Essstörungen: Erste Anzeichen ernst nehmen

In Tirol sind laut Schätzung von Experten rund 3.000 Jugendliche von Essstörungen betroffen. Als Auslöser gelten immer öfter auch soziale Netzwerke wie Facebook. Die tirol kliniken erweitern jetzt die Therapiemöglichkeiten.

An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie werden laufend etwa sechs Patienten mit Essstörungen stationär betreut, ambulant sind es zwischen 40 und 50. Ob der oder die Betroffene stationär aufgenommen werden muss, hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. Was die Kapazität angeht, ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck derzeit ausgelastet. Deshalb wird bereits in Kürze von drei auf fünf Oberärzte aufgestockt, im Neubau in Hall wird es dann sogar eine Spezialstation für Essstörungen geben.

Essstörungen sind saisonabhängig

Die „Hungerphase“ beginnt oft im Frühling, wenn die Strandfigur zum Thema wird. Im Spätsommer und Herbst häufen sich an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie dann die Akut-Fälle. Meist treten Essstörungen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren auf, in Einzelfällen auch viel früher, so gibt es Patienten im Alter von zehn Jahren. Besonders gefährlich ist die Erkrankung im Kindesalter, weil sich die Pubertät verzögert, der Hormonhaushalt durcheinander gerät und Langzeitschäden die Folge sein können. Durch die mangelnde Eiweißaufnahme nimmt die Gehirnleistung der Patienten ab und sie müssen die gesunkene schulische Leistungsfähigkeit oft in der Nacht durch verstärktes Lernen kompensieren.

Soziale Medien als Gefahr

Eine immer größere Gefahr stellen vermeintlich spielerische Trends dar, die vor allem über soziale Medien verbreitet werden. Sei es die möglichst große Lücke zwischen den Innenseiten der Oberschenkel, wenn die Beine geschlossen sind („Thigh Gap“), oder die relativ neue „Belly Button Challenge“, bei der versucht wird, mit einem Arm hinter dem Rücken herumgeschlungen den eigenen Bauchnabel zu berühren. Der jüngste Trend kommt derzeit aus Asien und nennt sich „Collarbone Challenge“. Junge Mädchen versuchen dabei, möglichst viele Münzen auf dem möglichst hervorstehenden Schlüsselbein zu stapeln. All diese Trends haben eines gemeinsam – sie können Essstörungen begünstigen, verstärken oder auslösen.

Schnelle Behandlung ist wichtig

Patientinnen und Patienten mit einer Essstörung kommen fast immer zu spät zu uns“, sagte Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Kathrin Sevecke

MUI / C. Lackner

Direktorin Kathrin Sevecke

Dabei wäre die Früherkennung besonders wichtig, um eine Chronifizierung zu vermeiden. Bereits bei den ersten Anzeichen sollte ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. „Wenn der oder die Betroffene schnell Gewicht verliert, Essen versteckt und die Nahrungsaufnahme in Gesellschaft verweigert, könnte das ein Hinweis auf eine Erkrankung sein“, erklärte Kathrin Sevecke bei einem Pressegespräch am Dienstag.

Therapie auf verschiedenen Ebenen

Die Therapie besteht aus mehreren Elementen: Eine Ernährungsrehabilitation hilft den Betroffenen, einen gesunden Zugang zu Nahrungsmitteln und zur Nahrungsaufnahme zu finden. Weiters werden Gruppen-, Einzel- und Familientherapien durchgeführt. Diese Behandlungen würden sehr gut anschlagen, Zwangsernährung gebe es schon lange nicht mehr, so Martin Fuchs, Oberarzt an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eine Essstörung stehe oft mit einer anderen psychischen Erkrankung und einer Reihe von möglichen Belastungsfaktoren in Zusammenhang. Es sei daher wichtig, die Gesamtsituation der jugendlichen Patienten sorgfältig zu erfassen, so Fuchs.