Tirol: Tschernobyl strahlt immer noch
„Der Kern des Reaktors ist ganz oder teilweise geschmolzen. Der Graphitmantel um die Brennstäbe steht offenbar nach wie vor in Flammen. Der gesamte Kernkraftwerkskomplex und drei nahegelegene Ortschaften wurden evakuiert.“
Mit Meldungen wie dieser wurde der Reaktorunfall in ganz Europa bekannt. Zu Beginn schien die Katastrophe weit weg zu sein, in Österreich wurde von keiner unmittelbaren Gefahr ausgegangen. Nach wenigen Tagen wurde in ganz Europa und auch in Teilen Österreichs erhöhte Strahlung gemessen. Milch, Blattgemüse wie Spinat und Salat und später auch Fleisch durften im Sommer und Herbst 1986 phasenweise nicht verkauft werden, erst im Winter normalisierte sich die Situation langsam. In Tirol haben sich manche Auswirkungen aber erst lange nach dem Reaktorunfall gezeigt.
Damals: Tirol vor 28 Jahren
ORF
Das Symbol für Radioaktivität beunruhigte zwei Jahre nach dem Reaktorunglück die Menschen in Kals. Mitten in den Hohen Tauern im Dorfertal wurden damals zahlreiche Messungen durchgeführt. Dabei zeigte sich: Die Milch ist verstrahlt. Mehr als 20 Bauern waren betroffen. 1.000 Liter Milch pro Tag lieferten die Bauern - die Molkerei in Lienz wollte ihre Milch nicht mehr. Die Bauern konnten es nicht fassen.
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Interview mit Bauern im Dorfertal 1988
Die Bauern dachten damals nicht, dass von der Milch ihrer Kühe Gefahr ausgehen könnte.
Für das verspätete Auftreten der Strahlenbelastung in der Milch gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung. „Das ist mit bestimmten Wettersituationen zu erklären. Bei den Hohen Tauern gab es starke Niederschläge, dadurch ist das radioaktive Cäsium zeitverzögert über die Wurzeln von Pflanzen im Tierfutter gelandet“, sagt Richard Norz, heute Direktor der Landwirtschaftskammer Tirol, und vor 30 Jahren mit dem Problem befasst. Mit dem Regen ist Cäsium-137 in die Milch gelangt
Um die Milch nicht wegschütten zu müssen, haben Bauern, Landwirtschaftskammer und Molkereien eine Lösung gefunden : Unbelastete und belastete Milch wurde vermischt, so wurden die Grenzwerte unterschritten. Und auch bei der Verarbeitung wurde die Milch ungefährlich gemacht : Beim Käse-Erzeugen etwa landete ein Teil der Belastung in der Molke, und damit nicht mehr beim Menschen.
Cäsium-137
30,17 Jahre - das ist die Halbwertszeit von Cäsiusm-137. Heute ist also erst etwa die Hälfte des radioaktiven Isotops abgebaut.
Heute: Tirol 30 Jahre danach
Mittlerweile hat sich die Situation in Tirol beruhigt. „Spuren des Cäsiums sind zwar in den Böden noch vorhanden, aber in fixierter Form. Normale Pflanzen wie Gemüse, Getreide und Gras nehmen das Cäsium daher nicht auf“, sagt Manfred Ditto, Leiter der Abteilung Strahlenschutz im Gesundheitsministerium. Diese Sachen sind also kaum verstrahlt.
Anders ist die Situation bei Waldprodukten wie Pilzen und Wildbeeren. In Waldböden ist das Cäsium nicht so stark fixiert. Auch manches Wildfleisch ist deswegen mit höheren Werten belastet. In normalen Mengen ist aber auch Wildfleisch bedenkenlos verzehrbar.
Besonders stark verstrahlt sind Wildschweine. Im Lechtal mussten im vergangenen Jahr zwei erlegte Wildschweine entsorgt werden, da sie eine zehnmal höhere Verstrahlung aufwiesen als der Grenzwert erlaubt. Der Grund dafür liege im vielen Wühlen der Wildschweine, sagt Manfred Ditto. Dadurch nehmen die Wildschweine viel Erdmaterial und Waldbodenmaterial auf.
Beliebte Pilze bedenkenlos verzehrbar
Auch bei manchen Pilzen in ehemals stark betroffenen Gebieten gibt es erhöhte Werte: „Bei einigen Pilzen ist bis heute kein Rückgang der Strahlung erkennbar“, sagt Ditto. Zu diesen Pilzen zählen Maronenröhrlinge und Reifpilze.
Bei den beliebtesten Speisepilzen wie Eierschwammerln und Steinpilzen liegen die Mittelwerte aber deutlich unter den Grenzwerten, ihr Konsum ist gesundheitlich kein Problem.
Martin Kirchmair
Generell ist die Situation in Tirol sehr gut: Die Belastung sei in Tirol sicher niedriger als in vielen anderen Gebieten in Österreich, meint Ditto.
Link:
- Als der Super-GAU in Österreich ankam (news.ORF.at)