Ein kaputter Porzellanteller, der mit Kintsugi repariert wurde
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Kultur

Die Schönheit eines Makels

„Kintsugi“ ist eine 500 Jahre alte japanische Restaurier-Technik, die Fehler sichtbar macht. Goldene Linien heben Risse und Brüche in Keramikgefäßen hervor – und bewahren Objekte so vor dem Wegwerfen. In Tirol beherrscht nur eine Restauratorin diese uralte Technik.

Die Thaurer Restauratorin Barbara Juen-Bloéb entdeckte die Kintsugi-Technik durch eine Kundin, die jahrelang in Japan gelebt hatte. Bei dieser Arbeitsweise werden reparierte aber noch sichtbare Sprünge im Material mit Gold repariert und gleichzeitig hervorgehoben, die vermeintlichen Makel dadurch aufgewertet.

Anfangs konnte sie es sich nicht erklären, wie Brüche durch flüssiges Metall zusammengehalten werden können, erinnert sich die Restauratorin: „Als die erste Kundin mit diesem Anliegen kam, musste ich ihr sagen, dass ich diese Restaurationsweise nicht beherrsche.“ Monatelang hat sich die klassisch ausgebildete Restauratorin das Flicken mit Kintsugi dann selbst beigebracht.

Restauratorin Barbara Juen-Bloéb bei der Arbeit
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Restauratorin Barbara Juen-Bloéb bei der filigranen Arbeit

Aufwendige, langsame Arbeit

Barbara Juen-Bloéb übte zunächst an einer beschädigten Teekanne ihrer Nachbarin. Bis sie die Technik beherrschte, verging viel Zeit, Misserfolge inklusive: „Nach eineinhalb Jahren konnte ich ihr die Kanne endlich zurückgeben“, schildert die Restauratorin. Mit einer vom japanischen Lackbaum gewonnenen Harz namens „Urushi“ werden Bruchstellen in der Keramik geklebt. Die Schichten brauchen dazwischen viel Zeit zum Trocknen.

Die Langsamkeit und Bedächtigkeit der Arbeit entspricht dabei der vom Zen Buddhismus inspirierten 500 Jahre alten Technik. Zuletzt werden die Narben nicht zugespachtelt, sondern mit Goldpulver bestreut und so zum Strahlen gebracht. Makel bleiben sichtbar und machen das Objekt vielleicht sogar noch wertvoller. Nach der japanischen „Wabi-Sabi“-Philosophie ist nämlich nicht das vordergründig Perfekte erstrebenswert – Schönheit sucht man auf den zweiten Blick im Individuellen und auch im Gebrochenen.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Ein kaputter Keramikelefant, der mit Kintsugi repariert wurde
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Der Keramikelefant hat durch Kintsugi seinen Rüssel wiederbekommen
Eine kaputte Vase, die mit Kintsugi repariert wurde
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Die kaputte Delft-Vase erhält durch Kintsugi neues Leben
Eine kaputte Kanne, die mit Kintsugi repariert wurde
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Aus dieser reparierten Kanne kann in Zukunft wieder Tee eingeschenkt werden
Ein kaputtes Keramikgefäß, das mit Kintsugi repariert wurde
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Die zarten goldenen Fäden wirken mehr wie eine Dekoration, als eine Reparatur
Eine kaputte Schale, die mit Kintsugi repariert wurde
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Ein feiner, goldener Strich zeigt an, wo die Schale gebrochen war

Lieblingsstücke „leben“ länger

Wer sich auf Kintsugi einlässt, braucht Zeit und Geld: Pro Zentimeter Risslänge werden um die zehn Euro fällig. Großflächige und tiefe Füllungen sind noch um ein Vielfaches teuer. Liebgewonnene Objekte mit Erinnerungen bekommen durch die Reparatur allerdings eine zweite Chance.

Kintsugi entspricht dem heutzutage trendigen Upcycling: „Wenn einem die Lieblings-Teetasse kaputt wird, kommt man oft erst drauf, wie viel sie einem bedeutet“, schildert Restauratorin Juen-Bloéb. „Genau in solchen Situationen hilft einem die Technik, weil man am Gegenstand danach noch mehr Freude hat. Und Narben soll man nie verstecken“, ist sie überzeugt. So wie kein Lebensweg ganz ohne Bruchlinien verläuft, haben auch diese Objekte einiges zu erzählen.