, etabliere mit diesen Gesetzlosigkeit, die sich als Herrschaft des Gesetzes tarne, so Randeria.

Beispiele für Länder, in denen sanfter Autoritarismus bereits Platz gegriffen habe, seien z.B. Brasilien, Ungarn, Indien, Polen, die Philippinen oder die Türkei. Auf dem Weg dorthin würden Gerichte, unabhängige Medien und Universitäten zur primären Zielscheibe sanft-autoritärer Angriffe.

Shalini Randeria, Leiterin des Instituts der Wissenschaft vom Menschen, in einem youtube-Vortrag
ORF
Shalini Randeria sprach über die Aushöhlung der Demokratie mit demokratischen Mitteln im youtube Livestream.

Bedrohter Volkskörper und Wahlmanipulation

Randeria hat zwei zentrale Strategien auf dem Weg zu sanftem Autoritarismus herausgearbeitet: Eine „demographische Panik“ beschwöre – erstens – Ängste herauf und schüre diese. Vor dem Hintergrund niedriger Geburtenraten, alternde Populationen und einer veränderten Bevölkerungsstruktur etablierten Demagogen eine Rhetorik, in der angeblich christliche Werte und Zivilisation durch Flüchtlinge und Migrantinnen gefährdet seien.

Eine Umformung von Wahlmehrheiten ebne – zweitens – den Weg zum sanften Autoritarismus. Sanft-autoritäre Regimes stützen sich auf parlamentarische Mehrheiten, um Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit abzubauen. So würden Demokratien mit demokratischen Mitteln ausgehöhlt.

Wahlmanipulation oder wie man Mehrheiten generiert

Die strategische Neudefinition von Wahlbezirken, das Umschreiben von Wahlgesetzen zum eigenen Vorteil oder die gezielte Unterrepräsentation von Minderheiten seien Praktiken, mit denen Demokratien „demokratisch“ umgebaut würden. Als Beispiel für die Neuorganisation von Wahlbezirken nannte Randeria Ungarn 2014, als im ganzen Land Wahlkreise, die für Orbans Fidesz-Partei stimmen würden, kleiner gezogen wurden als jene, in denen die Opposition stark war. So gewann Orbans Fidesz-Partei mit nur 45 Prozent der Stimmen zwei Drittel der Sitze im Parlament.

Zur Person

Shalini Randeria leitet das Institut für die Wissenschaft vom Menschen IWM in Wien. Randeria war die diesjährige Lektorin der Christoph-Probst-Vorlesung der Universität Innsbruck, mit der an die Werte der Widerstansbewegung Weiße Rose erinnert wird.

Durch eine Verfassungsänderung erhielten außerdem „ethnische Ungarn“ in Nachbarländern das Wahlrecht. So gelang es der Regierung Orban nachhaltig, die Zusammensetzung der Wähler zu ihren Gunsten zu ändern, ohne die Landesgrenze zu verschieben, analysierte Randeria.

Medien kapern, Kritikern den Boden entziehen

Wie Kritiker von Entwicklungen wie dieser ausgeschaltet werden, zeigte die Anthropologin am Beispiel der „Central European University“ (CEU) in Ungarn. Durch ein maßgeschneidertes Gesetz zur Regelung ausländischer Universitäten wurde die CEU in Budapest de facto zum Schließen gezwungen. Es folgten Budgetkürzungen und Autonomieeinschränkungen der nationalen Unis, Fidesz-Funktionäre erhielten dort wichtige Posten. Die Zahl der Studierenden ging daraufhin um 45 Prozent zurück, was Randeria als erfolgreiche Taktik sieht, potenziell kritische Stimmen loszuwerden.

Widerstand gegen sanften Autoritarismus sei schwierig, weil er von jenen Teilen der Bevölkerung Unterstützung erhalte, die dabei an Macht und Privilegien teilhaben. Gleichzeitig sei der Raum für zivilgesellschaftlichen Aktivismus stetig beschnitten, Medien würden „gekapert“, so Randeria. Wer für Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit protestiere, würde diskreditiert.

Demokratie braucht Übung – und die Justiz

Die Anthropologin hält die Rolle der Justiz für entscheidend sowie die Zivilcourage einzelner Richter, die geänderte Wahlgesetze anfechten. Demokratie sei eine Lebensform, die gepflegt werden müsse, so Randeria, die Lektorin der diesjährigen Christoph Probst Lecture an der Universität Innsbruck, mit der an die Werte der Widerstandsbewegung Weiße Rose erinnert wird, der der Innsbrucker Student Christoph Probst angehörte.

Zu prüfen sei, wie Demokratie im öffentlichen Raum und im familiären Alltag praktiziert werde. Nur wachsame Bürgerinnen und Bürger könnten die Stimme erheben gegen unscheinbare Veränderungen, damit die liberale Demokratie eine Zukunft hat.