Jamtalferner Silvretta Frühjahr 2019
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Wissenschaft

Gletscher schmelzen weiter

Auch wenn es vereinzelt Anzeichen für eine leichte Entspannung für die österreichischen Gletscher gibt, allzu optimistisch fällt der Gletscherbericht für den Zeitraum 2018/2019 nicht aus. Er wurde am Freitagvormittag vorgestellt.

Das vergangene Gletscherjahr sei erneut ungünstig verlaufen. Es reihe sich nahtlos in eine langanhaltende Periode ein, das sei ein Effekt des herrschenden Klimawandels, erklärte einer der beiden Leiter des Alpenverein-Gletschermessdienstes, Gerhard Lieb von der Universität Graz.

Gletschermessungen lange vor Corona

Die 24 Gletschermesser und ihre etwa 50 Begleitpersonen waren im vergangenen Jahr zwischen Mitte August und Ende Oktober unterwegs. Ihre wissenschaftlichen Erhebungen direkt auf den Gletschern waren also lange vor der Corona-Krise und ihren Ausgangsbeschränkungen abgeschlossen. In die anschließend akribische Auswertung der Daten an den Universitäten in Innsbruck und Graz flossen die Informationen von allen 92 österreichischen Gletschern ein.

Gletscher weiter auf dem Rückzug

Im Forschungszeitraum 2018/2019 sind 86 von 92 Gletschern zurückgegangen. Im Gegensatz zu früheren Jahren blieben fünf Gletscher gleich. Einer, nämlich das Maurerkees in den Hohen Tauern, wies sogar ein minimales Plus auf. Allzu großen Optimismus bremste Gerhard Lieb aber gleich wieder ein: „Es fand nicht wirklich ein aktiver Vorstoß statt, es war mehr ein nach vorne Kippen des Eisrandes.“ Der Schein trügte also.

Einer der beiden Leiter des Alpenverein-Gletschermessdienstes Gerhard Lieb, Universität Graz
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Einer der beiden Leiter des Alpenverein-Gletschermessdienstes Gerhard Lieb vom Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz

Gletscher hungern nach Schnee und Eis

Man mag fast an ein lebendiges Wesen denken, wenn die Gletscherforscher vom derzeitigen Zustand der Eisriesen sprechen: „Die Gletscher wirken eingefallen, man sieht es ihnen optisch an, dass sie gletscherkundlich gesehen, schlecht ernährt werden.“ Die Forscher haben auch ausapernde Felsstufen, fortschreitenden Eiszerfall, zunehmende Schuttbedeckung oder in Schollen zerbrochenes Eis festgestellt.

Lichtblick Hohe Tauern

Alle stationär gebliebenen Gletscher sind in den Hohen Tauern zu finden. „Das ist ein Signal dafür, dass die Bedingungen im Osten der österreichischen Alpen etwas gletschergünstiger waren als im Westen,“ erklärte Andreas Kellerer-Pirklbauer als zweiter Leiter des ÖAV- Gletschermessdienstes. "Auffällig dabei ist, dass alle stationären Gletscher nicht eng beieinaderliegen, sondern verteilt auf die gesamten Hohen Tauern zu finden sind.

Ein Gletschermesser des ÖAV bei der Arbeit
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Gletschermesser bei der Arbeit auf einem Gletschertisch am Guslarferner (Ötztaler Alpen) im Sommer 2019

Die stärksten Rückgänge in Tirol und Vorarlberg

Der stärkste Rückgang ist mit -86,9 Metern am Bärenkopfkees (Glocknergruppe, Salzburg) gemessen worden, gefolgt von -86,7 am Ochsentaler Gletscher (Silvrettagruppe, Vorarlberg) und am Schweikertferner (Ötztaler Alpen, Tirol) mit -86,3 Metern.

Für die Zusammenstellung des heurigen Gletscherberichts langten bei der Leitung des Gletschermessdienstes 19 Berichte ein. Die Ergebnisse wurden im Gletscherbericht für 18 Teilgebiete, die sich auf zwölf Gebirgsgruppen verteilen, dargelegt.

Ja, wir brauchen die Gletscher

„Auf die Frage ob wir Gletscher brauchen, habe ich mir schon vor der Corona-Krise ein paar rhetorische Gegenfragen überlegt: Brauchen wir Picasso, brauchen wir die Notre Dame, Umgangsformen, Mozart oder Wiener Walzer? Im Moment ist dies alles ja wirklich nicht verfügbar. Und das vermissen wir jetzt plötzlich sehr – auch Social Media kann das nicht ersetzten," betonte Ingrid Hayek, Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins im Rahmen der digitalen Videopräsentation des aktuellen Gletscherberichtes am Freitag.