Intensivstation
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Coronavirus

Hilferufe aus den Krankenhäusern

Die Pflegedirektion des Krankenhauses Hall hat am Donnerstag auf die enorme Belastung für die Pflegekräfte aufmerksam gemacht. Sollten die CoV-Zahlen weiter steigen, könne man das System „auf diesem Niveau nicht mehr“ aufrechterhalten. In einem YouTube-Video richten Ärzte einen dringenden Appell an die Tiroler Bevölkerung.

Die größte „körperliche, anspannungstechnische Belastung“ verortete der Pflegedirektor Stephan Palaver im intensivmedizinischen Bereich: „Das Pflegepersonal arbeitet in vier- bis fünfstündigen Schichten im Isolierzimmer. Während dieser wird weder gegessen noch getrunken, die Leute können auch die Toilette nicht aufsuchen“, schilderte er. „Die Kollegen kommen platschnass, vollkommen durchgeschwitzt und fertig von der Schicht, müssen dann aber auf der Normalstation weiterarbeiten“, sagte Pallaver und sprach im APA-Interview von einer „massiven Mehrbelastung“. Die Versorgung von Covid-Patienten sei zudem komplex und körperlich extrem anstrengend.

Das An- und Ausziehen der Schutzausrüstung – FFP2-Maske, Schutzbrille, Schutzanzug, doppelte Handschuhe – dauere „seine Zeit“ und verzögere den ganzen Prozess.

Covid-Stationen sind personalintensiv

Eine Personalverschiebung wurde nötig, am Krankenhaus Hall hätte man schon Stationen schließen müssen, um den Mehrbedarf zu decken, berichtete Palaver. Normalerweise stünden auf einer Station mit 30 Betten fünf bis sechs Pfleger untertags und zwei Personen nachts im Dienst, nun seien es acht bis neun tagsüber und drei bis vier im Nachtdienst – mehr dazu in Krankenhaus Hall schließt Psychotherapie-Station.

Die Angst vor einer Ansteckung

Hinzu kommen im Krankenhaus Hall spezielle Herausforderungen auf der Psychiatrie. Covid-Erkrankte mit psychischen Vorerkrankungen würden häufig keine Rücksicht nehmen und seien zudem manchmal „hochaggressiv“, sagte Palaver. „Es kommt vor, dass Patienten unser Personal anspucken und Schutzmaßnahmen schlicht nicht einhalten.“ Die Angst vor einer Ansteckung unter dem Personal sei vor allem in diesem Bereich groß, die Versorgung jener Patienten erfordere „viel Kraft und Personalressourcen“. Sollten die Infiziertenzahlen weiter steigen, ortete Palaver ein „Risiko, die Gesundheitsversorgung nicht mehr auf diesem Niveau gewährleisten zu können“.

Dringender Appell an die Bevölkerung

Auf YouTube schildern Ärzte und Ärztinnen ihre Arbeitssituation. Sie richtigen einen dringenden Appell an die Tiroler Bevölkerung, alle Coronavirus-Maßnahmen einzuhalten:

Ärzte: Vor Entscheidung, wer Intensivbett bekommt

„Aufgrund der steigenden Infektionszahlen sehen wir uns in allen Gesundheitseinrichtungen in Tirol mit einem besonderen Ansturm an Patienten konfrontiert“, sagte etwa Stephan Eschertzhuber, Primar für Anästhesie und Intensivmedizin am LKH Hall. Derzeit würden die Kapazitäten noch ausreichen, es sei aber zu befürchten, wenn sich der Trend der Neuinfektionen fortsetze, dass das Gesundheitssystem in Tirol an seine Grenzen kommen werde. „Wir müssen bald anfangen zu entscheiden, wer kommt noch auf ein Intensivbett und wer nicht“, sagte Eschertzhuber.

Die leitende Diplompflegerin der internistischen Intensivstation, Gina Oberthaler, warnte indes vor einer Überlastung des Personals. „Wenn unsere Spitäler immer mehr mit Covid-Patienten belegt sind, wenn unsere Mitarbeiter immer noch mehr Patienten behandeln müssen und wenn für die steigende Zahl an Intensivpatienten nicht mehr genügend Personal zur Verfügung steht, dann wird die bestmögliche Behandlung, egal ob für einen Unfall, für Covid oder für einen Herzinfarkt, bald nur noch eine Notversorgung sein können“, zeigte die Pflegerin auf.

Alexandra Ciresa-König, Oberärztin an der Univ.-Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, appellierte eindringlich an die Bevölkerung, Masken zu tragen. „Wir tragen seit März acht Stunden in der Arbeit Maske. Wir tragen sie, damit wir die Bevölkerung bezüglich Schwangerschaft oder Onkologie weiter gut versorgen können, bitte helfen auch Sie“, betonte Ciresa-König.

ÖGB ortet Versäumnisse der Politik

Die Beschäftigten im Pflegebereich würden seit Monaten teils Unmenschliches leisten, so ÖGB-Vorsitzender Philip Wohlgemuth. Und er übte Kritik: Man hätte bereits vor Monaten reagieren und über den Sommer Konzepte erarbeiten müssen. Es gehe auch um die Gesundheit der Beschäftigten. Eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Pflegeheimen und Krankenhäusern wäre „verheerend“.

Wiener Personalvertreter: Gefahr des Ausbrennens

Auch in den Wiener Spitälern ist die Situation zunehmend herausfordernder – auch für das medizinische Personal und die Pflegekräfte. Vor allem letztere sind durch die 24-Stunden-Einsätze bereits am Rande der Belastbarkeit angelangt, wie der Wiener Personalvertreter Edgar Martin warnte. Die Gefahr, dass Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ausbrennen, sei akut.

Schwierig sei die Lage nicht zuletzt deswegen, weil das Coronavirus jeden auch persönlich betreffe, sagte Martin. Er ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger im Gesundheitsverbund und stellvertretender Vorsitzender der Hauptgruppe II in der Gewerkschaft younion. „Ich glaube, was die Leute am meisten beschäftigt, ist der emotionale Rucksack, den sie mit sich herumtragen.“

Auch oberösterreichisches Personal am Limit

Auch die oberösterreichischen Pflegepersonalvertreter starteten am Donnerstag einen Hilferuf und forderten, den Beschäftigten unter die Arme zu greifen. Ihre Liste an Forderungen reicht von Parkplätzen und Verpflegung über fixe Vorgaben für Schutzausrüstung bis zu Hilfspersonal und schnelleren Tests. Auch sei nicht einzusehen, dass Leute nach Kontakt mit Infizierten zwar zur Arbeit, in ihrer Freizeit aber nicht einmal spazieren gehen dürfen.

Die Coronavirus-Pandemie belastet auch die Behindertenbetreuung zunehmend. In 19 der 70 Einrichtungen der Lebenshilfe OÖ sind derzeit Covid-19-Fälle zu verzeichnen. Besonders gefordert sind die Mitarbeiter – einerseits aufgrund der Schutzausrüstung, andererseits weil sie bei der Schließung von Werkstätten vorübergehend in Wohnhäusern eingesetzt werden.