Auch Experten würden nicht erkennen, dass diese Tuschzeichnungen von einem mühevoll umgelernten Linkshänder geschaffen worden sind, sagt Ralf Bormann, der die Ausstellung im Grafischen Kabinett im Ferdinandeum kuratiert. Gezeigt werden dreißig erst vor kurzem wieder aufgetauchte weibliche Porträts und Aktdarstellungen.
Der Pinselstrich ist mit erfrischender Leichtigkeit und dennoch konzentriert durchgezogen. Jeder Strich sitzt. Das mache die Qualität der Arbeiten aus, betont Bormann. Der Drang, sich künstlerisch auszudrücken überwog den schmerzhaften Verlust der rechten Hand.
Es gibt Künstler, die mit der Nase zeichnen
„Die Sprache, die aus Fritz Berger herausdrängt, das ist eine künstlerische Sprache, die man nicht mit dem Schreiben vergleichen kann“, erklärt der Kurator, „der Körper hat ein Gedächtnis, er erinnert sich sozusagen daran, dass er einmal das Zeichnen mit Rechts gelernt hat. Wenn dann die künstlerischen Ströme wieder fließen, spielt das überhaupt keine Rolle mehr. Es gibt ja auch Künstler, die mit der Nase zeichnen“, fügt Bormann mit dem Hinweis auf den russischen Expressionisten Alexej von Jawlensky hinzu.
Durch ein Wunder überlebt
Der Sohn von Fritz Berger, der renommierte Tiroler Kameramann Christian Berger, erinnert sich an die Erzählungen seines Vaters. Der wäre bei einem Luftangriff 1941 beinahe gestorben. Ein Projektil streifte die rechte Hand und traf das rechte Auge. „Ein Glück, wenn man in diesem Fall überhaupt von Glück sprechen darf, war es, dass die Kugel nicht weiter in den Kopf eingedrungen ist“, erzählt Christian Berger, „mein Vater hat durch ein Wunder überlebt und verlor sozusagen nur die rechte Hand und das rechte Auge.“
Marionettenhafte Kontruktion als Lernhilfe
Bereits im Lazarett begann Fritz Berger das Zeichnen mit Links zu trainieren. Eine einfache Strickkonstruktion, die ähnlich wie bei der Bewegung von Marionetten funktioniert, unterstützte den Künstler bei seinen ersten Bemühungen. Der Strick wurde von der verstümmelten rechten ehemaligen Zeichenhand über den Rücken zur linken Hand geführt.
Dreidimensionales Sehen mit einem Auge
Erschwerend kam der Verlust des Auges hinzu. „Irgendwie hat es mein Vater geschafft, das dreidimensionale Sehen beim Zeichnen zu simulieren. In der Nähe ist es ihm schwer gefallen. Wenn er aus einem Glas trinken wollte, hat er manchmal daneben gegriffen. Autogefahren ist er nicht, dafür ist er oft stundenlang mit der Straßenbahn kreuz und quer durch Innsbruck gegondelt und hat sich mit vielen Menschen unterhalten. Er war ein lebenslustiger geselliger Typ und er hat nie über sein Handicap gejammert.“
Die Bewegung auf Papier bannen
Auch Emmi Berger, die Ehefrau von Fritz, war eine bekannte Erscheinung in Innsbruck. Die elegante Wienerin brachte nach dem Krieg eine moderne Form der Bewegungslehre nach Tirol. Emmi Berger unterrichtete Rhythmische Gymnastik. „Im Laufe der Jahre hat sie 14.000 Schülerinnen gehabt“, erzählt Sohn Christian, „einige sind ihr bis ins hohe Alter von 80 Jahren treu geblieben“. Die tänzerischen Bewegungen inspirierten den Künstler Fritz Berger zu seinen lebendigen Aktdarstellungen. „Wir sehen keine wild herum springenden Turnerinnen“, formuliert Ralf Bormann, „Berger ging es darum, das Potential zur Bewegung zu Papier zu bringen.“
Blick durchs Schlüsselloch
Sohn Christian wäre den Gymnastikstunden seiner Mutter gerne fern geblieben. Die Schülerinnen, die als Modelle für den zeichnenden Vater zu Hause ein und aus gingen, die hätten ihn allerdings schon früh fasziniert. „Das Aktzeichnen hat mich natürlich interessiert. Zum Glück hat´s ein Schlüsselloch in der Ateliertür gegeben“, schmunzelt Christian Berger.
Die künstlerische Arbeit der Eltern hätte ihn von klein auf geprägt, blickt der 75-jährige Christian Berger heute auf seine erfolgreiche Karriere zurück. Für seine Kameraarbeit zu „Das weiße Band“ wurde er 2010 für den Oscar nominiert. Zuletzt hat der Tiroler mit den beiden Hollywoodstars Angelina Jolie und Brad Pitt gedreht.
Zu Hause in der bescheidenen Wohnung am Innrain 85 in Innsbruck seien früher immer wieder Künstlerinnen und Künstler zu Besuch gewesen. Der Schauspieler Oscar Werner oder der Regisseur Axel Corti waren mit den Eltern befreundet. „Die Gespräche haben mich geprägt“, erzählt Christian Berger, „das genaue Hinschauen habe ich von meinem Vater gelernt. Er hat leidenschaftlich fotografiert. Schon damals begann ich mich für Bilder zu interessieren. Auch im Alter trainiere ich täglich meine Augen, wie Musiker ihre Finger etwa beim Klavierspielen fit halten“, verrät Christian Berger.
Im Stadtraum präsent
Der bildende Künstler Fritz Berger ist heute nur noch Insidern ein Begriff. Zu Unrecht, meint der Kurator Ralf Bormann, der vor kurzem einen Großteil des Nachlasses für das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum übernommen hat. Die aktuelle Ausstellung im Grafischen Kabinett zeigt nur einen kleinen Teil aus dem umfassenden Oeuvre. Anlässlich der beiden Olympischen Spiele in Innsbruck zeichnete Fritz Berger Karikaturen, er entwarf Bühnenbilder und hinterließ zahlreiche Ölgemälde. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen Max Weiler oder Paul Flora geriet Berger jedoch in Vergessenheit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg half die Aktion „Kunst am Bau“ vielen Tiroler Künstlern, sich finanziell über Wasser zu halten. Zwei Prozent der Bausumme sollte damals in Kunst investiert werden. Fritz Berger schuf mehrere monumentale Arbeiten in unterschiedlichen Techniken, Wandmalereien, Kachelmosaike oder in den Beton geritzte Sgraffiti. Zahlreiche Arbeiten sind bis heute in der Stadt zu sehen, einige wurden im Zuge von Sanierungen bereits zerstört. Mitarbeiter des Denkmalamtes sind bemüht, die wertvollen Dokumente der Nachkriegszeit und somit auch die Erinnerung an Fritz Berger zu erhalten.