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Die Kämpfer beim Ötztaler Radmarathon

Der Rekord von unter sieben Stunden ist am Sonntag beim Ötztaler Radmarathon geknackt worden. Viele der Hobby-Radfahrer sitzen für die Strecke aber fast doppelt so lange im Sattel. Motiviert werden sie dabei von einem Team im Besenwagen, die drei Fahrer versuchen alle Radler sicher ins Ziel zu begleiten.

Nach zehn Stunden im Sattel ist Schluss für Michael aus dem Saarland. Er darf nicht weiterfahren. „Der Saft ist aus“, zeigt sich der Deutsche einsichtig. Die unangenehme Botschaft, dass der Traum des Ötztaler Radmarathons einen Pass und etwas mehr als 30 Kilometer vor dem Ziel geplatzt ist, hat ihm das Team aus dem Besenwagen überbracht. Sie haben Michael bereits mehrere Stunden lang begleitet, und seinen Kampf um jeden Meter beobachtet. Auch wenn er nicht ins Ziel kommt: Für das Team aus dem Besenwagen ist der Radfahrer trotzdem ein Held.

Der Besenwagen nach 9,5 Stunden
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Wenn die Spitzenfahrer schon längst am Ziel sind, beginnt für viele der Hobbyradfahrer nochmal ein langer Kampf

Ein eingespieltes Team als Schlusslicht

Schon um 2.00 Uhr früh beginnt für das Besenwagen-Team der Tag. Die Brüder Manuel und Philipp Ribis und Joachim Kuen sind seit Jahren der Schlusswagen beim Ötztaler Radmarathon. Dabei haben sie schon eine Routine: Noch in der Nacht besichtigen sie die Strecke, um sicherzugehen, dass keine Steinschläge oder umgefallenen Bäume eine Unterbrechung oder Gefahr darstellen. Dann helfen sie beim Aufbau im Startgelände. Nach einem Frühstück heften sie sich an die Fersen der Radfahrer. Sie sind aber nicht, wie die meisten Fotografen und Kameraleute, vorne beim Spitzenfeld zu finden, sondern bei den letzten Fahrern.

„Da spielen sich wahre Dramen ab“, berichtet Manuel Ribis von seinen Erlebnissen in den letzten Jahren. Viele würden bis zur letzten Sekunde kämpfen, auch wenn sie ihre Beine kaum mehr tragen. Einige Radfahrer musste das Besenwagen-Team fast vom Rad werfen, um sie vom Weiterfahren abzuhalten. Denn wegen der drohenden Dunkelheit und möglichen Wetterumstürzen dürfen nicht alle bis ins Ziel weiterfahren. Je später es wird, desto mehr müssen die Radfahrer zittern, ob sie es ins Ziel schaffen.

Das Besenwagen-Team sperrt die Strecke
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Das Besenwagen-Team muss irgendwann „Stop“ sagen

Emotionale Entscheidungen

Rennleiter Joachim Kuen entscheidet darüber, wann der jeweilige Kontrollpunkt geschlossen wird, danach müssen die Radfahrer im Bus weiterfahren. Beim Jaufenpass war heuer für viele der Hobby-Sportler Schluss. Ausnahmen gibt es keine, auch wenn die Radfahrer das immer wieder gerne hätten, berichtet Kuen. Sie würden nach Ausreden suchen oder vorgeben, ihn nicht zu verstehen. Ein Radfahrer habe ihm sogar einmal Prügel angedroht, so Kuen. Das müsse man aber schmunzelnd hinnehmen, im Eifer des Rennens würden die Gefühle eben oft sehr hoch schlagen. Viele Teilnehmer hätten ein Jahr oder sogar mehrere Jahre auf den „Ötztaler“ trainiert. Kuen kennt die Situation der Teilnehmer genau, er selbst ist bereits fünfmal beim Ötztaler Radmarathon mitgefahren.

Am Timmelsjoch setzte starker Regen ein
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Am Timmelsjoch schüttete es wie aus Eimern

Nur kurze Pausen für Radler und Besenwagen

Nach vielen Stunden auf den Beinen gibt es für das Besenwagen-Team bei der Labestation Schönau eine kurze Pause. Da stärken sich viele Teilnehmer noch einmal, bevor es nach gut elf Stunden im Sattel 800 beinharte Höhenmeter auf das Timmelsjoch hinaufgeht. An sich schon eine große Herausforderung für den inneren Schweinehund – und genau da begann es am Sonntag wie aus Eimern zu regnen. „Jetzt werden wir geduscht“, nahm es ein Radfahrer mit Humor.

Die Radfahrer lassen sich vom Wetter nicht die Laune verderben
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Die Radfahrer lassen sich das Rennen vom Wetter nicht vermiesen

Zuseher waren keine mehr in Sicht, also musste das Besenwagen-Team einspringen und die Teilnehmer anfeuern, motivieren und auch immer wieder ein wenig anschieben. „Die Radfahrer, die am Schluss kommen, das sind für mich die absoluten Helden“, erklärt Manuel Ribis. Diese allerletzten Radfahrer hätten sein Herz erobert, er selbst würde sich den „Ötztaler“ nicht antun. Das unterstützen und begleiten der Teilnehmer mache ihm aber viel Spaß. „Hut ab vor jedem, der sich das 11, 12, 13 Stunden lang antut“, erklärte Ribis.

Mit Motivation ins Ziel

Am Timmelsjoch oben war dann Zeit für viel Freude: Alle verbliebenen Teilnehmer hatten es rechtzeitig auf den Pass hinauf geschafft. Damit durften sie alle die Abfahrt ins Ziel antreten. Der letzte Ankömmling am Timmelsjoch war der Osttiroler Martin Brugger. Er zeigte sich am Timmelsjoch oben überwältigt: „Es ist unglaublich, dass ich heute noch finishen darf“, strahlte er. Er habe eigentlich damit gerechnet, dass er es nicht schaffe. Schon am Jaufenpass sei er sehr müde gewesen, danach sei ein heftiger Muskelkater dazugekommen. Aber die Männer vom Besenwagen hätten ihn dazu motiviert, weiterzufahren. Jetzt sei er überwältigt, am Weg aufs Timmelsjoch hinauf habe er sogar ein wenig geweint, strahlte der 62-Jährige.

Das Besenwagen-Team macht im Ziel ein Foto mit dem letzten Finisher
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Im Ziel gibts ein gemeinsames Foto vom letzten Finisher und dem Besenwagen-Team

Zieleinfahrt mit Gänsehaut

Als letzter Fahrer erhielt Martin Brugger dann die schon traditionelle Begleitung des Besenwagens, der Polizei- und Rettungsfahrzeuge. Im Ziel zeigte sich dann, dass es beim Ötztaler Radmarathon nicht nur um den Sieger geht, sondern um alle die sich durchkämpfen. Zahlreiche Zuseher applaudierten Brugger, als er nach knapp 13,5 Stunden im Ziel ankam.

Die Einfahrt ins Ziel ist auch für die drei Männer des Besenwagens ein bewegendes Erlebnis. „Man bekommt Gänsehaut“, erklärte Joachim Kuen, er könne diesen Abschluss nach der stundenlangen Angespanntheit und Konzentration nicht beschreiben. Nach einigen organisatorischen Erledigungen geht auch für das Besenwagen-Team, nach knapp 24 Stunden auf den Beinen, der Tag zuende. Während die Radfahrer nächstes Jahr wieder bei der Verlosung um Startplätze zittern müssen, ist das Besenwagen-Team auf jeden Fall dabei.