Neunzig von hundert Jugendlichen können laut Martin Fuchs, leitendem Oberarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am LKH Hall, kompetent mit digitalen Medien umgehen. Sieben seien an der Schwelle zu einem suchtartigen Verhalten, drei von hundert Kindern und Jugendlichen seien süchtig. Damit liege man in Tirol im europäischen Durchschnitt.
Geschlechterunterschiede bei den Süchten
Buben würden laut Kathrin Sevecke, der Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Hall und Innsbruck, eher abhängig von Computerspielen sein. Wobei zwischen gewalthaltigen Computerspielen und tatsächlichen Gewalthandlungen absolut kein Zusammenhang bestehe. Bei Mädchen hingegen würde eher die Kommunikation über Soziale Medien zur Sucht werden. Insgesamt zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen vermehrt auch Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Medien haben.
Entzugserscheinungen wie bei anderen Suchterkrankungen
Erste Anzeichen einer Sucht sind dann zu erkennen, wenn andere Aktivitäten in den Hintergrund rücken – wenn die Betroffenen ihre Schulaufgaben nicht erledigen oder sich nicht mehr mit Freunden treffen. Es könne sogar zu Entzugserscheinungen kommen, die auch bei anderen Süchten auftreten: Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit und Schlaflosigkeit sind eine Reihe an Symptomen. Sevecke weißt außerdem darauf hin, dass es ein Indikator sein kann, wenn die Zeit aus den Augen verloren wird: Wenn man übersieht, ins Bett zu gehen oder in den Bus einzusteigen, weil man vom Medienkonsum eingenommen ist.
Eltern haben Vorbildwirkung
Die Experten sehen die Kindheit als Grundlage für spätere Suchterscheinungen. Deshalb sei es laut Martin Fuchs wichtig, insbesondere bis zu einem Alter von acht Jahren klare Akzente zu setzen: Zeitliche Regeln zu vereinbaren und Grenzen beim Medienkonsum zu setzen, seien dafür nötig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, Kindern unter zwei Jahren gar keinen Medienkonsum zu gewähren. Außerdem sei es wichtig, mit den Kindern zu reden, um zu wissen, was sie am Smartphone und Laptop machen.
Jene Patientinnen und Patienten, die in der Psychiatrie behandelt werden, seien nur die Spitze des Eisbergs, meint Martin Fuchs. Die Schwierigkeit für Eltern sei häufig, die Kinder überhaupt aus dem Zimmer heraus in ärztliche Behandlung zu bekommen. Eine erste Anlaufstelle können das InfoEck vom Land Tirol oder die Jugendrotkreuz-Suchtprävention sein.
Expertinnenkongress in Innsbruck
300 Expertinnen und Experten treffen sich im Zuge des 6. Kinder- und Jugendpsychiatrie Kongresses am 17. und 18. Jänner in Innsbruck, um über die Chancen und Gefahren der digitalen Welt für Kinder und Jugendliche zu sprechen. Neben dem frühkindlichen Medienkonsum werden auch Behandlungsmöglichkeiten besprochen. Positive Akzente setzt man mit der Fragestellung, inwiefern Virtual Reality als Therapie eingesetzt werden kann.