Gelungener Lückenfüller in Innsbruck
Im Innsbrucker Stadtteil Wilten nahe dem Wiltener Platzl entdeckten vier Bauherren einen kleinen, freien Fleck in der zweiten Reihe, der als unbebaubar galt. Im Norden grenzt der Grund direkt an einen Supermarkt, die Zufahrt ist schmal und schwer befahrbar.
Obwohl viele Faktoren dagegen sprachen, kauften die zwei befreundeten Paare die L-förmige Parzelle im Jahr 2014. Das war eine mutige Entscheidung, denn damals war keineswegs sicher, ob ein Neubau in der „Lücke“ jemals möglich sein würde.

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Der Blick von oben zeigt, wie jeder Quadratmeter genutzt worden ist
Wand an Wand mit einem Supermarkt
Mit Hartnäckigkeit und nach mehreren Gutachten fand die Architektin und Bauherrin Barbara Poberschnigg eine Lösung, die es erlaubte, den Neubau direkt an die Wand des Supermarktes anzudocken. Laut Tiroler Bauordnung sei es möglich, Gebäude in derselben Höhe, derselben Länge und derselben Art innerstädtisch direkt aneinander zu bauen, fand sie heraus.
Da ein Supermarkt nicht nur aus Lager- sondern auch aus Arbeitsräumen bestehe, in denen sich Menschen aufhalten, müsse man auch Wohnraum direkt an einen Verkaufsraum anbauen können, erläutert die Architektin ihre Argumentation gegenüber der Innsbrucker Stadtplanung.

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Architektin Barbara Poberschnigg hat intensiv recherchiert
Form und Material reagieren auf die Umgebung
Die Wahl von Holz als Baumaterial sei für sie keineswegs ideologisch, betont die Architektin. Für die Konstruktion aus Holzfertigteilen habe sie sich aufgrund der klein strukturierten innerstädtischen Umgebung entschieden. An einem steilen Berghang hätte sie auch mit Beton gearbeitet.
In der Nachbarschaft von charmanten, alten Villen und kleinen Gewerbebetrieben würde sich der mit dunkelbraun geölten Lärchenlatten verkleidete Baukörper weniger in den Vordergrund drängen, als ein hellgrauer Betonbau. Die Konstruktion aus Fichtenholzfertigteilen sei auch durch die eingeschränkte Zufahrtsmöglichkeit für Baufahrzeuge logistisch von Vorteil gewesen.

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Durch unregelmäßig gesetzte Fensteröffnungen und Balkone wird die Fassade aufgelockert
Keine Kiste
In der Formgebung orientierte sich die Planerin an der maximal bebaubaren Fläche von 150 m² und an den gesetzlichen Abstandsbestimmungen. Sie wollte keinen „kompakten Riegel“ entwerfen, sondern zwei originell geformte, vielwinkelige Häuser. Die Fassade wird durch wechselnde Vor- und Rücksprünge gegliedert und durch Balkone aufgelockert. Die Fensteröffnungen sind so gesetzt, dass gerahmte Ausblicke entstehen, etwa auf den malerischen Kirschbaum im Garten.

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Die unregelmäßige Dachlandschaft reagiert auf die Zacken der Innsbrucker Nordkette
Außen dunkel - innen hell
Im Inneren wurden die sichtbaren Flächen aus Fichtenholz mit einer weißen Kalklasur gegen das Vergilben gestrichen. Im linken der beiden Häuser mit jeweils 125 m² Wohnfläche lebt die Architektin mit ihrem Mann. Beim Innenausbau haben die beiden viel selber gemacht, die Stiegen eigenhändig gebaut und auch die meisten Möbel, bis auf den zentralen Esstisch, selbst gefertigt.

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Die Lichtführung ist geschickt gelöst, sodass die tiefen Räume von Licht durchflutet werden
Bauen als Beziehungstest
Das gemeinsame Handwerken sei eine Herausforderung gewesen, erzählt Poberschnigg. „Wenn die Beziehung das Bauen überdauert, dann kann es nicht mehr grob fehlen. Ich bin sehr genau, aber mein Mann ist es Gott sei Dank auch. Bei uns zählen die Millimeter. Wir mussten uns immer wieder einbremsen und uns daran erinnern, dass es Holz ist!“ Der Baustoff Holz arbeitet bekanntlich weiter und so leben die Bewohner ganz natürlich mit immer wieder neu auftretenden Rissen in den Oberflächen.

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Das Atrium ist ein verbindendes Element zwischen den beiden Häusern
Das im Norden liegende Atrium eröffnet die Möglichkeit, mit den Bewohnern des Nachbarhauses Kontakt aufzunehmen, jedoch ohne ihnen in die Suppe zu schauen. „Das Atrium ist bewusst als Kommunikationsebene eingebaut. Wir sind vier Freunde und verstehen uns gut. Die Öffnungen sind so gesetzt, dass wir uns nicht gegenseitig frontal beobachten aber man merkt, dass der andere da ist und das ist schön.“

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Die Dachlandschaft ist aus unterschiedlichen Dreiecken und Trapezen geformt
Das Haus als Spiegel der Persönlichkeit
Nicht alle Architekten bauen für sich selbst, weil das Projekt dann auch als gebaute Visitenkarte gesehen werden könnte. Das sieht Poberschnigg gelassen: „Der Bau gibt viel von mir preis. Man sieht die Ehrlichkeit im Umgang mit puren Materialien, die Liebe zum Detail und vielleicht auch meine Liebe zur Einfachheit.“

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Die Bauherren taten alles dafür, um in dem liebgewonnenen Stadtteil Wilten, in dem sie arbeiten, auch zu wohnen.
Die vierköpfige Jury für den Holzbaupreis Tirol 2019 hebt die gelungene Nachverdichtung in der baugrundarmen Stadt Innsbruck hervor: „Perfekt in den Bauplatz eingefügt, zeigen sich die zwei Häuser in sauberer Ausführung. Ein kleines Grundstück mitten in der Stadt wurde durch die ambitionierte Planung und die Umsetzung mit hoher Eigenleistung hochwertig bewohnbar gemacht.“
Teresa Andreae, tirol.ORF.at