Unbekannte Gletscher ließen Meere ansteigen

Kleine, von Forschern bisher nicht registrierte Gletscher haben laut neuen Erkenntnissen der Uni Innsbruck stark zum globalen Meeresanstieg beigetragen. Sie dürften für einen Anstieg des Meeresspiegels von fünf Zentimetern verantwortlich sein.

Im vergangenen Jahrhundert stieg der Meeresspiegel global um 20 Zentimeter an. Die Ursachen für drei Viertel dieses Anstiegs sind laut Wissenschaftlern klar: Durch die steigenden globalen Temperaturen kam es zu einer Ausdehnung des sich erwärmenden Wassers sowie zum Abschmelzen der Gletscher und Eisschilde. Zudem wurde von Landwirtschaft und Industrie immer mehr Grundwasser entnommen, das zum Großteil im Ozean landete.

Gletscher

Andrea Fischer

Die meisten der heute sichtbaren Gletscher wurden in Inventaren der Glaziologen registriert

„Dunkle Materie“ der Glaziologie

Für das restliche Viertel, also rund fünf Zentimeter, des Anstiegs hatten die Wissenschaftler bisher aber keine Erklärung. Ben Marzeion vom Institut für Geographie der Universität Bremen und David Parkes, der als Doktorand an der Universität Innsbruck tätig war, schlugen nun eine Erklärung für diese Lücke vor. „Es gibt starke Hinweise darauf, dass die globalen Gletscherinventare unvollständig sind“, erklärte Marzeion in einer Aussendung der Uni Innsbruck und sprach dabei von der „Dunklen Materie der Glaziologie“.

Kleine, bisher nicht registrierte Gletscher sollen zu diesen fünf Zentimetern des Anstiegs im 20. Jahrhundert beigetragen haben. Das zeigte die Studie, die von den Wissenschaftlern der Universitäten Innsbruck und Bremen im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler nannten konkret das von Innsbrucker Forschern mit initiierte „Randolph Gletscher Inventar“, das Daten zu so gut wie allen Gletschern auf der Erde in computerlesbarer Form enthält und eine wichtige Grundlage für die Forschung ist. Mehr als 200.000 Gletscher seien darin registriert, sagte Marzeion gegenüber der APA.

Auffindung kleiner Gletscher schwierig

Das Problem sei, dass es sehr schwierig ist, in Fernerkundungsdaten kleine Gletscher zu finden und als solche zu identifizieren. Marzeion: „Es gibt starke statistische Hinweise darauf, dass diese Gletscher existieren, man weiß aber nicht, wo sie sind.“ So gebe es etwa kleinere Gletscher, die völlig von Schnee oder von Geröll und Schutt bedeckt sind und bei denen man daher keine Eisflächen sieht. Auch Gletscher in schattigen Nischen seien nur schwer wahrnehmbar, vor allem, wenn sie von größeren benachbarten Eismassen überstrahlt werden. Zudem verwies der Experte auf etliche Gletscher, die im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwunden seien und daher nicht in den Inventaren aufscheinen.

Gletschermessung Stubacher Sonnblickkees

ORF

Das Gletscherschmelzen könnte zu einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels von etwa 40 cm führen

Parkes, der in der Arbeitsgruppe Klimageographie in Innsbruck und Bremen promoviert hat und nun an der Katholischen Universität Leuven (Belgien) arbeitet, entwickelte eine statistische Methode, um die vergangene Entwicklung dieser unbekannten Gletscher abzuschätzen. Damit kann er die bisher rätselhaften fünf Zentimeter Meeresanstieg vollständig erklären.

Künftig kaum Anstieg durch kleine Gletscher

„Das ist deswegen überraschend, weil diese unbekannten Gletscher heutzutage so klein sind, dass sie insgesamt in der Zukunft nicht mehr als 0,2 bis 0,3 Zentimeter zum Meeresspiegelanstieg beitragen werden“, sagte Parkes. Das ist aktuell unbedeutend gegenüber den Beiträgen bekannter Gletscher, die - sollten sie vollständig abschmelzen - den Meeresspiegel um 40 bis 50 Zentimeter ansteigen ließen. In den vergangenen 100 Jahren dürften aber die kleinen Gletscher, die man heutzutage kaum noch findet, sehr wichtig für den Anstieg des Meeresspiegels gewesen sein.