Entlang der Südtiroler Weinstraße reihen sich die Weinreben schön geordnet nebeneinander. Doch bei St. Pauls in Eppan wird diese bäuerliche Gliederung auffällig von einem wild wachsenden Hang unterbrochen. Dieses Grundstück gehört Kurt Hans von Wohlgemuth, der im Südtiroler Überetsch als Einsiedler lebt.
Auf seinem Anwesen lebt der 76-jährige Eppaner seit über drei Jahrzehnten als Aussteiger ohne Dach über dem Kopf. Da er jeden Besitz aus Überzeugung ablehnt, verzichtet er bewusst auf ein Haus oder eine Wohnung.
Die tiefen Falten im Gesicht spiegeln seinen Charakter wider: überzeugt von dem was er tut und kompromisslos, wie er lebt. Kurt Hans von Wohlgemuth ist abgehärtet. Seit Jahrzehnten lebt er Sommer wie Winter auf einem geerbten Grundstück und schläft in seinem selbst gebauten Unterschlupf. Seine Welt sei anders, sie stehe ein wenig auf dem Kopf, erzählt er. Während sich andere zum Schlafengehen ausziehen, ziehe er sich in der Nacht an, damit er es warm habe, bei tiefen Temperaturen sehr dick, wie ein Inuit.
Kurt ist immer barfuß unterwegs, außer im tiefsten Winter. Da schlüpfe er in seine Stiefel, die mit Gras gefüttert werden. Neben seinem Zelt stehen auf einem kleinen wackeligen Tisch Schraubgläser mit Essen. Er koche nie, sein Cousin versorgt ihn mit Essensresten aus einem Restaurant. Ob er sich wäscht, so lächelt er, danach werde er oft gefragt, aber das mache er nie.
Täglich grüßt das Murmeltier
Der Lebenskünstler folgt einem geregelten Tagesablauf, das sei ihm wichtig. Jeden Tag beginnt er mit Morgensport und läuft barfuß zwischen den Weinreben.
Wenige Meter neben seinem Zelt hat er ein knapp vier Meter tiefes Loch gegraben. Oft wühlt er hier stundenlang. Insgeheim hoffe er hier Gold zu finden, obwohl er zu Geld und Reichtum ein zwiespältiges Verhältnis habe. „Ohne geht es leider nicht“, betont er wiederholt. Kurt lebt nicht nur im Hier und Jetzt, sondern macht sich auch Gedanken über sein künftiges Leben und hat vorgesorgt. So soll eine große alte Kiste, die sich auf seinem Anwesen befindet, zu seinem Sarg werden, wenn es soweit ist. Wenn möglich, möchte er in seinem wilden Garten begraben werden, aber es eile nicht.
Der Südtiroler war als 18-Jähriger nach Bayern gezogen und hat dort viele Jahre als Gärtner gearbeitet. In den 1980er Jahren ist er auf Wunsch seiner Mutter nach Südtirol zurückgekommen, um ihr bei der Arbeit zu helfen. Nach Streitereien mit seinem Stiefvater habe er sich entschieden, als Einsiedler auf seinem Grundstück weiterzuleben. „Der Gehorsam war unerträglich, und das wollte ich beenden“, klagt er. Als er das Land geerbt hat, habe er angefangen Bäume und Pflanzen nach der Lehre der Permakultur anzubauen. Auf diese nachhaltige Art und Weise möchte er der Natur etwas zurückgeben.
Der „wilde Kurt“ ist in Südtirol kein Unbekannter. Regelmäßig besuchen ihn interessierte Menschen. Er führt sie durch sein wildes Reich und genießt deren Aufmerksamkeit. Ein großes Ziel habe er noch, er möchte „der älteste Mensch der Welt werden“, wie er erzählt. Mit diesem Wunsch blickt der Südtiroler wohl in eine lange und positive Zukunft.