Symbolbild: Playmobil-Männchen auf Österreich-Karte
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Coronavirus

„Rülpser & Co“: Diskussion unter der Lupe

Im Umgang mit der Virusmutante B.1.351 hat Tirol sich ins Zentrum nationalen und Internationalen Interesses gestellt. Politisch wurde der Konflikt mit einem Kompromiss gelöst, in der gesellschaftlichen Debatte und im Land selbst hat er eine Polarisierung ausgelöst.

Auf politischer Ebene konnte man die Eskalation beobachten. Interessensvertreter fühlten sich falsch behandelt, es folgte ein verbales Aufrüsten, damit der „Gegner“ nachgibt. Aus Sicht der Politikwissenschafterin Lore Hayek hat Tirol damit versucht, diesen Konflikt mit einem Verhaltensmuster zu lösen, das fehl am Platz ist.

„In den letzten Tagen haben sich einige Politiker – ich sage hier absichtlich nur die männliche Form – in einem Machtgehabe aufgeplustert, das man in diesen Situationen nicht brauchen kann. Das Virus wartet nicht auf die Entscheidung, wer den Machtkampf gewinnt und wer ihn verliert.“

Es komme zu einer Polarisierung zwischen einzelnen Bundesländern und auch innerhalb eines Bundeslandes zwischen jenen, die sich mit den Eskalierern identifizieren könnten und anderen, die sich davon distanzierten, so Hayek. „Was man bräuchte, wäre die Rückkehr zur Feststellung, dass wir alle vor dem selben Problem stehen.“

„Mir lassen uns nix sagn“ auch auf individueller Ebene

Der Vorwurf des „Tiroler Egoismus“ spiegelt sich auf sozialer Ebene. Auch innerhalb der Bevölkerung verhalten sich viele Menschen so, dass sie in erster Linie sich selbst als Maßstab nehmen. Zwar würden klare Regeln, Maßnahmen und Sicherheit gefordert, aber genau diese Maßnahmen versuche der Einzelne dann im Alltag zu umgehen, suche seine persönlichen Schlupflöcher, damit die eigene Freiheit möglichst wenig eingeschränkt werde, so der Soziologe Markus Schermer von der Universität Innsbruck.

„Das passiert auch, wenn man sich mit Freunden trifft oder der Familie. Man denkt sich, ich weiß wie ich mich richtig verhalte, da kann nix passieren. Dabei hält man die Vorgaben nicht ein, die man von anderen verlangt.“

Andreas-Hofer-Klischees statt Solidarität

In der aktuellen Diskussion werden Klischees von Andreas Hofer bis zur Piefke-Saga bedient. Social-Media-Foren sind voller Kommentare zwischen amüsiert und todernst.

Sie bestärken die Frontenbildung zwischen den Menschen, kritisiert die Ethnologin Elsbeth Wallnöfer von der Universität Wien. „Was die Tiroler gerade machen ist zum Fremdschämen, einmal auf moralischer, einmal auf staatsrechtlicher Ebene. Sie führen sich auf wie brunftige Schützen aus dem 19. Jahrhundert und bedenken überhaupt nicht, dass es außerhalb Tirols auch noch eine Welt gibt. Und was ich sehr unverfroren finde – dass die Tiroler glauben, sie stehen über dem Gesetz, aber das ist nicht so.“

Landespatriotismus ist keine Tiroler Spezialität

In Tirol heute Gespräch sprach der Innsbrucker Politologe Reinhold Gärtner von „bizarren Äußerungen“ im Zuge der Auseinandersetzung. Animositäten zwischen Wien und den Bundesländern würden sich aber historisch nicht auf Tirol beschränken, auch in anderen Bundesländern, z.B. Kärnten, gebe es einen ausgeprägten Landespatriotismus.

Studiogast: Politikwissenschaftler Reinhold Gärtner

Tirol kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen – Politikwissenschaftler Reinhold Gärtner analysiert im Studio.

Tirol sei heterogen, so Gärtner, die Zuschreibung „ihr Tiroler“ würde dem nicht gerecht. Die Polarisierung mache leicht vergessen, dass die Pandemie nur gemeinsam oder eben gar nicht zu bekämpfen sei.