Meister der krummen Linie wird 80

Der Tiroler Künstler Reiner Schiestl pendelt zwischen Innsbruck und seiner zweiten Heimat Spanien. Wie technisch versiert der für seine Aquarelle bekannte Künstler ist, zeigt eine Retrospektive mit Werken aus 60 Jahren in Innsbruck.

Reiner Schiestl hat die trickreiche Technik des Aquarellierens im Freien perfektioniert. Die Sommer verbringt der 80 jährige Tiroler in Zentralspanien. Im kleinen kastilischen Dorf Medinaceli 150 km nordöstlich von Madrid hat er sich ein Refugium geschaffen.

Reiner Schiestl

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Die Landschaft in Zentralspanien malt Schiestl immer wieder neu

Riskante Technik

Auch bei brütender Hitze arbeitet er im Freien direkt vor seinen Landschaftsmotiven. Einen Künstler auf dem Feld mit Staffelei und Pinsel beim Malen zu sehen, sei für die Bewohner dieser einsamen Gegend bis heute sehr ungewöhnlich, erzählt Schiestl.

Der Tirol heute Beitrag ist bis zum 10. März in der TVthek abrufbar

„Wenn man das Aquarellieren so betreibt wie ich, also wirklich mit Aqua (latein. Wasser) experimentiert und die freie Form sucht, dann ist das eine ziemlich riskante Technik. Alles kann in die falsche Richtung davon rinnen und voll daneben gehen. Wenn es richtig fließt, dann ist es etwas sehr Schönes.“

Geierfeder als Zeichenutensil

Das für ihn entworfene Holzhaus im Innsbrucker Kirschental ist wie eine zweite Haut für den Künstler. In dem großzügigen, lichtdurchfluteten Atelier laboriert er mit ungewöhnlichem Werkzeug. Die malerische, krumme Linie schätze er mehr als geometrisch exakt gezogene Striche.

Reiner Schiestl

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Schiestl liebt die „Technik des gelenkten Zufalls“

„Ich zeichne mit vielen natürlichen Mitteln, mit einem Palmwedel oder mit dem Stiel eines Sauerampfers. Einmal ist es mir sogar geglückt, in der spanischen Meseta einen toten Geier zu finden. Schräg zugeschnitten eignen sich Geierfedern hervorragend zum Zeichnen. Dazu bilde ich mir dann auch noch ein, die Kraft des großen Vogels würde in die Zeichnung mit einfließen.“

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Die Vogelfeder entwickelt beim Zeichnen manchmal ein Eigenleben

Frauenkörper wie eine Landschaft

In der aktuellen Schau in der Innsbrucker Galerie Maier sind die Werke keineswegs chronologisch gehängt. Die feinen Aktzeichnungen aus Schiestls Wiener Akademiezeit in den frühen 60er Jahren waren noch nie öffentlich zu sehen. Sie sind im legendären Abendakt von Herbert Boeckl entstanden. Dieser Meister der österreichischen Klassischen Moderne hat viele junge Künstler beeinflusst.

Reiner Schiestl

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Liegender weiblicher Akt, Bleistiftzeichnung, 1962

Schiestl wurde 1965 mit dem begehrten Abendaktpreis ausgezeichnet. „In seinem typischen Kärntner Dialekt hat Boeckl uns damals empfohlen, wir sollten eine Frau wie eine Landschaft zeichnen und eine Landschaft so darstellen wie einen Frauenakt“, erinnert sich Schiestl an den Professor an der Wiener Akademie bildenden Künste.

Mehrere Aufenthalte in New York inspirierten den jungen Künstler zu Beginn der 70er Jahre. In Wien stellte er damals fein ziselierte Radierungen von Stadtansichten aus. Das morbide Großstadtleben faszinierte den Tiroler. Damals verglich Schiestl New York mit einem „Stück Fleisch voller Fliegen“.

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Schotterwerk in New York, Buntstiftzeichnung, 1971

Sein psychologisches Feingefühl zeigt sich in zahlreichen Porträts von Kindern. Auch literarische Vorlagen etwa von François Villon oder Alfred Jarry veranlassten den passionierten Zeichner zu eigenständigen Interpretationen.

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Die Ausstellung in der Innsbrucker Galerie Maier zeigt viele verschiedene Techniken

Der Papierkorb als Werkzeug

In der Geburtstagsschau sind großformatige Acrylgemälde, mit fantasievollen Mischwesen dekorierte Teller oder zarte Papierfiguren zu sehen. Diese Objekte setzt Schiestl aus misslungenen, zerschnittenen Aquarellen neu zusammen. Denn der Papierkorb sei auch ein wichtiges Werkzeug für ihn, sagt der Künstler mit einem Augenzwinkern.

Reiner Schiestl

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Mit der Technik der Lithographie, dem Steindruck will der Vielseitige, der am 10. März seinen 80. Geburtstag feiert, noch weiter experimentieren. Ein großformatiges Mosaik würde er auch gerne gestalten. Nur die digitale Technik, die reizt ihn nicht.

Teresa Andreae, tirol.ORF.at