Finanzkrise wirkt bis heute nach

Vor zehn Jahren - am 15. September 2008 - hat die Finanzkrise mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Bank Lehmann Brothers ihren vorläufigen Höhepunkt erlebt. Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren und bergen neue Gefahren in sich.

Es war in den USA zu Beginn des Jahrtausends gang und gäbe, dass Banken Kredite an Hauskäufer vergaben, die kaum ein Einkommen, oft nur schlecht bezahlte Arbeiten und kein eigenes Vermögen hatten. Solche Kredite werden Subprime-Kredite genannt. Immer wieder im Lauf der Jahre mussten kleinere und auch größere Finanzinstitute – etwa der drittgrößte Anbieter von Subprime-Krediten in den USA, die New Century Financial Corporation (NCFC) - Gläubigerschutz beantragen, da ihre Kunden die Kreditraten nicht mehr zurückzahlen konnten.

Amerikanische Banken verpackten damals das Risiko, dass diese Kredite eines Tages nicht mehr zurückgezahlt würden, in eigene Wertpapiere. Diese Wertpapiere wurden zu der Zeit stark von asiatischen und europäischen Banken gekauft, die mit dem höheren Risiko einen höheren Ertrag und damit mehr Gewinn erzielen wollten. Auf diese Weise schwappte die Krise binnen weniger Wochen auch auf Europa und die Asien über.

Politiker und Experten wollten nicht an Krise glauben

Während schon 2007 viele das Wort Finanzkrise verwendeten, glaubten Politiker und etliche Experten noch, dass die damals guten Konjunkturdaten das Schlimmste verhindern könnten. Und diesem Irrglauben saßen sie lange auf - mehr dazu in Wie die Finanzkrise ihren Lauf nahm (news.ORF.at, 12.8.2017).

Der 15. September 2008, der Tag des Zusammenbruchs der Bank Lehmann-Brothers, gilt mittlerweile als Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise. Damals verweigerte die US-Regierung, die Bank zu retten und ließ sie pleitegehen.

Angestellte verlassen mit einem Karton in Händen Lehman Brothers

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Fotos, auf denen Angestellte zu sehen sind, die mit einem Karton in Händen Lehman Brothers verlassen, gingen damals um die Welt

Auch europäische Banken schwer getroffen

In Europa schlug sich die Krise in mehrfacher Hinsicht nieder, erklärte Gottfried Tappeiner vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte der Universität Innsbruck gegenüber tirol.ORF.at. Große Banken – in der Nähe zu Tirol war es beispielsweise die Bayerische Landesbank – wurden schwer getroffen. Kapital in Milliardenhöhe wurde damals praktisch über Nacht vernichtet.

Händler an der Wall Street

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Händler an der New Yorker Börse in der Wall Street und vielen anderen Börsen auf der Welt reagierten mit Panikverkäufen auf sinkende Kurse

Nach einer Phase der Schockstarre reagierte Europa mit dem Bankenrettungsschirm, um die Banken am Leben zu halten. Man habe die Situation damals weitgehend stabilisieren können, so Tappeiner. Die Krise blieb jedoch nicht nur auf den Bankbereich konzentriert, sondern betraf ganze Staaten. Neben Griechenland waren unter anderem auch Island und Irland betroffen.

Asiatische Staaten am wenigsten betroffen

Österreich zählt zu den fünf EU-Ländern, die die weltweite Wirtschaftskrise am besten bewältigten. In einer Krisenbilanz des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) landete Österreich hinter Spitzenreiter Polen in einer Gruppe mit Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Im weltweiten Vergleich zeigten sich die asiatischen Staaten als besonders krisenfest.

Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der beiden Spitzenreiter China und Indien selbst im Krisenjahr 2009 um 8,9 bzw. 6,8 Prozent zulegte, schrumpfte es im EU-Schnitt um 4,2 Prozent, in Österreich um 3,9 Prozent. Als einziges EU-Land musste Polen 2009 keinen Rückgang der Wirtschaftsleistung hinnehmen. Am heftigsten erwischte es Estland und Lettland: Hier schlug sich der abrupte Ausbruch der Krise in einem Rückgang der Wirtschaft um 13,9 bzw. 18,0 Prozent für 2009 nieder - unmittelbar verbunden mit einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen.

Weniger Lkw-Transit in Wirtschaftskrise

Auch Unternehmen - beispielsweise der Autohandel - bekamen die Krise deutlich zu spüren. Um die Wirtschaft anzukurbeln, unterstützte der Staat den Kauf eines Neuwagens mit 1.500 Euro. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung schlug sich damals umgehend in einem deutlichen Rückgang des Lkw-Transits durch Tirol nieder. Doch diese Entlastung der Bürger war nicht von langer Dauer. Schon wenige Monate später ging es mit den Transitzahlen wieder nach oben - mehr dazu in Mehr Transit über den Brenner (tirol.ORF.at, 9.1.2012).

Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, senkte die Europäische Zentralbank (EZB) – so wie auch andere Zentralbanken - die Leitzinsen in der Euro-Zone umgehend. Für Gottfried Tappeiner sind die – nicht zuletzt durch die Wirtschaftskrise und den damit verbundenen Rettungsprogrammen - verschuldeten Staaten die größten Profiteure der niedrigen Zinsen. Natürlich freuen sich auch Kreditnehmer über die bis heute niedrigen Zinssätze.

Entwicklung der Leitzinssätze seit dem Jahr 2000

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Die amerikanische Zentralbank, die FED, hat sich von der Nullzinspolitik bereits seit einigen Jahren wieder verabschiedet

Staaten würden durch das niedrige Zinsniveau zu billigen Krediten kommen und sich bei der Rückzahlung Jahr für Jahr viele Milliarden sparen. In den Unternehmen habe es relativ lange gedauert, bis es zu einer Änderung bei der Einschätzung der Geschäftslage gekommen sei, so Tappeiner. Daher habe die Niedrigzinspolitik relativ lange gebraucht, bis sie konjunkturelle Wirkungen gezeigt habe. Doch seit eineinhalb Jahren sei der wirtschaftliche Aufschwung deutlich zu spüren.

Steigende Wohnungspreise durch Niedrigzinsen

Sparer erhalten dagegen bei Banken seit vielen Jahren kaum Zinsen für ihr Erspartes. Das habe Folgen für die Immobilienpreise, denn statt das Geld zu sparen würden es viele Personen in Wohnungen, Häuser bzw. Grundstücke investieren.

Dass die Wohnungspreise seit Jahren so stark steigen würden, wie man es auch in Innsbruck beobachten könne, hänge damit zusammen, dass alternative Investitionsmöglichkeiten nicht attraktiv seien, so Gottfried Tappeiner.

Banken würden heute nicht so viel wie vor der Finanzkrise verdienen, das liege zum einen an der niedrigen Zinsspanne, doch das mische sich mit einem weiteren Phänomen, das mit dem Ende der Wirtschaftskrise nicht verschwunden sei, so Tappeiner. Der Bankensektor sei durch die Digitalisierung im Umbruch und müsse heute eine vollständig andere Struktur haben, um die Kunden heute noch erreichen zu können.

Gefahr für Tourismus durch steigendes Zinsniveau

Dass sich die Wirtschaft derzeit über Kredite so günstig finanziere, sei nicht ungefährlich, da langfristige Investitionen zum Teil kurzfristig finanziert würden, warnt der Universitätsprofessor. Sollten die Realzinsen etwa um zwei Prozentpunkte auch in Europa anziehen, dann kämen Branchen, die viel Fremdkapital brauchen, in eine schwierige Situation. In Tirol denke er da vor allem an den Tourismus, der sehr kapitalintensiv sei, erklärte Tappeiner. Gefährdet seien auch Industriebereiche oder Vorfinanzierungen, die im Immobilien- und im Baubereichen üblich seien.

Nach Krise wurden viele Regeln verändert

Seit dem Ausbruch der Krise vor zehn Jahren seien eine Menge Regeln verändert worden, man habe mittlerweile eine bessere Finanzmarktaufsicht (FMA), auch die Koordination der europäischen Finanzmarktaufsichten sei deutlich besser geworden.

Zwar gebe es regelmäßige Stresstests, denen sich Banken unterziehen müssten, doch er getraue sich nicht einzuschätzen, wie stabil die Banken wirklich seien, so der Professor. Er begründet diese Vorsicht damit, dass auch vor zehn Jahren niemand geahnt habe, welche Auswirkungen die amerikanische Immobilienkrise auf den europäischen Markt haben würde.

Gottried Tappeiner

privat

Gottfried Tappeiner

Inflation als große Gefahr

Die Volkswirtschaft funktioniert am besten in Friedenszeiten. Daher orte er überall dort, wo es massive Konflikte gebe, Möglichkeiten bzw. Gefahren Krisen auszulösen, meint Tappeiner. Daher stelle die Ungewissheit in der Türkei naturgemäß eine Gefahr dar. Doch auch eine mögliche, instabile italienische Regierung könnte Quelle für eine ernsthafte Finanzkrise sein.

Es gebe jedoch ein Gefahrenpotential, das verhältnismäßig wenig beachtet werde. Die europäische Wirtschaft sei in den letzten Jahren durch die EZB mit billigem Geld geradezu geflutet worden. Nun merke man, dass die Nachfrage – sowohl gewerblich als auch privat – anziehe. Nach dem Lehrbuch sollte man nun erwarten, dass damit Inflation verbunden sei. Inflation zu bändigen sei nahezu genau so schwierig wie Konjunktur anzuregen, so Tappeiner.

„Hebt die EZB die Zinsen wie angekündigt langsam an, dann haben wir Glück“, so der Wirtschaftsprofessor. Wenn bis dahin bereits eine Preis-Lohn-Spirale eingesetzt hätte, sei es schwierig diese wieder einzufangen.

Christoph Praxmarer, tirol.ORF.at