Leiharbeit: Miese Praxis gefährdet Arbeitsmodell

Gesetzwidrige Unterbezahlung und falsch berechnete Löhne haben der Leiharbeit negative Schlagzeilen gebracht. Doch die Zeitarbeit hat nicht nur Schwächen. Eingeführt, um Produktionsspitzen abzudecken, steht und fällt die Leiharbeit damit, wie sie praktiziert wird.

Parallel zum verstärkten Bedarf der Industrie an Leiharbeitern wurde deren gesetzliche Absicherung verstärkt und ihr rechtlicher Status verbessert. Höhere Löhne sollen eine erschwerte Lebensplanung und die finanzielle Unsicherheit durch drohende „Stehzeiten“ in der Arbeitslosigkeit kompensieren.

Was manche Leiharbeiter schätzen

Nicht alle Zeitarbeiter finden diese Beschäftigungsform unangenehm. Manche schätzen die Vielfalt der Betriebe, in denen sie eingesetzt werden, als wohltuende Abwechslung. Ebenfalls auf der Liste der Vorteile verbuchen Leiharbeiter ihren Lohn, der – wenn er korrekt berechnet wird - meist höher als der vergleichbarer Arbeiter ist.

Gesetzliche Grundlage

Zwei Arbeitsverträge kommen in Frage – der Kollektivvertrag (KV) der jeweiligen Branche und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz. Angewandt muss jener Vertrag werden, bei dem der Leiharbeiter finanziell besser aussteigt. Dazu kommen anteilige Prämien oder Zulagen.

Eine Novellierung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes brachte 2013 außerdem einen Sozial- und Weiterbildungsfonds, über den Leiharbeiter einen Zuschuss für Fortbildungen erhalten können. Aus dem Fonds können weiters ehemalige Arbeiter einen Zuschuss erhalten.

Gesetz verbietet Benachteiligung

Leiharbeiter müssen im Beschäftigerbetrieb der Stammmannschaft gleichgestellt sein, auch sie haben Anspruch auf ein günstiges Kantinen-Essen oder z.B. den Betriebskindergarten. Unter Umständen, nämlich wenn sie sehr lange als Zeitarbeiter in ein- und demselben Betrieb arbeiten, muss vom Beschäftigerbetrieb für sie auch eine Pensionsvorsorge angelegt werden.

Die Schwächen und schwarze Schafe

In die Schlagzeilen geraten ist Zeitarbeit zuletzt wegen systematischer Unterbezahlung und vorenthaltener Prämien. Die Gewerkschaft legte z. B. offen, dass von Randstad beschäftigte Leiharbeiter um bis zu 600 Euro monatlich geprellt wurden. Die absichtlich falsche Einstufung – z.B. als ungelernter statt als angelernter Arbeiter, als angelernter Arbeiter statt als Facharbeiter – ist ein häufiges Problem.

Die Metaller Gewerkschaft Pro-Ge kennt weitere üble Praktiken: Manche Überlasser würden Leiharbeitern Verträge mit haarsträubenden Klauseln unterjubeln, z.B. dass der Leiharbeiter nicht hintereinander in ähnlichen Betrieben arbeiten dürfe oder dass er bei der Auflösung des Dienstverhältnisses den Arbeitgeber-Anteil selbst bezahlen müsse.

Zeitarbeit verändert Arbeitskultur

Als problematisch beurteilt die Gewerkschaft, dass Betriebe mit Leiharbeitern die Stammbelegschaft unter Druck setzen. „Der Zeitarbeiter im selben Betrieb führt den Stamm-Mitarbeitern deutlich vor, dass sie leicht ersetzbar sind“, so Bernhard Höfler, Sekretär der Pro-Ge in Tirol. „Betriebe sparen an Stammbelegschaft und trennen sich leichter von eigenen Mitarbeitern, wenn sie diese durch Leiharbeiter ersetzen können“, so der Gewerkschafter.

Zahlen und Branchen:

In Tirol arbeiten ca. 5.700 Männer und Frauen als Zeitarbeiter. Beschäftigt sind sie vor allem in der Metall-, Chemie-, Glas-, Papier- und Holzindustrie.

Außerdem etabliere die Zeitarbeit eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. „Dadurch, dass man eine Dienstleistung kauft, können Betriebe die soziale Verpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern leicht abstreifen.“

Viel zu oft würde aus Leiharbeit, die zur Abdeckung einer ungeplanten kurzfristigen Produktionsanforderung gedacht sei, eine Dauerlösung, so die Gewerkschaft weiter.

Leasing delegiert Personalsuche an Verleiher

Die Wirtschaft schätzt Leiharbeit mittlerweile als „normale Beschäftigung“. Arbeitszeitregelungen seien nicht flexibel genug, um das Problem ungeplanter Produktionsspitzen anders zu bewältigen, sagt Bernhard Achatz, Leiter der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht in der Wirtschaftskammer. Den Vorwurf von Lohndumping weist Achatz zurück, dafür drohten Geldstrafen.

Positiv für Betriebe sei, dass Personaldienstleister Unternehmen die mühsame Suche nach geeigneten Fachkräften abnähmen. Unternehmen könnten eine Fachkraft zunächst als Zeitarbeiter beschäftigen und später langfristig im Betrieb übernehmen, so Achatz. In den Augen der Wirtschaft gefährden Zeitarbeiter nicht die Stammmannschaft, sondern schützen diese. Wenn die Produktionsspitze bewältigt sei, verlassen die Zeitarbeiter das Unternehmen, nicht die Stammmannschaft, so Achatz.

„Viele Dienstreisen bringen viele Diäten“

Sascha Prackwieser z.B. schätzt die Vorteile der Leihahrbeit. Der 20-jährige Elektrikergeselle arbeitet für einen Tiroler Personalverleiher, seine Arbeitsorte lagen bisher zwischen Schwaz und Zirl, Innsbruck und Bayern.

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„Man lernt verschiedene Betriebe kennen und nimmt von jedem das Beste mit“, berichtet Prackwieser. „Mit den Diäten und Zulagen schneide ich finanziell besser ab als andere Elektrikergesellen.“ Derzeit absolviert er auf Firmenkosten und während der Arbeitszeit eine zusätzliche Ausbildung zum Elektroniker.

„Eingeschüchtert und im Krankenstand gekündigt“

Markus E. war einer jener Leiharbeiter, bei dem alles schief ging, was schief gehen kann. Der Mechaniker wurde vom Verleiher falsch eingestuft, um Prämien geprellt, vorgestern in einem Metallbetrieb, gestern in der Lebensmittelindustrie eingeteilt. Statt der angekündigten Fixanstellung wurde er von Abteilung zu Abteilung geschoben, die Arbeitskleidung musste er selbst mitbringen.

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Dafür, dass ihn die Chefin des Überlassungsbüros ab und zu zu einem Betrieb abseits seines Wohnortes brachte, wurden ihm unangekündigt 200 Euro vom Lohn abgezogen. Am zweiten Tag Krankenstand wurde er – rechtswidrig – entlassen. In seinem Vertrag fand sich eine Klausel, wonach er Strafe zahlen müsste, wenn er sich über seine Rechte informiert. Heute prozessiert E. mit Hilfe des ÖGB Tirol um rund 8.500 Euro vorenthaltenen Lohn.

Praxis entscheidet

Zeitarbeit ist eine Beschäftigungsform für Ausnahmen. Was Betriebe und manche Leiharbeiter als Chance betrachten, birgt Gefahren für die Arbeitskultur selbst. Die Bewertung der Leiharbeit steht und fällt damit, wie ihre tägliche Praxis aussieht - und ob sie auf jene Stoßzeiten begrenzt bleibt, für die sie eingeführt wurde.

Ulrike Finkenstedt, tirol.ORF.at

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